Vortragsreihe:

 

             Heute von Gott reden

 

                 Rudolf  Lughofer

 

 

 Startseite

 

  Albert Schweitzer 

 

   Gespräch mit dem Islam

 

   Heute von Gott reden  

 

  Wie kam es zu der Säkularisierung

  1500 - 2010

 

  Wie redet die Bibel von und mit Gott

 

  Wie können wir heute von Gott reden 

 

 Ansätze für eine Ethik heute 

  

 Was haben wir als Christen
 einzubringen
 

 

 

  Predigten

  

 

   Impressum                   

 

»Was ist gut, was ist böse, was sollen wir tun? – Ansätze für eine Ethik heute«

Vortrag im Waldeckkulturforum am 16. Februar 2012, Rudolf Lughofer

 

Ausgangsfragen. 2

I.     Würde des Menschen, des Lebens, der Natur2

1.    Die Macht der Würde. 2

2.    Würde im persönlichen Umfeld. 3

3.    Die Menschenrechte. 4

4.    Der ethische Anstoß der Bibel5

a.      Gebote. 5

b.      Schöpfung. 6

c.      Gnade und Hoffnung. 7

5.    Albert Schweitzer: Ehrfurcht vor dem Leben. 7

6.    Die Bedeutung der Würde des Menschen in unserem Kontext8

Pause. 9

II.           Das Prinzip Verantwortung. 9

1.    Verantwortungsethik und Gesinnungsethik. 9

a.      Die Balance suchen. 9

b.      Der berechtigte Schutz eigener Interessen. 9

2.    Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. 10

III.          Ethik im Diskurs. 11

1.    Das Konzept der Diskursethik. 11

2.    Beteiligung der unterschiedlichen Interessengruppen. 12

3.    Das Projekt Weltethos. 12

IV.          Resümee. 13

Gespräch. 14

Schlussgedanke. 14

 

 

Ausgangsfragen

Bei der Ausarbeitung des Referats haben mich zwei Gedanken bewegt:

1.         Der erste Gedanke: Wir sind selbst dafür verantwortlich, welche ethischen Einstellungen wir haben. Mehr noch: Wir sind auch mit dafür verantwortlich welche ethischen Einstellungen unsere Gesellschaft bestimmen. Woran orientieren wir uns dabei?

Wir haben als Kinder gelernt, was gut und böse ist. Vieles hat uns geprägt. Wichtig ist, dass wir das Überkommene bewusst in unser Leben übernommen haben. Anderes haben wir auch bewusst abgestreift, weil es uns nicht richtig oder jedenfalls nicht nötig zu sein scheint. Es geht aber nicht nur um einzelne Einsichten. Wir sind eben auch verantwortlich für unsere tieferen Überzeugungen und für unsere Lebensform. Wir haben die Verantwortung für unser ganzes Leben[1]. Wir müssen auch die eigene Grundausrichtung finden: Wie wollen wir sein, woran wollen wir uns halten und orientieren?

Da Ethik nicht nur den einzelnen betrifft, sondern immer die Gemeinschaft, müssen wir uns miteinander fragen, was gut und was böse ist, was wir tun sollen. Jeder in unserer Gesellschaft bestimmt den Geist und die Werte dieser Gesellschaft mit. Manchmal können einzelne durch engagierte Äußerungen und Einsatz die allgemeine Meinung prägen – zum Guten und zum Schlechten. Wofür sollen wir uns einsetzen? Wir brauchen ein inneres Gegenüber für unser Leben und unser Engagement. Das muss wohl weniger eine feste Anschauung sein als eine Dynamik, die uns bewegt.

