Vortrag Kulturforum
  Waldeckkirche Göppingen

                 Rudolf  Lughofer

 

 

 

 

 

 

 Startseite

  

 

  Albert Schweitzer 

 

  Gespräch mit dem Islam

   

   Heute von Gott reden  

 

   Wie kam es zu der
  Säkularisierung
1500-2010

 

  Wie redet die Bibel
  von und mit Gott

 

  Wie können wir heute
  von Gott reden 

 

  Ansätze für eine Ethik heute

 

  Was haben Christen in unsere

  Welt und Zeit einzubringen? 

  

   Predigten

  

 

   Impressum                   

 

Was haben Christen in unsere Welt und Zeit einzubringen?

Referat im Kulturforum der Waldeckgemeinde, 22. 11. 2012
Rudolf Lughofer, Pfr. i. R. 

 

Gliederung:

Was haben Christen in unsere Welt und Zeit einzubringen?. 1

A.    Worum es mir in meinem Referat geht 2

B.     Die befreiende Botschaft von Jesus Christus. 2

I.      Ansatz bei Erfahrungen. 2

II.     Der alttestamentliche Hintergrund, der Jesus bestimmt hat 3

III.         Erfahrungen der ersten Jüngerinnen und Jünger 3

IV.         Die Weitergabe des Glaubens. 5

1.       Übertragung in jüdisches und hellenistisches Denken in der Zeit der ersten Christenheit 5

a.       Die Anfänge in den christlichen Gemeinden. 5

b.       Man muss die Sprache seiner Zeit sprechen und das Selbstverständnis der Zeit zugleich verändern. 5

c.       Übertragung in jüdisches und christliches Denken. 5

d.       Tradition und immer neuer Aufbruch. 6

2.       Lebendiger Glaube, Erstarrung und Verbindung mit der Macht, neue Aufbrüche. 6

a        Befreiender Glaube und Engagement der Liebe. 7

b        Unterdrückender Glaube. 7

c        Rückbesinnung und Aufbruch zu befreiendem Glauben. 7

C.     Christlicher Glaube heute: Erfahrungen und Einstellungen. 7

I.      Fünf zentrale Aussagen des christlichen Glaubens und ihre Bedeutung für uns. 8

1.       Der Schöpfungsgedanke. 8

2.       Das Gebot der Liebe. 9

3.       Versöhnung und Vergebung. 9

4.       Die Botschaft vom Kreuz und von der Auferstehung. 10

5.       Die Botschaft vom Reich Gottes. 10

II.     Gespräch über die für uns zentralen Aussagen. 10

1.       Der Schöpfungsgedanke. 10

2.       Das Gebot der Liebe. 11

3.       Versöhnung und Vergebung. 11

4.       Die Botschaft vom Kreuz und von der Auferstehung. 11

5.       Die Botschaft vom Reich Gottes. 11

 


 

Was haben Christen in unsere Welt und Zeit einzubringen?

 

A.        Worum es mir in meinem Referat geht

Christen sprechen von der Schöpfung, erzählen Geschichten aus dem Leben Jesu, sie geben die Botschaft von dem Kreuz und der Auferstehung weiter. Das liegt zweitausend Jahre zurück. Können wir heute darin die Stimme Gottes hören, die uns anspricht und unser Leben trägt und bestimmt?

Christlicher Glaube wurde in Bildern, theologischen Formeln, in Liedern, in fest geformte Traditionen weitergegeben. Für viele bedeuten diese etwas. Und vielen anderen sagt sie nichts mehr. Meine Frage: Können wir in fünf Sätzen sagen, was das Christentum uns heute bedeutet und was wir heute in die Suche nach gutem Leben in unserem Land einbringen sollen? Wir müssten es so sagen, dass es für Pietisten und liberale Christen, für Evangelische und Katholische und auch für Menschen außerhalb der Kirche verständlich wird. Kann uns das gelingen?

Ich möchte in meinem Referat einen Weg dahin suchen. Am Schluss werde ich fünf Grundgedanken vorstellen und diese auf einem Blatt verteilen. Das ist ein Versuch. Wir sollten dann im Gespräch daran weiterarbeiten, die fünf  Aussagen vielleicht auch neu formulieren. Unser Ziel sollte sein, eine gemeinsame, verständliche Sprache zu finden.

 

B.        Die befreiende Botschaft von Jesus Christus

I.         Ansatz bei Erfahrungen

Wenn wir Christen sagen, dass uns Gott anspricht, dann blicken wir auf Jesus Christus. Welche Botschaft ging von ihm aus? Jesus von Nazareth ist wahrscheinlich drei Jahre öffentlich aufgetreten. Er hat Menschen gewonnen, die mit ihm gezogen sind. Was haben seine Jüngerinnen und Jünger erlebt? Bei Jesus war ihr Leben in ein besonderes Licht getaucht. Es waren für sie befreiende Erfahrungen, in denen sie Gottes Nähe und Liebe gespürt haben. Jesus hat in ihnen eine tiefe Erwartung geweckt; das war für sie wie ein neues Leben. In der Begegnung mit Jesus, das haben sie gespürt, da ist uns Gott neu begegnet.

Diese Erfahrungen standen am Anfang – vor allen theologischen Aussagen über Jesus, vor allen Bekenntnissen. So ist es fraglich, ob sie schon von Jesus Christus gesprochen haben, also davon, dass dieser Jesus aus Nazareth der erwartete Messias (griechisch: Christus) ist, Sie haben Jesus unmittelbar erlebt; da war es noch nicht nötig sein Auftreten Jesu im Rahmen ihrer Tradition zu deuten.

Am Anfang stehen also die Erfahrungen der Menschen bei Jesus und die Erfahrungen der ersten Christen. Warum ich das hervorhebe? Wir sprechen oft selbstverständlich von Jesus Christus und selbstverständlich auch von Gott. Und das kann für uns mit einer tiefen Bedeutung gefüllt sein; das kann ein Fundament in unserem Leben sein. Aber manchmal werden diese Worte „Gott“ und „Jesus Christus“ auch zu selbstverständlich gebraucht. Da frage ich mich dann: Was bedeutet das eigentlich für den anderen und mich, ist da eine Botschaft, die mich in der Tiefe ansprechen kann, geht es da um eine Erfahrung, die mich trägt. Wenn ich frage, was wir heute in unsere Gesellschaft einzubringen haben, dann muss dahinter eine befreiende Erfahrung stehen, dann müssen das Sätze sein, die unsere Wirklichkeit öffnen. Ich habe versucht, in meinem Referat ganz bewusst jeweils nach diesem Hintergrund zu fragen, wenn ich von Gott rede, und bitte Sie darauf zu achten.

