ausgewählte Predigten
von
Rudolf
Lughofer
Ihr wart tot - '
nun seid ihr wieder lebendig
Predigt, Liebe Gemeinde, Jesus und seine Jünger ziehen durch Galiläa. Sie kommen in ein Dorf. Dort wohnt Martha. Sie lädt Jesus zu sich ins Haus ein. Sie führt die Gäste in den Innenhof. Dann macht sich dran, dafür alles schön zu richten. Das ist doch wichtig! Die Jünger lassen sich rings um Jesus nieder. Auch Maria, die Schwester von Martha setzt sich einfach zu Jesus und hört zu. Sollte sie nicht mithelfen. Und überhaupt – das war bei einer Frau ungewohnt. Können wir Maria verstehen? Versuchen wir uns in sie hineinzudenken. Setzen wir uns in Gedanken neben sie. Jesus beginnt zu reden; er erzählt ein Gleichnis – wir haben es vorhin gehört: Ein Hirte hatte hundert Schafe, die er an den Hängen eines Berges hütete. Eines dieser Schafe kletterte immer höher, immer weiter in die Felsen hinein. Plötzlich hört der Hirte weit oben ein klägliches Schreien. „Das ist mein Schaf! Es muss sich in den Dornen verfangen haben. Es muss mit einem Fuß in eine Spalte geraten sein. Vielleicht findet es auch einfach seinen Weg nicht mehr zurück. Ich muss es holen.“ Der Hirte macht sich sofort auf den Weg, um das Schaf zu befreien. Während Jesus so redet, ist Martha inzwischen in der Küche geschäftig. Sie muss doch den Gästen etwas vorsetzen. Sie bereitet schnell ein Mahl zu, schaut nach, ob noch Wein da ist, überlegt, wie sie alles schön richten kann. Maria – jetzt sollte Maria ihr doch helfen. Und sie ruft schon unter Stress: „Maria, wo bist du? Hilf du mir doch! Ich habe alle Hände voll zu tun.“ Das war auch im Innenhof zu hören. Aber Maria rührt sich nicht; sie bleibt einfach sitzen. Was geht jetzt in Maria vor? In ihr hat sich eine seltsame Ruhe ausgebreitet. Sie hört nur zu. In ihren Gedanken und mit ihren Gefühlen ist sie ganz in der Geschichte. Dieses schreiende Schaf – sie hört in sich das verlorene Rufen – dieses Gefühl, verlassen zu sein, die tiefe Angst. Manchmal würde sie gerne auch einfach so schreien. Ja, wenn sie darauf vertrauen könnte, dass da ein Hirte ist, der sie hört, der sie sucht, ein Hirte, der ihr nachsteigt, wenn sie sich selbst nicht mehr befreien kann, wenn sie die Orientierung verloren hat. Da ist Martha, ihre tüchtige Schwester. Die hat alles im Griff. Sie, Maria, kann das nicht so. In ihr sitzt ein tiefer Zweifel, ob sie das Leben auch richtig packt, ein Zweifel an sich selbst. Aber eigentlich möchte sie auch nicht wie ihre Schwester sein, immer hektisch, immer so stark, so absolut sicher – jedenfalls nach außen – ohne Zweifel, ohne Krisen. Das kann sie nicht; das will sie nicht. Sie hört, wie Martha geschäftig ist, sie weiß, was Martha von ihr erwartet. Aber dann schaut zu Jesus und bleibt einfach weiter sitzen und hört nur zu. Jesus erzählt: Der Hirte macht sich ganz selbstverständlich auf den Weg. Er muss sein Schaf suchen. Ist das nicht ganz klar? Ja, diesem Hirten ist das schreiende Schaf nicht egal. Es gehört zu seiner Herde. Es ist ihm jetzt ganz besonders wichtig. Innerlich eilt Maria mit dem Hirten den steilen Berg hinauf. Sie möchte das Schaf befreien, es in ihre Arme nehmen. Und Jesus erzählt, wie der Hirte das Schaf findet und es über die Schultern legt. Er trägt es herunter wie einen kostbaren Schatz. Maria spürt, wie der Hirte trotz der Last ganz leicht ist und sie, Maria, mit ihm. Und sie hört, wie er Freunde und Nachbarn ruft: Freut euch mit mir! Freu dich mit mir, Maria! „So“, sagt Jesus, „ist im Himmel Freude über einen Sünder, der Buße tut und gerettet wird.“ Eine himmlische Freude, die alles aufsprengt – Maria ist, als wäre schon jetzt, hier in dem Innenhof, hier bei Jesus ein Stück von dem Himmel. Sie spürt in sich neues Leben, Wärme, ein tiefes Vertrauen. Meine Schreie verhallen nicht im Leeren. Und – es geht nicht nur um mich, um meine Sorgen. Ich soll, ich kann selbst mitgehen, das verlorene Schaf suchen. Und da spürt Maria in sich ein ganz neues Leben. Und zugleich ist sie mit den anderen Menschen einfach verbunden: „Ich lebe, ich nehme mich wahr und kann ja zu mir sagen. Und ich nehme die anderen Menschen um mich herum wahr und kann sie bejahen. Sie gehören zu mir. Ich sehe das Leben aus ihrem Blickwinkel. Das Schaf ist gerettet. Und die Menschen, die die Liebe, die Wärme verloren haben – sie können umkehren. Ich bin gerettet, schon jetzt. Wir sind gerettet. Wir können uns miteinander freuen, danken. Wir können einander können und füreinander statt gegeneinander leben. Wir können mit