2.         Der zweite Gedanke, der mich bewegt hat: Was gibt uns als einzelne und als Gemeinschaft nicht nur Orientierung, sondern auch die Kraft, ethisch zu handeln? Wennwir uns für ein gutes, ein menschliches Leben einsetzen, dann müssen wir das auch gegen Widerstände und über unser kurzfristiges Interesse hinaus tun. Wir brauchen eine innere Sicherheit, die uns unabhängig macht, in all den Anforderungen unabhängig gegenüber den unterschiedlichen Erwartungen zu bleiben. Wir brauchen ein Fundament, das uns Freiheit gibt. Damit stellen sich die Fragen: Was bindet uns, was treibt uns an, was verpflichtet uns, dass wir uns für ein Leben in Würde und gegen Unrecht und Leid einsetzen? Da muss etwas Unmittelbares dahinter stehen, etwas, das den Kern meines Lebens ausmacht. Was ist das für mich, für Sie, für uns miteinander?

Diese Gedanken einmal vorweg. Ich möchte nun in drei Abschnitten vorgehen – zunächst geht es um die Orientierung. Entscheidend scheint mir hier das Stichwort »Würde« zu sein, zunächst Würde des Menschen. Man muss das aber vielleicht auch auf alles Leben und sogar auf die unbelebte Natur ausweiten. In einem zweiten Schritt geht es dann darum, dass unser Tun in unserem Leben und in unserer Welt konkret verankert ist. Dazu die Überschrift »Das Prinzip Verantwortung«. In einem dritten Teil werden wir schließlich fragen: Wie können wir heute in einer so offenen Gesellschaft zu ethischen Entscheidungen kommen? Die Überschrift heißt deshalb: »Ethik im Diskurs«. Am Schluss fasse ich die mir wichtigen Gedanken in einem Resümee zusammen.

 

I.         Würde des Menschen, des Lebens, der Natur

1.    Die Macht der Würde

„Die Macht der Würde“ – so heißt eine Sammlung von Beiträgen führender Leute, die zum Kirchentag in Köln 2007 herausgegeben wurde. Dass dem Menschen eine besondere Würde zukommt, davon sind viele alte Religionen und philosophische Schulen ausgegangen. Dieser Gedanke hat dann vor allem die Neuzeit bestimmt. Gerade angesichts der Erfahrung, dass die Würde von Menschen an vielen Stellen mit Füßen getreten wird, kann der Ansatz bei der Würde heute eine Brücke über alle Grenzen der Religionen, Weltanschauungen und Nationen schlagen. Dieser Ansatz ist ein positiver Gedanke; er geht von einem absoluten Ja zum Leben aus. So kann er auch für die Menschen heute zu einer positiven Kraft werden und uns dazu zusammenschließen, dass wir uns gemeinsam für die Wahrung der Würde des Menschen einsetzen.

Dabei nimmt dieser Ansatz auf, wie Jesus in der Geschichte vom Barmherzigen Samariter den Blickwinkel verändert hat: Es geht nicht um unsere Taten der Nächstenliebe, sondern es geht um den anderen Menschen, um sein Leben, seine Würde. Mit dem Begriff Würde werden freilich zugleich unser Leben, unser Einsatz in eine Dimension gehoben, in der sie Bedeutung, einen Sinn bekommen. Wenn wir dem anderen in Achtung begegnen, bekommt das eigene Leben Würde. Diese tiefere Dimension steht als Kraft dahinter, wenn wir uns für ein Miteinander in Würde einsetzen.

Der Mensch ist eingebettet in das vielfältige Leben und in die gesamte Natur. Die Natur – das ist Schönheit, Heimat, ist auch Kampf und Tod. Dabei nehmen wir sie aus unserem Blickwinkel wahr. Und es kommt auf uns an, ob wir ihr mit Staunen und Achtung begegnen. Sie ist auf jedenfalls unsere Lebensgrundlage.