Ich möchte nun genauer nach diesem Jesus aus Nazareth, den Erfahrungen bei ihm, und seiner Botschaft fragen:

 

II.        Der alttestamentliche Hintergrund, der Jesus bestimmt hat

Viele schreckt das Alte Testament ab. Jesus ist in dem alttestamentlich-jüdischen Glauben aufgewachsen. Was hat das für ihn bedeutet? Er hat es als ein positives Fundament erlebt:

Im Alten Testament steht: Ihr sollt Gott[1] lieben und ihr sollt euren Nächsten[2] lieben! Kümmert euch um die Fremden, denn ihr wart in Ägypten fremd[3], sorgt für die Waisen und Witwen![4] Gott ist barmherzig. Er gibt euch gute Gebote, damit das Leben in der Gemeinschaft gelingen kann. Immer wieder haben die Menschen Worte vernommen, die sie begleitet und ihrem Leben Bedeutung und Richtung gegeben haben – die Stimme Gottes. Und darauf haben sie geantwortet. Im Psalm 103 spüren wir diesen Geist des Alten Testaments: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst und dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler: Der Herr schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden.“[5]

Der leitende Gedanke im Alten Testament ist: Gott hat euch gesegnet und ihr sollt den Segen weitergeben[6]. Gott hat euch ein gutes Land verheißen, in dem ihr zu Hause sein dürft. Dabei gehen seine Verheißungen über das Land Kanaan hinaus. Propheten haben in oft mühsamen Zeiten den Blick auf eine Welt gelenkt, in der Gott herrschen wird: Es wird einen neuen Himmel und eine neue Erde geben. Da wird Frieden herrschen, Menschen und Tiere werden im Einklang mit der Natur leben. Die Menschen werden sich aus dem Herzen heraus für eine gute Gemeinschaft einsetzen.[7] Diese Hoffnung taucht die Welt in ein neues Licht. Die Propheten haben die Welt in dem weiten Horizont Gottes neu gesehen.

Gegen alle Angst und auch gegen alle Rachegedanken heißt es in der Schöpfungsgeschichte: Gott ist der Herr der ganzen Welt. Er ist der Herr über alle Mächte im Himmel und auf Erden. Aber Gott hat euch, den Menschen die Erde anvertraut. Ihr sollt sie bebauen und bewahren.[8] Und die erste Antwort darauf ist Staunen: „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.“[9]

Dieser Geist hat Jesus bestimmt. Und deshalb konnte er sich auch dagegen wehren, wenn man die Gebote in den Büchern Mose nicht mehr als Gabe für die Menschen, sondern gesetzlich verstanden hat und es darum ging nur alles richtig zu erfüllen.

 

III.      Erfahrungen der ersten Jüngerinnen und Jünger

Ich wiederhole noch einmal: Am Anfang standen nicht die dogmatische Sätze: Jesus ist der Christus, er ist der vom Himmel herab gesandte Sohn Gottes. Das sind Deutungen. An Anfang standen Erfahrungen, die Frauen und Männer mit der Person Jesus von Nazareth gemacht haben. Er hat in seinen Gleichnissen seine Zuhörer unmittelbar angesprochen, sie mitgenommen: Ein Schaf kommt vom Weg ab, hat sich in den Dornen verheddert, findet nicht mehr zurück – der gute Hirte steigt ihm nach, beruhigt es, befreit es aus der Falle, trägt es auf den Schultern zurück und ruft den anderen zu: „Ich habe mein Schaf gerettet!“ Er ist ganz erfüllt davon. „Freut euch mit mir!“[10]

Und dann haben sie erlebt, wie er den Menschen begegnet ist: Fragt nicht, was ihr alles tun sollt, wie ihr gut sein könnt, was die anderen und ihr selbst von euch erwartet! Sondern schaut hin![11] Seht ihr, den aussätzigen Mann, seht ihr, wie er in seiner Krankheit ganz isoliert ist! Selbst die Nachbarn schließen ihn aus. Seht ihr Zachäus! Er ist ein Oberzöllner, arbeitet für die Römer, presst die Leute aus. Seht ihr, wie er in sich selbst gefangen ist, verloren in seiner Gier, in seiner Angst, in seiner Schuld! Seht den Verwundeten am Weg nach Jericho! Er braucht euch jetzt. Ihr könnt ihn in den nächsten Ort bringen, damit man ihn dort pflegen kann.

Sie haben bei Jesu eine neue Gemeinschaft erlebt: Ihr seid eingeladen – ihr Fischer, du Frau, die du die Ehe gebrochen hast – du, der Gelähmte, der du vierzig Jahre am Teich Bethesda auf ein Wunder gehofft hast ihr hier am See, die ihr Hunger nach Wahrheit, nach Menschlichkeit habt! Wir gehören zu einer Gemeinschaft über alle Grenzen hinweg zusammen. Spürt ihr die tiefe Liebe Gottes – ganz unmittelbar hier und jetzt? Ihr dürft euch vertrauensvoll an Gott wenden: „Vater unser, dein Reich komme, dein Wille geschehe …!“ Spürt ihr, wie da die Enge, die Angst aufbricht, der Hass, die Isolierung? Spürt ihr, dass uns ein tiefes Erbarmen, die Kraft der Versöhnung, eine neue Freiheit, Liebe erfüllt? Auf dem Weg mit Jesus habe sie erlebt, dass Gott sie neu angesprochen hat.

Was waren das für Erfahrungen! Petrus, Maria Magdalena, der Zöllner Levi, der blinde Bartimäus, die verkrümmte Frau – die Welt hat sich für sie verändert, war wieder offen, menschlich. Und sie haben gespürt: „Das Reich Gottes ist schon mitten unter uns.“ „Folgt mir nach!“, hat Jesus zu ihnen gesagt, „auch ihr sollt heilen, vergeben, euch von der Liebe Gottes mitnehmen lassen.“ – Ja, wir haben etwas von Gott unter uns gespürt, seine Liebe, die alle Grenzen sprengt. Wenn Jesus uns jetzt anredet, dann hören wir deshalb zugleich, wie Gott uns anspricht: „Ihr sollt das Salz der Erde sein!“ Ja, das wollen wir; nun wird alles gut.

Aber es wurde nicht einfach gut: Man hat Jesus ans Kreuz genagelt. Er ist elend gestorben. Petrus, Maria, Johannes – sie haben die ganze Ohnmacht, die Brutalität, die Kälte dieser Welt gespürt. Auch das war ihre Erfahrung und daran konnten und wollten sie nicht vorbei. Wo ist Gott angesichts dieses schrecklichen Kreuzes? Wo ist Gott angesichts von alle Menschenverachtung, Zerstörung, angesichts unserer Ohnmacht, angesichts des Todes

Mit der schrecklichen Kreuzigung Jesu stürzten die Jüngerinnen und Jünger in eine tiefe Krise – in eine notwendige Krise. Gott hat nicht eingegriffen, den Unschuldigen nicht gerettet, die kaltherzigen Mörder nicht bestraft. Können wir uns noch Gott anvertrauen, auf seine tiefe Liebe bauen?

