ausgewählte Predigten
von
Rudolf
Lughofer
Ihr wart tot - '
nun seid ihr wieder lebendig
Predigt: »Raum für den ganzen Menschen« Lukas 5,12-16 Die Heilung eines Aussätzigen Liebe Gemeinde, bevor ich meine letzte Stelle verlassen habe, habe ich allen, die ich dort konfirmiert habe, einen Brief geschrieben und sie zu einem Extra-Abschiedsgottesdienst für sie eingeladen. Ich wollte ihnen aber darüber hinaus auch einfach noch ein paar ermutigende Gedanken mitgeben. Ein paar Tage nach diesem Gottesdienst hat mich auf der Straße eine junge Frau angesprochen. Sie sagte mir, dass ich sie vor zehn Jahren konfirmiert hätte. Leider wäre es ihr nicht möglich gewesen, an dem Sonntag in die Kirche zu kommen. Ich hätte in dem Brief geschrieben, dass das Leben auch bei jungen Menschen nicht immer so einfach und positiv ist und dass es gerade dann wichtig ist zu spüren, dass man dazugehört. Dafür wollte sie sich bedanken. Und dann hat sie erzählt, dass sie wegen einer Krankheit ihre Ausbildung abbrechen musste und dass sie den von ihr gewünschten Beruf nicht machen könnte. Sie habe schwierige Jahre durchgemacht. „Ihr Brief hat mir gut getan.“ Mir ist diese Begegnung neulich wieder eingefallen. Dieses Gespräch hatte mich bewegt: Ich habe gespürt, wie uns ein geheimes Band verbunden hat, ein Vertrauen, in dem sie sich öffnen konnte, in dem sie ihre Lasten ein Stück loswerden konnte. Die Viertelstunde am Rande der Straße – da war das Gefühl einer Gemeinschaft mit dieser jungen Frau, die ich einmal als 14jährige konfirmiert habe. Für sie und auch für mich war es die ganz entscheidende Erfahrung, dass wir Raum füreinander haben, für den ganzen Menschen. Wahrscheinlich haben Sie das auch schon einmal so bewusst erlebt. Da wird der Himmel weit, da bekommt die Botschaft von der Liebe Gottes Bedeutung. Wir haben vorhin gehört, wie Jesus einen Aussätzigen heilt. Vielleicht hat Jesus eine besondere Kraft gehabt und hat diese genutzt, um andere zu heilen. Seine Anhänger haben gesagt: Bei diesem Jesus spüren wir Gottes Liebe ganz unmittelbar mitten in unserem Alltag. Sie haben erlebt: Da ist Raum für uns – mit allem Guten, Starken, Schönen – und mit allem Dunklen. Jesus hat Frauen, die als Prostituierte von andren und vielleicht von ihnen selbst verachtet wurden, an seinen Tisch gerufen; und er hat sie einfach als Menschen wahrgenommen. Zu dem Zöllner, dessen Leben und Liebe in seiner Gier erstickt waren, sagt er: „Zachäus, steig von deinem Baum; ich muss heute in deinem Haus einkehren.“ „Petrus, Andreas, ich brauche euch!“ Und die Mütter kamen mit ihren Kindern, dass er sie segnete. Diese tiefe Liebe, dieses Ja – da haben sie die Nähe Gottes gespürt. Den anderen sehen, ihn als Menschen wahrnehmen, da kann etwas heil werden. Heute dürfen wir das Wissen und Können unserer Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen in Anspruch nehmen. Sie heilen Kranke, holen Menschen aus ihrer Verzweiflung und Not heraus. Da können Menschen genesen. Da können sie auch als Angeschlagene leben. Das ist gewiss im Sinne Jesu. Dahinter hinter steht, dass wir uns miteinander verbunden wissen, dass wir einander von uns erzählen und einander zuhören. Und das bewirkt auch heute Wunder – nicht spektakuläre Heilungen, nicht dass Naturgesetze übersprungen werden. Und doch geschieht Wunderbares: Da werden die Gleichgültigkeit und Kälte durchbrochen, diese lähmenden Mächte, die uns immer wieder ersticken und auch unsere Welt kaputt machen. Da spüren wir trotz aller unserer Ohnmacht eine tiefe Geborgenheit. Da dürfen wir an Liebe glauben. Damit bleibt das Leben und bleibt unsere Welt offen und wir können nicht aufhören, für andere Menschen, für unserer schöne Erde zu hoffen. Da ist uns Gott begegnet – vielleicht gerade in so einem kleinen Gespräch auf der Straße. Gott will uns begegnen – ich wünsche mir, dass wir in unserem Gottesdienst spüren und das heute mitnehmen. Es ist gut, dass wir heute aus der Hektik, dem täglichen Trott aussteigen, dass wir uns besinnen. Es ist gut, wenn wir dabei unser Leben wahrnehmen und auch das Leben des anderen. Vielleicht wird uns erst recht bewusst: Mir geht es sehr gut. Und dem anderen Menschen, unserer Nachbarin, unserem Kind geht es sehr gut. Unsere Zeit, die Stunden mit vertrauten Menschen, die Stunden alleine – es ist uns geschenkte und anvertraute Zeit. „Danke Gott, dass wir leben, danke für die Menschen, die zu uns gehören, danke für den Sommer, das Licht, alle Wärme und die guten Stunden am Abend, die Ruhe der Nacht.