der Spannung in uns, mit dem Riss zwischen uns leben. Die Welt ist offen; wir können uns in Liebe auf den Weg machen. Maria ergreift eine tiefe Dankbarkeit. Sie schaut herum in die Gesichter der anderen Frauen und Männer. Und sie sieht auch darin etwas glänzen. Diese Geschichte – es ist unsere Geschichte; sie schließt uns zusammen. Maria ist glücklich. – Träumt sie? Vor ihren Augen verändert sich die Welt. Dürfen wir mit ihr von einer Welt träumen, in der einer nach dem anderen schaut? Da darf man rufen, wenn man sich verfangen hat, wenn man versagt hat. Da kommt jemand – nicht um einen noch einen Tritt zu geben, sondern einer, der einen freundlich anblickt, Mut macht, zuhört und hilft, wieder einen Weg zu finden. „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Jesus hat immer wieder davon gesprochen. Aber das war nicht nur eine Träumerei. Jesus wusste: Die Welt sieht ganz anders aus. Da ist es verdächtig, an Versöhnung zu glauben, an einer friedlichen, und humanen Gemeinschaft festzuhalten. Da scheint es so aussichtslos zu sein, den Lebensraum zu bewahren. Man mogelt sich durch, belügt sich selbst und andere. Müssen wir resignieren, zynisch werden, über den anderen Menschen hinweg gehen? Maria und die anderen im Kreis spüren: Aber da bei Jesus, da ist wirklich schon ein Stück von dem Reich Gottes. Und wenn wir jetzt wieder auseinander gehen, jeder in seinen Alltag – wir tragen diese Erfahrung in uns. Es ist nicht dass Bild von einem fernen Himmelreich, es ist eine Liebe, ein Weite, in der wir anders sehen. Da ist unsere Welt offen. Da fällt ein neues Licht auf uns. Da ist es, als wäre Gott unmittelbar bei uns – in dieser Geschichte – bei dem Schaf – bei Maria – in diesem Kreis der Jünger. Da bleibt die Welt offen, auch wenn uns Ablehnung begegnet, wir nicht zurecht kommen, wenn man zerstört. – Warum ist Martha nicht dabei? Sie sollte doch auch dazu gehören; sie sollte doch auch diese Weite und Freude spüren! Können wir uns zu Marie in diesen Kreis setzen und einfach zuhören, uns einfach mitnehmen lassen, den Schrei des verlorenen Schafes hören und den Schrei nach Leben in uns? Uns berühren lassen: „Freut euch mit mir!“ – dass wir uns freuen, wenn wir über Grenzen zusammenkommen, Schwache und Starke, Erfolgreiche und Leute, die ihrer selbst nicht so sicher sind. Leute, die offen aufeinander zugehen können und andere, die sich abschließen. Leute mit deutschem und türkischem, kroatischem, griechischem, afrikanischem Hintergrund – Atheisten, Christen, Muslime, Juden. Dass wir unter uns ein tiefes Erbarmen spüren, eine Verbundenheit und Solidarität, dass wir uns miteinander freuen, danken und bitten. Wir müssen noch einmal zurück zu unserer Geschichte. Martha fühlt sich ausgenützt. Sie kann es nicht aushalten, dass sich Maria von der Arbeit befreit hat, dass sie, statt die Brote zu schneiden, das Lamm zuzubereiten, einfach zuhört. Sie sollte doch auch so sein wie sie, Martha, die ihre Aufgabe kennt und da richtig funktioniert. Sonst gibt es doch ein Chaos. Ist Martha froh? Sie ist in Hektik. Die Zeit ist knapp. Da ist noch so viel zu tun. Martha weiß, was sich gehört, sie muss dem entsprechen. Ja, sie funktioniert. Und dabei hat sie sich vielleicht auch verstiegen. Um das nicht falsch zu verstehen: Die verantwortungsvolle tägliche Arbeit ist wichtig. Wir müssen unsere Aufgaben erledigen, Geld verdienen, mit den Kindern spielen, lernen, den Rasen mähen, uns in unserem Beruf einsetzen. Aber man kann sich dabei auch verheddern. Man kann dabei die Liebe verlieren. Vielleicht würde Jesus gar nicht lange in ihrem Hause bleiben, vielleicht wollte er nur dieses eine Gleichnis erzählen. Man kann die rechte Zeit versäumen. Martha hält es nicht mehr aus; sie geht in den Innenhof und tritt vor Jesus: „Meister, siehst du nicht, wie ich hier schaffe? Ich mühe mich ab. Ich tue das für dich und deine Freunde. Aber meine Schwester, die Maria dort, die kümmert sich überhaupt nicht darum. Sage ihr doch, sie soll jetzt rauskommen und helfen, das Essen zu bereiten.“ „Martha, Martha!“ Und Jesus blickt in das verärgerte Gesicht. Er möchte ihr nicht wehtun, sondern ihr helfen. Er möchte, dass sie auch von dem erfüllt wird, was er in seiner Geschichte ausgedrückt hat. Und dann sagt er zu ihr – nicht als Kritik, sondern als eine Einladung: „Maria hat den besseren Teil erwählt.“ – „Maria hat den besseren Teil erwählt.“ – Ich möchte das als Provokation für mich mitnehmen. Amen.
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