Sie sind aber – wenige Tage oder wenige Wochen später – wieder aus dieser Krise aufgetaucht. Sie sind aus ihren Verstecken hervorgekommen, haben miteinander geredet. Einige Frauen haben gesagt: Jesus ist auferstanden; er ist uns als der Gekreuzigte begegnet. Dann haben das andere auch erlebt. Sie haben das in Geschichten als ein Wunder weitererzählt, das die Gesetze des normalen Lebens sprengt, das ihr Leben verändert hat.

Was sie da aus der Krise herausgeführt hat, können wir nicht fassen. Was wir fassen können ist: Sie haben Gott neu erlebt. Auf dem Weg durch diese tiefe Krise haben sie erkannt: „Gott ist anders, als wir ihn uns vorgestellt haben. Er will nicht richten, nicht strafen, nicht mit den Menschen spielen. Gott – wir erleben ihn ganz neu – er spricht uns an, da wo der Tod und die Gewalt das Leben ersticken.“ Mitten in ihrer Angst und Verzweiflung machten sie die Erfahrung: Gott sagt gerade jetzt ja zu uns. Gottes Ja gilt in einer Welt, in der Gewalt und Tod uns das Leben rauben wollen. Gott ist Liebe; und diese Liebe kann auch die Brutalität nicht töten. Wir spüren, wie uns ein neuer Geist verbindet, wie wir über alle Grenzen zusammen gehören, uns über alle Sprachbarrieren verstehen. Wir müssen nicht hart werden, nicht bitter. Wir dürfen lieben, wir dürfen füreinander und für unsere Welt hoffen. Wir sehen unsere Welt – uns, die anderen Menschen, die Natur – schon heute im Licht der Liebe Gottes. Unser Leben ist wieder offen und weit.

Die Jünger haben erlebt: Jesus – für uns ist er nicht tot. Er ist uns als der Gekreuzigt neu begegnet. Und dann ist er von Gott aufgenommen worden, d.h. in ihm können wir Gott sehen. Und er bleibt damit bei uns. Der heilige Geist der Liebe hat uns berührt, setzt uns in Bewegung. Jesus ist auferstanden!

Wir müssen das als einen Jubelruf hören. Wir müssen spüren, wie da die Angst aufbricht und eine neue Freiheit beginnt. Das ist eine Freiheit, die aus der Liebe lebt. Da geht es nicht um eine kurzzeitige Wiederbelebung eines Gehenkten – da geht es um Leben angesichts von Schuld und Tod, Leben mitten in Ohnmacht und Brutalität.

In dieser Erfahrung wird die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel aufgebrochen, ausgeweitet. Dieser neue Geist lässt sich nicht eingrenzen. Er kann uns jetzt bestimmen. Es ist ein Geist des Friedens, der Versöhnung, der Barmherzigkeit. Darauf dürfen wir vertrauen. Das ist das Wunder, von dem wir erzählen müssen.

Diese tiefen Erfahrungen der Menschen bei Jesus – in der direkten Begegnung mit ihm und in der neuen Erfahrung Gottes angesichts des Kreuzes – das war der Anfang. Diese Erfahrungen haben die Menschen verändert. Sie haben ihnen das Leben, die Welt in neuem Licht gezeigt. Mit dieser guten Botschaft haben sie sich aufgemacht. Das steht dahinter, wenn wir von Jesus Christus und von Gott reden. Da wurde Gottes Liebe mitten in der Welt sichtbar. Diese Liebe gilt auch uns zweitausend Jahre später. 

 

IV.       Die Weitergabe des Glaubens

Der Anfang also diese befreienden Erfahrungen. Und das Ziel ist, dass wir heute im Vertrauen darauf wieder befreiende Erfahrungen machen. Aber wie kann man Erfahrungen an die nächste Generation weitergeben? Man kann davon erzählen, aber dazu muss man sie in das eigene Denken einfügen. Wer erzählen will, muss diese Erfahrungen der ersten Christen deuten. Es geht gar nicht anders. Man braucht Deutungen und auch Riten, Organisationen, um Erfahrungen weiter zugeben.

1.         Übertragung in jüdisches und hellenistisches Denken in der Zeit der ersten Christenheit

a.         Die Anfänge in den christlichen Gemeinden

Am Anfang stand vor allem die Erfahrung des Kreuzes und der Auferstehung. Aber das war natürlich nur von den Erfahrungen im Leben mit der Person Jesus zu verstehen. Und diese Erfahrungen und dieses neue Verständnis wollen sie als frohe Botschaft, als Evangelium den Menschen ihrer Zeit weitergeben. Darum haben sie erste Bekenntnisse formuliert. Es bildeten sich Riten, in denen sich die Gemeinde mit Jesus Christus verbunden erlebte, die Taufe, das Herrenmahl. Sie haben die Worte, Gleichnisse und Erzählungen von Jesus gesammelt. Es entstand rasch ein Identitätsgefühl: „Wir sind die Anhänger Jesu Christi, wir sind die Christen.“

Und so ist die Kirche gewachsen. Das war zunächst eine lebendige, vielfältige Bewegung. Fantastischer Wunderglaube, charismatisches Zungereden, ein Freiheitsgefühl, in dem alles erlaubt zu sein schien, selbstverständliches Teilen, Judenchristen, Heidenchristen. Es gab Briefe an die Gemeinden von Paulus, von Pe­trus und anderen, apokalyptische, gnostische Schriften, verschiedene Evangelien. Man hat dann in einem sorgfältigen Prozess einen Kanon von den Schriften zusammengestellt, die nun Gültigkeit haben sollten. Manches wurde ausgeschlossen.