“ Miteinander danken. Da berührt uns die tiefe Güte Gottes, sie verbindet uns miteinander. Dann gehören wir auch darin zusammen, dass es uns nicht gut geht. Ich denke an einen Menschen, den immer wieder Angst überkommt, an eine junge Frau, die nicht mehr leben wollte. Ich denke an die begabte Schülerin, die mit der Schule nicht zurecht gekommen ist, und an den Mann, der im Beruf vor den Kopf gestoßen worden ist. Ich denke an Frauen und Männer, die hart geworden sind, verbittert, deren Leben leer ist. Unter uns sind Menschen, die mit Krankheiten und Schmerzen leben müssen. Ich weiß von Jugendlichen, die Schwierigkeiten haben und die Schwierigkeiten machen. Ich weiß von Leuten, die einfach anders sind. Der eine ist schwul. Ein anderer lebt zwischen zwei Kulturen. Es ist doch wichtig, dass sie sich selbst so bejahen können und von anderen bejaht werden. Raum haben für andere, für das Licht und das Dunkel in ihrem Leben. Wir selbst sind mit eingeschlossen, vielleicht ein Teil von uns, den wir verstecken und unterdrücken müssen? Raum haben für den ganzen Menschen. Die Schatten gehören zu unserer Welt und zu unserem Leben. Da müssen wir uns nicht abwenden, da müssen wir nicht unbarmherzig über andere urteilen, da kann es gelingen, auch uns selbst anzunehmen. Damit ist die Angst noch nicht weg, damit ist die junge Frau nicht gesund und kann auch nicht ihren Traumberuf lernen. Da bleibt die Ehe, die Familie zerbrochen, da ist noch nicht alles gut. Aber vielleicht ist es ein Anfang, dass wir uns miteinander neu aufmachen. Mancher muss in einem harten Prozess neue, für ihn realistische Ziele finden. Manchmal können andere, eine Beratungsstelle dabei helfen. Jesus hat den Menschen Vergebung zugesprochen. Damit ist die Verletzung nicht weggewischt. Aber da ist wieder ein Weg, dass wir uns nicht nur um das uns zugefügte Unrecht oder unser Versagen drehen, sondern versuchen, dem Unrecht mit einem Ja zu Leben, mit dem Willen, es gut werden zu lassen, entgegen zu treten. Da kann in uns etwas heilen – dass wir mit dem Riss, den Wunden in unserem Leben und in unserer Welt leben können und doch ein tiefes Vertrauen spüren – mit unseren Sorgen, mit unserer Schuld, mit den Sorgen um unsere Welt. Das geht über uns als einzelne hinaus; das ist eine ganz große Aufgabe in unserer Gesellschaft. Wenn wir uns von Gott ansprechen lassen, dann müssen wir uns alle miteinander um eine Atmosphäre bemühen, in der alle erfahren: Wir können hier miteinander leben, Starke und Schwache, Menschen, die immer hier zu Hause waren und Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. Die Liebe Gottes ist eine Herausforderung: Nehmt einander wahr! Lernt den anderen kennen! Grenzt euch nicht ab! Eure Aufgabe kann es sein, Brücken zu schlagen. Dabei geraten wir auch in Konflikte mit anderen Menschen und mit unserer Welt führen, in der ein anderer Geist herrscht. Vielleicht erleben wir aber auch das, was die Jüngerinnen und Jünger nach Jesu Kreuzigung erfahren haben: da ist ein Freiheit, da ist ein Leben, das stärker ist als alle Gewalt, als alles, was uns tötet. Zurück zu Gespräch mit der ehemaligen Konfirmandin. Es hat ihr gut getan, dass sie in meinem Brief auch mit ihren Problemen angesprochen worden ist. Und es war eine besondere Begegnung für mich. Können wir nicht daran anknüpfen, das bewusst weiterführen? Ich möchte Mut machen, in Gesprächen, in Briefen, durch Zeichen dem anderen zu signalisieren, dass wir ihn als Menschen sehen mit seinen Schwierigkeiten und mit seiner Kraft und Freude. Das kann so viel bewirken. Manchmal müssen wir vielleicht selbst ein Stück von der Mauer öffnen, mit der wir unsere Schwachheit verbergen. Und auch das kann sehr lösend sein. Amen
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