 

2.    Würde im persönlichen Umfeld

Es gibt die Würde, die eine bestimmte Person ausstrahlt. Mit Menschenwürde ist etwas anderes gemeint. Ich nehme im Folgenden Gedanken von W. Hörle auf. Die Würde kommt in gleicher Weise allen zu, es geht um „das mit dem Dasein als Mensch gegebene Anrecht auf Achtung als Mensch“[2]. „Der Begriff der Achtung ermöglicht es, Menschenwürde als einen Begriff der Beziehung zu verstehen. … wer den anderen achtet, nimmt in ihm das Besondere und Unverwechselbare wahr. … Würde ist also weniger … als eine Eigenschaft des Menschen zu sehen. sondern sie ereignet sich in der Anerkennung und Achtung der Würde anderer …[3] Im Begriff der Menschenwürde werden die Grundbedürfnisse nach Schutz, Zugehörigkeit und Integrität angesprochen[4] Nun können Menschen auch aus sich selbst heraus in ihrer Würde gefährdet sein. … Man stellt eine starke Zunahme von Depression in kapitalistischen Gesellschaften fest. Ihre Allgegenwart „ist ein Indiz für ein überfordertes Ich, das in der Gesellschaft keine Möglichkeit hat, sich Hilfe oder die Achtung von anderen zu holen. … Ein Ich das sich in Lethargie zurückzieht, gibt von vornherein seine eigene Würde preis … Und dies ist dann eben ein gesellschaftliches Phänomen, wenn immer mehr Menschen vor ihren eigenen Ansprüchen resignieren und durch Krankheit aus dem Prozess des gesellschaftlichen Lebens aussteigen.“ 

Würde ist also nicht ein Zustand, sondern ein Geschehen: Dass wir uns selbst und anderen in einer tiefen Achtung begegnen, dass man sich und den anderen Menschen wahrnimmt, seinen Raum achtet, dass wir uns für würdige Lebensbedingungen einsetzen. Wenn wir unsere und des anderen Würde achten wollen, werden wir Konflikte so regeln, dass wir einander nicht verletzen, dass wir das eigene und das fremde Recht ernst nehmen. Es geht darum, dass wir einander als Personen Würde geben, dass wir uns aufeinander einlassen.

Dabei machen wir eben die Erfahrung: Indem wir uns für ein würdiges Leben engagieren, bekommt unser eigenes Leben Würde. Wo wir uns dem versagen, verliert auch unser Leben seine Würde. Dieses Mühen um Würde kann also in einem wechselseitigen Prozess unser Leben bestimmen. Man kann das nicht ableisten, nicht als erledigt abhaken: „Ich habe alles getan; ich bin gut.“ Man kann das einfach nur leben.

Dabei ist Würde immer etwas, was uns von außen zugesprochen wird – „ohn all unser Verdienst und Würdigkeit“, wie Luther gesagt hat[5]. Sie ist immer – um es mit einer christlichen Vokabel zu sagen – Gnade. Wir dürfen das als ein höheres Ja, ein Ja Gottes für uns übernehmen und es so weitergeben. Es geht darum, uns auf die Gnade einzulassen, uns Würde schenken zu lassen und dann auch anderen in Achtung zu begegnen und ihnen so Würde zuzugestehen. Umgekehrt können wir auch ein Leben aus Gnade ablehnen oder dem anderen die Achtung schuldig bleiben.

Dem anderen Würde geben – das ist nicht immer einfach. Wenn die alte Mutter dement wird, wenn sie sofort vergisst, was sie eben getan hat, wenn sie kein Zeitgefühl mehr hat, sich ihre Persönlichkeit ändert – ich denke, man muss dann sehr bewusst mit seinen eigenen Gefühlen umgehen und überlegen, wie man der fremd gewordenen Mutter Würde geben kann. Man muss Hilfe annehmen.

Es ist auch nicht einfach im Bereich der Schule und der Arbeitswelt. Wenn wir von Würde reden, geht es auch darum, dass Leute nicht ausgebeutet werden, dass alle einen fairen Lohn bekommen. Wer auf Kosten anderer lebt, verweigert ihnen ihre Würde und verliert auch selbst seine Integrität. Es ist eine schwierige Herausforderung, mit den Menschen, die aus der Gesellschaft herausfallen, Wege zu einem würdigen Leben zu finden. Pauschale Urteile verhindern das. Würde in unserem Zusammenleben – das ist wirklich unser Thema heute! Und es ist sehr konkret.