In einem harten Prozess hat man in den ersten Jahrhunderten auf Konzilien um den rechten Glauben gerungen: Hat Jesus zwei Naturen? Ist er zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch? War er schon immer bei Gott und ist dann zu der von Gott ausersehenen Zeit zu den Menschen herabgestiegen? Hat er wirklich gelitten?

b.         Man muss die Sprache seiner Zeit sprechen und das Selbstverständnis der Zeit zugleich verändern

Was ist da eigentlich geschehen? Lasst uns zurücktreten und uns das bewusst machen! Wenn man Erfahrungen weitergeben will, muss man sie in Worte fassen – für sich selbst und für die, die man ansprechen will. Man muss sie in sein eigenes Weltbild einordnen. Die Weltbilder und die Art, wie wir denken, in welcher Weise wir die Welt verstehen, haben sich immer wieder verändert. Wir empfinden und denken heute anders als die Menschen 600 Jahre vor Christus in Babylon, als die Menschen vor dem Mittelalter, als im Mittelalter oder im 20. Jahrhundert. Was damals fraglos galt und das Fundament der eigenen Existenz und der zu einem gehörenden Menschen bildete, das kann heute fraglich sein; das trägt einfach nicht mehr. Dafür gilt auf einmal anderes ganz selbstverständlich, ganz unhinterfragt.

c.         Übertragung in jüdisches und christliches Denken

Das Christentum wurde zunächst auf dem Hintergrund des Alten Testaments und der jüdischen Traditionen formuliert – klar, denn Jesus, die Frauen und Männer der ersten Gemeinde waren Juden und haben Jesus im Rahmen ihrer Tradition verstanden und gedeutet: Er ist der erwartete Messias, der neue David. Jesus ist der Christus. Man nimmt die alten Verheißungen auf, aber verändert sie auch: Jesus ist nicht der siegreiche Held, der wie David mit der Schleuder in der Hand die Feinde besiegt[12], sondern er verzichtet auf Macht – so wie das im Jesajabuch von dem Knecht Gottes[13] heißt. Gott hat ihn gesandt. Er befreit uns von unserer Schuld. Wir brauchen deshalb keine Opfer mehr. Er tritt an diese Stelle. Jesus Christus hat uns mit Gott versöhnt.

Die vom Hellenismus geprägten Gemeinden[14] in Kleinasien mussten entsprechend die Erfahrungen der neuen Gemeinschaft in ihrem hellenistischen Denkrahmen aussagen. Gott – so verstanden sie es – hat Jesus geschickt, um die, die an ihn glauben, zu befreien. Aber das bedeutete für hellenistisches Denken: Dann sind wir nicht mehr an das Materielle, Irdische gebunden, an das Verlangen des Leibes. Wir sind frei von den Zwängen der eigenen Geschichte und der Umwelt. Der Mensch kann diese Fesseln ablegen und so in den Bereich des Unendlichen, Geistigen, Göttlichen gelangen.

Ist Jesus gekommen, um unsere Vergöttlichung zu bewirken? Dazu wäre er doch, sagte man, imstande, weil er zugleich Mensch und Gott ist. Jesus als der Sohn Gottes, ist mit Gott eins und ist doch getrennt. Er war schon immer da bei Gott. Wir sollen ihm nachfolgen, ihm gleich werden. Sollen wir uns damit aus der Welt lösen, nicht mehr an Besitz, an Sexualität und an den eigenen Willen gebunden sein? Heißt das, dass wir im Geist leben und nicht mehr der Materie verhaftet sind?

Das freilich widerspricht dem hebräischen und jüdischen Denken. Das kennt keine Aufteilung des Menschen in Leib, Geist und Seele. Es geht nicht um eine Befreiung aus der physischen Welt und schon gar nicht aus der Geschichte. Deshalb hat die junge Christenheit das hellenistische Denken zwar aufgenommen aber doch dabei verändert. Die Christen haben daran festgehalten, dass es um den ganzen Menschen geht, zu dem Leib und Seele gehören. Trotzdem: Die lebendige Bewegung der ersten Jahrzehnte wurde vergeistigt.

d.         Tradition und immer neuer Aufbruch

Wir haben gesehen: Es haben sich Vorstellungen, Bekenntnisse und Formen des Glaubens herausgebildet und eine Organisation der Kirche. Diese Ausformung ist wichtig; das kann Sicherheit, Heimat, Freiheit geben und zur Näch­stenliebe führen. Aber die Vorstellungen und Bekenntnisse müssen immer wieder neu in das jeweilige Denken und Empfinden übertragen werden. Die Fragen stellen sich immer wieder anders. Darum muss jede Generation die Bibel neu darauf abklopfen, was sie jetzt zu sagen haben. Sonst kann es sein, dass herkömmliche Glaubenssätze mit der Zeit vielen Menschen einfach nichts mehr bedeuten. Darum hat es immer wieder Aufbrüche gegeben, muss es immer wieder Aufbrüche geben.

Der christliche Glaube musste sich der jeweiligen Sprache anpassen. Wurde dabei der Kern bewahrt? Wir müssen den eigenen Glauben und die eigene Kirche immer wieder hinterfragen. Wir müssen sie immer an den ursprünglichen Erfahrungen bei Jesus und an dem neuen, befreienden Verständnis von Gott unter dem Kreuz überprüfen.

2.         Lebendiger Glaube, Erstarrung und Verbindung mit der Macht, neue Aufbrüche

Was ist also im Lauf der Geschichte aus dem Christentum geworden? Konnten die befreienden Erfahrungen der ersten Jüngerinnen und Jünger weitergegeben werden? Die Antwort ist vielfältig:

Ja, die christliche Botschaft hat immer wieder zu einem befreienden Vertrauen und einem Engagement im Geist der Liebe geführt.

Nein, der lebendige Glaube ist in einer Kirche, in der es um Macht und festgeschriebene Glaubensformulierungen ging, immer wieder erstarrt und hat zu brutaler Unterdrückung geführt.

Aber es hat immer wieder neue Aufbrüche gegeben, in denen man sich auf die lebendigen Erfahrungen der ersten Christen besonnen hat.

 

a          Befreiender Glaube und Engagement der Liebe

Das Urchristentum ist in dem heidnischen Umfeld aufgefallen, weil sich die Christen nicht nur umeinander gekümmert haben, sondern auch um Kranke und Not leidende Nichtchristen.[15] Neben den antiken Grundwert der Gerechtigkeit trat eine nicht an eine bestimmte Gruppe gebundene Nächstenliebe. Diese Fürsorge hat sich fortgesetzt: In den Hospizen der Klöster, als sich Johann Hinrich Wichern mit der Gründung des Rauhen Hauses für verwahrloste Jugendliche in Hamburg eingesetzt hat und in der Vesperkirche heute.