Aber es ist unsere Chance, denn Würde verbindet die Menschen. Sie verträgt es nicht, dass wir sie auf bestimmte Personengruppen eingrenzen und andere ausgrenzen. In unserer globalisierten Welt ist unser Leben mit dem Leben der Menschen in anderen Ländern zusammengekoppelt. Wir können da keinen Zaun bauen. Dass wir den eigenen Raum zum Leben sichern, geht nur, wenn wir diesen auch anderen zugestehen und auf dieser Grundlage miteinander nach Lösungen suchen.

 

3.    Die Menschenrechte

Die Menschenrechte setzen bei der Würde des einzelnen an; sie gestehen unterschiedslos allen Menschen Würde zu. Dass diese Menschenrechte heute weitgehend als eine gemeinsame Grundlage angesehen werden – dahinter steht eine lange Entwicklung mit einem harten Ringen. Es ist ganz gut, sich das vor Augen zu führen:

Schon in der griechischen Antike aber auch im Buddhismus oder in der Lehre des Konfuzius hat man grundlegende Rechte des Menschen entwickelt. Man hat diese Rechte aus der Natur der Menschen abgeleitet. Und man hat damals auch schon gefordert, dass sich das in einem Staat aktuell gültige Recht daran messen sollte. Aber gibt es so ein Naturrecht? Es zeigte sich, dass diese aus der Natur des Menschen abgeleiteten Menschenrechte immer auch in einem bestimmten geschichtlichen Rahmen gedeutet wurden und dass sie sich sehr oft nur auf freien Menschen bezogen. Sklaven, Fremde waren in der Regel ausgeschlossen.

Immerhin, auch die Kirche hat im 13. Jahrhundert den Gedanken von einem aus der Natur abgeleiteten Recht aufgegriffen. Thomas von Aquin[6] hat daraus eine Begründung für das kirchliche und staatliche Recht abgeleitet.

Die Formulierung der Menschenrechte war dann eine der wesentlichen Entwicklung der Neuzeit. Es begann in der Zeit der Renaissance[7], also zwischen 1400 und 1600. Damals wurden sich die Menschen ihrer Freiheit bewusst; sie entdeckten sich zum ersten Mal als Individuen. Wir müssen uns bewusst sein, dass sich unser moderner Individualismus erst ab dieser Zeit entwickelt hat. Das Denken war nicht mehr auf Gott, sondern auf den Menschen bezogen. Es sollte auf Vernunft und Erfahrung basieren. Man wandte sich den Naturwissenschaften zu und kritisierte kirchliche Dogmen.

Auf dieser Grundlage entstand damals der Humanismus[8]. In Anlehnung an die Antike zielte dieser auf ein Idealbild des Menschen, der seine Persönlichkeit auf der Grundlage allseitiger theoretischer und moralischer Bildung frei entfalten kann. Für die Humanisten gab es absolute Menschenrechte, die auf einem Naturrecht beruhen, das auch dann gälte, wenn Gott nicht existieren würde.

Die Menschenrechte wurden allerdings erst in einem langen Prozess zur konkreten Politik.
1776: »Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten« Darin heißt es:
„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit sind.“
[9]

1789: Die französische Nationalversammlung hat diese Ideen aufgegriffen. Sie hat dabei in die »Erklärung der Menschen- und Bürgerrecht« die entscheidenden Gedanken der Aufklärung und der Französischen Revolution »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« eingefügt.

Nach dem 2. Weltkrieg kam es zu einem neuen Aufbruch. Die Verachtung der grundlegenden Menschenrechte im Nationalsozialismus und im Krieg hatte zu Akten der Barbarei geführt. In Reaktion auf diese schrecklichen Ereignisse haben dann die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen 1948 die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« verabschiedet. Darin heißt es: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“[10] 

In der christlichen Kirche gab es zunächst eine gewisse Distanz zu den Menschenrechten. Es war ja nicht mehr die Offenbarung in der Bibel oder die Lehre der Kirche, die die Grundlage für das ethische Verhalten bildeten. Zum Teil waren die Menschenrechte gerade auch gegen den Anspruch der Kirche formuliert worden. Ein Bezug auf Gott war nicht mehr nötig.[11]

Es war dann aber vor allem in der weltweiten Ökumene, in der man den Gedanken der Würde des Menschen aufgegriffen hat. Der Ökumenische Rat der Kirchen hat intensiv an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 mitgearbeitet. Man hat wieder entdeckt, dass die Würde ja ein zentraler Gedanke Bibel ist. Die Kirche muss sich gar nicht gegen eine Loslösung von göttlicher Offenbarung wehren. Sie kann es begrüßen, wenn alle Menschen eine gemeinsame ethische Grundlage finden, denn das entspricht der Hoffnung der Bibel.

Die Kirche kann sogar einen Schritt weitergehen: Sie kann in der Ethik die Gemeinsamkeit der großen Religionen herausstellen. Da liegt ein großes Potential, das wir ausschöpfen müssen. Statt sich nur voneinander abzugrenzen, können sich die Religionen heute gemeinsam für die Würde des Menschen einsetzen. Daran arbeitet das von Hans Küng initiiertem »Projekt Weltethos«. Dabei soll es natürlich über die Religionen hinaus auch eine Zusammenarbeit mit nicht-religiös gebundenen Menschen geben. Gerade wenn wir so dankbar anerkennen, dass sich viele um die Würde bemühen, können wir die spezifisch biblischen Gedanken glaubwürdig einbringen.

In der Diskussion um Menschenrechte ist allerdings auch deutlich geworden: Würde schließt Gerechtigkeit, faire Lebensbedingungen, die Möglichkeit, sich aktiv zu beteiligen, den Schutz und damit zugleich die Freiheit der Person ein.

 

4.    Der ethische Anstoß der Bibel

Die dem Menschen von Gott gegebene Würde ist Ausgangspunkt der Bibel. Juden, Christen und auch Muslime, die davon ausgehen, können und sollen ihre Tradition heute einbringen. Ich möchte nur das Wesentliche herausheben.

a.         Gebote

Die Zehn Gebote: „Du sollst nicht töten, nicht die Ehe brechen, nicht stehlen, nicht falsches Zeugnis ablegen, den Besitz und Lebensbereich des anderen achten!“ Diese Gebote haben sich in der Geschichte als vernünftige Grenzen herauskristallisiert; sie schaffen Raum für ein gutes Zusammenleben in einer Gemeinschaft. Aber nun ist wichtig, dass sie im Alten Testament in doppelter Weise mit Gott verbunden werden:

Zunächst: Dadurch, dass die Gebote auf Gott bezogen werden, bekommen sie eine Verankerung, die über die Menschen hinausgeht. Nur so können sie auch Machtansprüche eingrenzen. Das Recht muss absolute Bedeutung beanspruchen. Wenn es im 1. Gebot heißt „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine andern Götter neben mir haben.“, dann geht es darum, dass die Menschen von diesem einen Gegenüber ausgehen und nicht anderen Mächten nachlaufen. Die Bindung an Gott, wie er in Jesus Christus offenbart worden ist, ist – wie die Bekennende Kirche im Dritten Reich gezeigt hat – Grundlage für ein mutiges, unabhängiges Eintreten für eine humane Gemeinschaft, Grundlage für die christliche Freiheit. Daran haben die Propheten immer wieder erinnert.

Zum anderen sind die Gebote mit Gott in der Aussage verbunden, dass Gott in der Bibel mit den Menschen einen Bund schließt: Das Land und die Zukunft der Gemeinschaft – das Volk Israel darf die Gebote als Gabe Gottes ansehen, als Segen. Und sie sollen diesen Segen weitertragen. Das Volk verpflichtet sich dafür seinerseits, die Gebote zu halten. Die Beschneidung der Jungen ist bei den Juden ein Zeichen, dass sie in diesen Bund eintreten.