Der christliche Glaube mit seinen Riten, Geschichten und Bildern von Jesus, die Sakramente der Kirche haben im Mittelalter das Leben bestimmt. Darin wird den Menschen Vergebung zugesichert, wenn sie sich um ein rechtes Leben bemühen. Damit hat die Kirche sicher vielen Menschen Orientierung und Halt gegeben. Wir haben bei einer Studienreise in Tansania gehört, dass es gerade die Christen aus Missionsschulen waren, die sich für das Land und für soziale Gerechtigkeit eingesetzt haben.

b          Unterdrückender Glaube

Aber die Kirche hat im Namen Christi auch zu brutalen Kreuzzügen aufgerufen. Christen haben dadurch angestachelt in Mainz und anderswo Juden ermordet. Johannes Hus, der in Prag Gottesdienste in der Muttersprache gehalten hat, wurde 1415 auf dem Konzil in Konstanz verbrannt. In Martin Luther hatte das Bild von Christus im Endgericht, aus dessen Mund ein Schwert kommt, das Gefühl einer Verlorenheit ausgelöst, aus der es kein Entrinnen gab. Wo immer sich Religion absolut setzt und kein Raum mehr ist, für Menschen, die anders leben wollen, führt das zur Unterdrückung – auch heute.

c          Rückbesinnung und Aufbruch zu befreiendem Glauben

Jesus, die ersten christlichen Gemeinden – das war ein Aufbruch. Da wurde damals das in Rechtgläubigkeit erstarrte Judentum aufgebrochen, zu neuem lebendigen Glauben geführt. Das musste sich fortsetzen.

Johannes Hus – ich sagte es schon – hat ab 1402 in Prag in tschechischer Sprache gepredigt, das gemeinsame Singen während des Gottesdienstes in der Landessprache eingeführt. Er kritisierte den weltlichen Besitz der Kirche, die Habsucht des Klerus und dessen Lasterleben. Er kämpfte leidenschaftlich für eine Reform der verweltlichten Kirche, trat für die Gewissensfreiheit ein und sah in der Bibel die einzige Autorität in Glaubensfragen.

Aber erst bei Luther war die Zeit reif. Die durch ihn angestoßene reformatorische Bewegung konnte nicht mehr gestoppt werden: „Allein die Gnade, allein der Glaube, allein die Schrift“ – das war ein alter – neuer Ansatz.

Ein Aufbruch bedeutete auch der Pietismus in Württemberg, der sich von der Prunksucht und Verschwendung der Fürsten aber auch von dem in der Aufklärung absolut gesetzten Vertrauen auf die Vernunft absetzte. Man wollte sich wieder unmittelbar an der Bibel orientieren, eine neue Gemeinschaft mit einem praktischen Glauben aufbauen.

1962, vor 50 Jahren hat das Zweite Vatikanische Konzil einen Anstoß zu einer Erneuerung geben und bei vielen Katholiken zu einer Aufbruchsstimmung geführt.

 

C.        Christlicher Glaube heute: Erfahrungen und Einstellungen

Ich wiederhole noch einmal: Ausgangpunkt und Zielpunkt waren und sind die befreiende Erfahrung, die die ersten Jüngerinnen und Jünger bei Jesus und angesichts seines Kreuzes gemacht haben: Dass sie mitten in ihrem Leben – in aller Gewalt und auch angesichts des Todes – eine neue Freiheit in der Liebe Gottes gefunden haben. Dass sie in einem Geist der Versöhnung und Barmherzigkeit aufgebrochen sind. Wir können und sollen heute über alle Formulierungen und Formen des Glaubens auf diese grundlegenden Erfahrungen zurückgreifen und fragen: Für welche Erfahrungen will uns der Glaube an Jesus Christus heute öffnen? Welche Einstellungen sollen uns und unsere Gesellschaft tragen?

Es geht dabei nicht um Glaubensbekenntnisse, sondern darum, dass wir uns einmischen, im Gespräch mit anderen Christen, Muslimen, Juden und mit Menschen, die nicht an Gott glauben und vielleicht auch gar keinen kirchlichen Hintergrund mehr haben, unseren Ansatz einbringen, dafür werben.

Ich habe das in fünf Grundgedanken zusammengefasst. Hinter diesen Gedanken stehen jeweils zentrale Aussagen der Bibel, in denen Gott uns anspricht. Ich habe die neue Weise, die Welt und das Leben zu sehen, aus dem Blickwinkel der Menschen beschrieben, gleichsam als Antwort auf die Botschaft der Bibel, die Antwort auf Gottes Wort.

Diese fünf Grundgedanken möchte ich ihnen auf einem Blatt jetzt geben, damit wir dann darüber sprechen können. Ich sagte schon: Das ist en Versuch, der noch sehr kirchliche Sprache benutzt. Wir müssten das noch in den Alltag der Menschen übertragen, die darin einfach nicht zu Hause sind. Vielleicht klingen die Aussagen auch zunächst sehr allgemein. „Das kann jeder sagen.“ Aber wenn wir genauer hinschauen, werden wir entdecken, dass sie keineswegs selbstverständlich sind. Ich würde mir wünschen, dass uns Christen diese Sätze wirklich bestimmen würden. Und ich freue mich über jeden anderen, für den zu mindestens ein Teil der Aussagen in seinem Leben wichtig sind. 

 

I.    Fünf zentrale Aussagen des christlichen Glaubens und ihre Bedeutung für uns

 

1.         Der Schöpfungsgedanke      

Wir sollen unser Leben, die Gemeinschaft mit anderen Menschen und unsere Welt als etwas sehen, das uns anvertraut ist. Wir können das als Reichtum erfahren, der uns mit tiefem Dank erfüllt. Dieser Dank öffnet das eigene Leben und verbindet uns mit den anderen Menschen und mit unserer Welt. Wir glauben, dass der Reichtum der Erde allen Menschen, die heute und auch in Zukunft leben, gehört.

Erläuterungen:

-     „Mit Staunen fängt es an“ – Das ist der Titel eines Buches, das kleinen Kindern einen Zugang zum Glauben geben möchte. Das ist auch heute für Kinder und Erwachsene ein wichtiger Ansatz, mit dem sie in eine Beziehung zur Welt treten. Das kommt in der Frage „Wie funktioniert unsere Welt?“, die man Kindern heute schon im Kindergarten nahebringen will, noch nicht vor.

-     Ich persönlich habe auf dem Hintergrund von einer schweren Krankheit die Erfahrung gemacht, dass mich eine tiefe Dankbarkeit trägt. Dahinter steht für mich, dass ich mein Leben nicht als etwas Selbstverständliches sehe, das mir zusteht, sondern es als Geschenk und Aufgabe aus Gottes Hand annehme. Das hat mich dankbar gemacht für die mir gegebene Zeit und den Reichtum von Beziehungen. Und das hat mir in der schwierigen Situation Gelassenheit und Geborgenheit gegeben.

-     Der Reichtum der Erde, die Ressourcen, gesunde Luft, Wasser, gute Böden – sehen wir das als eine Lebensgrundlage für alle Menschen an oder versuchen wir die Rohstoffe einfach für uns auszubeuten. Das würde uns zustehen. Man kann auch noch weiter fragen, ob nicht jeder Reichtum – unserer Begabungen, Schaffenskraft, unser geordnetes Gemeinschaftswesen, das uns zufließende Geld als eine Gabe angesehen werden soll, mit der wir für alle Menschen wirtschaften sollen.

 

2.         Das Gebot der Liebe

Die Erfahrungen, angenommen zu sein, dass uns Güte und Mitgefühl umgibt, die können zu einem tiefen Vertrauen werden, das uns trägt und unser Leben prägt. Die anderen Menschen und wir sind darin verbunden und bekommen dadurch Bedeutung. Wir werden eine gerechte Gesellschaft suchen, in der wir füreinander einstehen. Das kann die Grundlage unserer Gemeinschaft bilden. Wir werden uns nicht damit abfinden, dass Menschen ihrer Würde beraubt werden und dass die Welt zerstört wird.

Erläuterung:

-     Das Liebesgebot steht im Zentrum des Alten Testaments, des Christentums und des Islams; es gehört aber auch zum Buddhismus. Es ist auch die Grundlage für Humanisten – ob sie von Gott reden oder nicht.

-     Es darf dabei nicht nur um den nahen, überschaubaren Bereich gehen. Wir müssen – wenn wir den Lebensraum auf der Erde erhalten wollen – auch die Verantwortung für eine über unsere Lebenszeit hinausreichende Zukunft übernehmen.

-     Als bloße Forderung kann uns das Gebot der Nächstenliebe überfordern. Wir müssen uns immer auch mit unserer Unfähigkeit zu lieben, mit Hassgefühlen, mit Gleichgültigkeit von uns und unserer Gesellschaft und mit der erfahrenen Ohnmacht auseinandersetzen.

-     Die Bibel sieht als Grundlage der Nächstenliebe die uns von Gott geschenkte Liebe. Aus dem „Du sollst lieben!“ wird ein Angebot: „Du darfst dich von einer tiefen Liebe ansprechen lassen, sie in deinem Leben wahrnehmen. Das gibt dir Kraft und macht dich frei, offen den anderen Menschen wahrzunehmen und dich mit ihm zu verbinden. Wir brauchen Zeit, die uns zugesprochene Liebe aufzunehmen. Sonst werden wir atemlos und setzen andere in vermeintlicher Liebe unter Druck. Sonst kann Liebe in Verbitterung umschlagen.

 

3.         Versöhnung und Vergebung            

Wir dürfen von einem grundlegenden Ja zu uns selbst, zu anderen Menschen und zu unserer Welt ausgehen. Dieses Ja bezieht sich auf den ganzen Menschen. Es schließt unsere eigene Zerrissenheit, Schuld und Not ein und stellt sich ihnen zugleich entgegen. Wir müssen das Böse nicht von uns abspalten und auf andere projizieren. Wir können vergeben, versöhnen und so Frieden stiften.

Erläuterung:

-     Das entspricht dem Handeln Jesu; das hat er in Gleichnissen deutlich gemacht. Darum geht es, wenn Paulus sagt, dass wir einfach die Gnade Gottes annehmen dürfen und nur so aus dem Kreisen um die eigene Gerechtigkeit herauskommen – dass wir so frei werden uns wirklich dem anderen zuzuwenden.

-     Das wurde durch die Aussage, dass Jesus Christus für unsere Sünden gestorben sei[16], weitergegeben. Das gilt ein für alle Mal. Das wird in der Taufe dem Menschen zugesprochen; daran dürfen wir uns einfach halten.

-     In diesem Ja finden wir eine Distanz zu uns und unserer Welt. So können wir erkennen, wenn wir uns auf uns selbst eingrenzen – in uns selbst verkrümmt[17] sind. Gerade diese Distanz macht es möglich, sich dem Leben ehrlich zuzuwenden. Wir merken, wie wir in die Dynamik unserer Zeit eingebunden sind und dabei andere Menschen an den Rand drücken.

-     Versöhnung mit uns selbst und mit Gott – das kann ein langer Weg sein, das ist ein Prozess. Versöhnung mit anderen ist eine nicht immer leichte Aufgabe.

-     Vergebung heißt, dass wir mit der Schuld und ihren Folgen leben können. Vergeben gibt uns die Kraft, uns damit auch auseinander zu setzen.

 

4.         Die Botschaft vom Kreuz und von der Auferstehung

Die Deutung, dass in dem am Kreuz hängenden Jesus Gott neu begegnet, verändert ein Denken, das auf Macht setzt und sich um die eigene Bereicherung dreht. Wenn wir uns diesem Gott zuwenden, kann das Wunder geschehen, dass wir auch dann an Liebe, Erbarmen und Vergebung festhalten, wenn uns Brutalität, Leiden und Tod begegnen.

Erläuterung:

-     Das Kreuz richtet unseren Blick darauf, wie wir in menschenverachtende Brutalität verstrickt und Leiden und Tod ausgeliefert sind. Es ist ein Zeichen, das uns mit den leidenden Menschen verbindet. Die Erfahrung von Liebe auch angesichts der Vernichtung, wurde als ein Wunder erlebt, das alle Grenzen sprengt: Die Ohnmacht und der Hass werden durchbrochen. Wir können von dieser Erfahrung erzählen und darauf hoffen, dass auch bei uns das Wunder geschieht, dass wir in Freiheit und Liebe wieder aufbrechen.

-     Jesus und die ersten Christen sind davon ausgegangen, dass die Toten auferstehen werden und dann vor Gottes Gericht treten müssen. Diese Anschauung ist 200 v. Chr. von den Zoroatristen in des Judentum eingedrungen, war aber auch zurzeit Jesu umstritten[18]. Wir müssen die Botschaft von der Auferstehung Jesu davon unterscheiden. Da geht es darum, das Ja Gottes, die Liebe gegen den Hass und gegen die Verzweiflung heute zu stellen.

-     Wir dürfen in einer tiefen Geborgenheit leben. Wir dürfen – im Bild gesprochen – unser Leben aus Gottes Hand nehmen und es in seine Hand wieder zurücklegen. Vorstellungen von einem Jenseits mit Himmel und Hölle bleiben schwierig, gehen über unser Denken und Verstehen hinaus. Aber die Frage, ob man in einem Jüngsten Gericht bestehen kann, kann hilfreich sein, sein Leben immer wieder auch von außen zu betrachten. Wenn wir allerdings auf eine Belohnung spekulieren oder aus Angst vor ewiger Strafe handeln, wird die Liebe zerstört.  

 

5.         Die Botschaft vom Reich Gottes

Das Reich Gottes beschreibt eine Gesellschaft, in der die Menschen ohne Angst frei und in Frieden leben können. Die Hoffnung darauf lässt uns unsere Welt mit anderen Augen sehen. Wir nehmen wahr, was heiles Leben sein kann und soll. Sie gibt uns so ein Leitbild, an dem wir uns orientieren können. Sie setzt uns in Bewegung, ohne dass wir es aus unserer Kraft je verwirklichen könnten.

Erläuterung:

-     Jesus hat ganz im Blick auf das Reich, bzw. der Herrschaft Gottes gelebt. Die Urchristenheit hat mit dem Kommen des Reiches Gottes noch zu Lebzeiten gerechnet. Erstaunlicherweise hat das Ausbleiben des Reiches Gottes nicht zu einer großen Krise geführt. Die Erfahrung, dass „bei Jesus das Reich Gottes schon mitten unter uns war“ konnte im eigenen Leben neu erlebt werden, wenn die Gemeinde in seinem Geist zusammen gekommen ist. Und zugleich wusste man, dass das Reich Gottes noch aussteht. Wir leben in einer Welt, die nicht von Liebe bestimmt ist, in der Menschen leiden. Wir können dieser unserer Welt im Geist der Liebe begegnen und immer wieder für Menschlichkeit eintreten, selber heilen, trösten, versöhnen.

 

II.        Gespräch über die für uns zentralen Aussagen

Versuch, die binnenkirchlichen Ausdrücke in den Aussagen in eine profane Sprache umzuformulieren:

 

1.         Der Schöpfungsgedanke

Es geht um unsere Beziehung zu unserem eigenen Leben, zu andren Menschen und den Gemeinschaften, in denen wir leben, und zu unserer Welt. Wir können sie als etwas sehen, was nicht selbstverständlich ist. Wir können dazu in eine echte Beziehung treten. Unser Leben, der andere Mensch, die Gemeinschaft, die Natur sind uns wichtig. Wir können einen großen Reichtum darin sehen, darüber staunen. Und wir sollen dafür Verantwortung übernehmen. Wir treten dafür ein, dass die knappen Ressourcen allen Menschen zugute kommen und auch für die nächsten Generationen erhalten bleiben. Wir wollen einen gesunden Lebensraum bewahren.

 

2.         Das Gebot der Liebe

Wir halten es für entscheidend, dass wir selbst und die anderen Menschen erfahren, dass sie angenommen, bejaht sind und zu der Gemeinschaft gehören. Diese Erfahrung macht es möglich einander mit Verständnis, Achtung und in einer tiefen Menschlichkeit zu begegnen. Damit entsteht zu uns selbst und zu anderen eine tiefe Verbindung, die unser Tun bestimmt. Das macht unser Leben und das Leben anderer wichtig.

 

3.         Versöhnung und Vergebung

Es ist wichtig, dass wir uns selbst und den anderen Menschen, dass wir unserer Welt positiv, mit einem Ja begegnen. Das soll sich auf den ganzen Menschen beziehen mit seinen guten, starken Seiten und auch mit seinen Schwächen, seiner Not, einer inneren Unsicherheit und Zerrissenheit, mit seiner Schuld. Dann ist es möglich, sich damit auseinander zu setzen, sich selbst und anderen Menschen gegenüber barmherzig zu sein. Dann kann es gelingen wieder Schritte zur Versöhnung zu tun und auch mit den dunklen Seiten zu leben.

 

4.         Die Botschaft vom Kreuz und von der Auferstehung

Das Leben und die Welt sind nicht heil. Wir sollen hinschauen. Die Gewalt, die wir sehen, erschreckt uns. Wir merken, wie wir dagegen ohnmächtig sind und wie wir selber in ein Leben eingespannt sind, das andere Menschen an den Rand drängt und die Welt zerstört. Es ist wichtig, dass wir nicht resignieren, nicht zynisch werden und uns auch nicht achselzuckend damit abfinden. Menschen haben erlebt, dass sie nicht aufhören müssen an einer tiefen Liebe festzuhalten. Da sind die Probleme nicht verschwunden, aber der Spielraum zum Leben wird größer. Es bleibt Hoffnung, Raum und der Wille, dass etwas wieder in Ordnung kommen kann. 

 

5.         Die Botschaft vom Reich Gottes

Es ist möglich immer wieder über den gegenwärtigen Zustand hinaus zu blicken und danach fragen, wie unsere Leben, das Zusammenleben, die Gestaltung der Welt gut sein kann. Solche Visionen lassen uns wahrnehmen, was nicht in Ordnung ist. Sie können unsere Fantasie anregen und uns den Elan geben, für positive Veränderungen einzutreten. Wir dürfen aber nicht versuchen, unsere Visionen mit Gewalt durchzusetzen. Wir dürfenuns auch nicht in Träumen von einer guten Welt verlieren.  


[1] 5. Mose 6,5

[2] 3. Mose 19,18

[3] 3. Mose 19,34

[4] Ps 146,9

[5] Ps 103,1-5

[6] 1. Mose 12,2

[7] Jes 65,17ff

[8] 1. Mose 2,15

[9] Ps 104,24

[10] Lk 15,1-7

[11] Barmherziger Samariter Lk 10,25-37

[12] 1. Sam 17

[13] Jes 52,13-53,12

[14] Hellenisierung des Christentums (http://www.roland-sinsel.de/00000095fb12c3713/c472119a191102407/index.html)
Kaum war es entstanden, wurde das Christentum mit der hellenistischen Welt des Römischen Reiches konfrontiert. Vielleicht schon im Todesjahr Jesu schlossen sich þ noch in Jerusalem þ griechisch sprechende Juden aus der Diaspora dem Christentum an, aus deren Kreisen bald die meisten Missionare stammten. Schon nach wenigen Jahren wurden auch »Heiden« getauft, und einige Generationen später stellten sie schon die Mehrheit der Christen; ab der Mitte des 2. Jahrhunderts spielten Judenchristen in den Gemeinden als ethnische Gruppe kaum noch eine Rolle. Judenchristliche Theologie wurde nur noch literarisch, durch die Bibel, vermittelt.

Christ wird nur, wer seine Fragen und Hoffnungen mit Jesus verbindet und ihn als deren »Lösung« ansieht. Deswegen brachten Juden aus der Diaspora und, erst recht, »Heiden« ihre Mentalität, ihr Denken, ihr Wissen, ihre Ängste und Erwartungen ins Christentum ein; ihre hellenistischen Vorstellungen begannen, Liturgie, Ethik, Institutionen und Theologie zunehmend zu beeinflussen.

Seit den Eroberungen Alexanders des Großen war der östliche Teil des Mittelmeerraums und Vorderasien zu der synkretistischen Kultur des Hellenismus zusammengewachsen, die weithin von griechischem Denken, griechischer Sprache þ sie wurde die Gebildeten- und Geschäftssprache, »koiné« þ geprägt war, aber auch orientalische Strömungen und weitere regionale Einflüsse in sich aufgenommen hat. Die Einbeziehung dieses Raumes in das Römische Reich hatte zur Folge, dass sich der Hellenismus auch im Westen etablierte, seinerseits aber auch von römischen Ordnungsvorstellungen beeinflusst wurde.

Die Gestaltformen des Hellenismus sind vielfältig, und das gilt auch für seine religiösen Prägungen. Griechische und römische Gottheiten, zu Hause weiterhin im Sinne ihrer lokalen Traditionen verehrt, fanden Verehrung im ganzen Mittelmeerraum, lösten sich von ihrer heimatlichen Bindung, wurden zueinander oder zu anderen lokalen Gottheiten in Beziehung gesetzt oder miteinander identifiziert. Diese Nivellierung der Individualität der Götter verstärkte den Trend zu einer kosmischen Religiosität. Auch Mysterienkulte griechischer, asiatischer oder ägyptischer Provenienz kamen der Erlösungssehnsucht vieler Menschen entgegen und verbreiteten sich im ganzen Reich. Daneben gab es gnostische Strömungen, und auch die Philosophie gewann Züge religiöser Sinnstiftung. Allen gemeinsam ist, dass der Mensch sich als (wichtiges) Teil im Räderwerk des Kosmos sieht und dieser selbst in seinen letzten, geistigen Seinsgründen als göttlich betrachtet wird. Die Geschichte, deren Abläufe sich immer neu wiederholen (zyklische Auffassung) oder auch nur die szenische Darstellung metageschichtlicher Kausalitäten (statische Auffassung) sind, spielt für die religiöse Orientierung keine Rolle. In diesem kosmozentrischen Verstehen wurde die Bindung oder Verhaftung an das Materielle und an die Geschichte, somit Kontingenz und Endlichkeit, als negativ wahrgenommen; die äußersten Hoffnungen richteten sich darauf, diese Fesseln abzulegen und in den Bereich des Unendlichen, Geistigen, Göttlichen zu gelangen.

Das Christentum, aufgrund seiner jüdischen Herkunft eine sehr stark an der Geschichte und ihren handelnden Personen, vor allem an Jesus, interessiert, wurde zunehmend von hellenistischen Verstehensweisen geprägt. Der in der jüdischen Religion und bei Jesus persönlich vorgestellte Gott wird jetzt zur unwandelbaren und allmächtigen Fülle des Seins, tragender Grund des Kosmos und Ziel und Wirkursache des Alls. Aus dem Menschen Jesus, der im Auftrag des Vaters die Zeitenwende herbeiführt, wird der Mensch, der unsere Vergöttlichung bewirkt; dazu ist er imstande, weil er zugleich Mensch und Gott ist. Es bildet sich die Vorstellung von seiner ewigen Präexistenz und seiner Inkarnation aus, wie sie im Philipperbrief (2,6þ11), im Johannesprolog oder in der altkirchlichen Christologie zu finden ist. Trinitarische und christologische Auseinandersetzungen bestimmen die theologische Entwicklung des gesamtchristlichen Altertums.

Darüber hinaus wurden so gut wie alle christlichen Motive auf eine hellenistische Weise neu interpretiert oder wenigstens mit neuen Assoziationen verbunden: Die »Auferstehung des Fleisches«, jüdisches und judenchristliches Symbol der Hoffnung auf Gültigkeit von Geschichte, wird als Wiederbelebung des Leibes þ Geist ist nach griechischer Vorstellung ohnehin unsterblich þ verstanden; der Mensch, in der Bibel immer als ganzer vorgestellt, wird jetzt in zwei (Leib und Seele) oder drei naturale Bestandteile (Leib, Psyche, Geistseele) aufgegliedert. Die Hoffnung auf ein künftiges, baldiges erlösendes Handeln Gottes wird transponiert zu einem überweltlichen, metaphysischen Heil (Ent-eschatologisierung). Die bisher auf das vergangene Heilshandeln Gottes bezogenen Gottesdienste, die vor allem Gedächtnisfeiern Jesu waren, werden jetzt zu heiligen Mysterien, in denen die sakrale Gegenwart des Göttlichen erfahren wird; aus der Geschichtserinnerung wird die präsentische Erfahrung Gottes. Überhaupt setzt bald ein umfassender Sakralisierungsprozess ein, bei dem auch ursprünglich »profane« christliche Gegebenheiten jetzt sakral interpretiert wurden: Aus dem »Ältesten«, Presbyter, und »Aufseher«, Episkopos, wurde ein sakraler »Priester«, aus dem »Gedächtnis Jesu« ein »furchtbares Mysterium«, das vom Bereich des Profanen auszugrenzen ist, aus der Todeshingabe Jesu þ einem »Opfer« in übertragenem Sinn þ ein rituelles »Opfer« am Kreuz. Die Forderungen der Nachfolge Jesu wurden zunehmend auf eine griechische Weise konkretisiert: als Nicht-Bindung an Besitz, Sexualität, eigenen Willen und somit als ein geistliches, nicht der Materie verhaftetes Leben.

Der Hellenismus im Römischen Reich kannte aber auch große Regionen, in denen die ursprünglichen Kulturtraditionen noch eine größere Bedeutung behalten konnten; das gilt vor allem für die syrischen und lateinischen Reichsteile. Dort traten spezifisch hellenistische Motive ein wenig zurück, stattdessen bildeten sich eigene Schwerpunkte aus. Dennoch aber lässt sich für die ganze christliche Antike ein tiefreichender Hellenisierungsprozess feststellen. Weil die großen ökumenischen Konzilien diese Theologie dogmatisierten, wurde sie zum verbindlichen Erbe der nachfolgenden christlichen Epochen.

Prof. Dr. Karl-Heinz Ohlig, (c) Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2003

[15] Der antike Philosoph (Plantoniker) des 2. Jahrhunderts Kelsos (Celsus) schreibt davon: „Jede Gemeinde unterstützte zahlreiche Witwen, Waisen, Kranke, Greise, linderte das Los der Gefangenen, erwirkte womöglich ihre Freiheit. Besonders in Verfolgungen und großen Nöten wie Pestausbrüchen haben die Christen an Brüdern und auch an Heiden bewunderswürdige Taten der Selbstaufopferung verrichtet.“ Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, Tübingen 1956, S 42

[16] „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Joh 3,16

[17] Martin Luther: „homo incurvatus in se ipsum“,  Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche [BSLK] (Göttingen: Vandenhoeck. & Ruprecht, 1930, 1991) 510–11. 30

[18] Die Sadduzäer glaubten anders als die Pharisäer nicht an Ewiges Leben, Mk 12,18