Dass man die Gebote hat und sie als Gaben Gottes verstehen konnte, wurde als ein besonderer Reichtum des Volkes Israel angesehen. Israel bekommt damit allerdings auch eine besondere Verantwortung für alle Menschen. In einer Verheißung heißt es, dass die Völker zum Zion kommen werden, um sich dort Weisung zu holen. „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.“[12]

Die Gebote waren in den tragenden Geschichten des Volkes verankert. Es geht um ein soziales Miteinander: „Denkt an die Waisen und Witwen, an die Fremden. Ihr selbst wart Sklaven in Ägypten.“[13] Nicht nur der einzelne, sondern auch das ganze Volk wurden darauf verpflichtet: „Ich habe euch Tod und Leben, Segen und Fluch vorgelegt, damit du das Leben erwählst und am Leben bleibst, du und deine Nachkommen.“[14]

Nun hat man in einer Zeit[15] der Krise sehr kritisch darüber nachgedacht hat, wie dieser Weg mit Gott verlaufen ist. Dabei wurde klar, in den Geboten kann es nicht nur um formale Grenzen gehen. Es müssen die Menschen mit ihrer Person dahinter stehen. Hinter der Erfüllung der Gebote muss Liebe stehen – dass man sich mit dem anderen Menschen verbunden weiß, ihn wahrnimmt, sich ihm bewusst zuwendet, ihm Raum gibt, seine Möglichkeiten zu leben: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“[16]

Diese Liebe ist nur möglich, wenn man sich selbst nicht absolut setzt, sondern in der Verbindung zu dem Ja Gottes lebt. Man muss dafür offen sein, die Liebe um einen und in seinem Leben wahrzunehmen. Man braucht die tiefe Erfahrung und das Vertrauen, angenommen zu sein. Dann können und sollen wir uns bewusst in Liebe der konkreten Welt zuwenden. Jesus macht in der Erzählung vom Barmherzigen Samariter[17] – ich hatte schon darauf hingewiesen – deutlich, wie sich dabei das Denken verwandelt: Es geht nicht um die Frage, was alles von mir erwartet wird, sondern darum zu sehen, wo ich gerade gebraucht werde. Da werden Grenzen automatisch überwunden.

b.         Schöpfung

Ein anderer Ansatz ist der Schöpfungsgedanke in der Bibel: Gott hat von vorne herein allen Menschen Würde verliehen. Diese verliehene Würde zeichnet den Menschen aus, unabhängig davon, was er selbst darstellt. Die Aussage Kants[18], dass der Mensch nie als Mittel angesehen werden darf, sondern als Person Zweck in sich ist, entspricht dem biblischen Denken.

Aber der Mensch ist nicht isoliert; er darf sich als Geschöpf und seine Welt als Schöpfung Gottes sehen. Angesichts der ökologischen Bedrohung verstehen wir neu, was die biblische Aussage bedeutet, dass Gott uns die Welt anvertraut hat. Der Mensch soll sie bebauen, davon leben, Kultur schaffen, sich an dem Reichtum freuen. Aber er soll sie zugleich bewahren, die Vielfalt des Lebens erhalten, auch Tiere als Geschöpfe achten und ihnen nicht unnötig Leid zufügen. Der Mensch ist Teil der Erde; das dürfen wir nicht vergessen. Wo der Mensch die Bindung an die Liebe Gottes verlässt, verliert er das Maß und ist seiner eigenen Mensch Hybris ausgeliefert.

c.         Gnade und Hoffnung

Damit sind wir bei dem inneren Kern. Ein Leben in Würde, ein Leben in Liebe, ein Leben nach den Geboten – so die Überzeugung des Neuen Testaments – ist nur möglich, wenn es von dem Vertrauen auf Gnade getragen ist. Christen können dazu stehen, dass sie in ihrem Bemühen um Würde, immer wieder scheitern. Sie wissen, dass es oft nicht gelingt, sich selbst anzunehmen und dass sie immer wieder anderen lieblos begegnen. Aber sie wissen auch, dass sie sich von einer tiefen Gnade berühren lassen dürfen. Und darum müssen sie nicht auf eigene Vollkommenheit setzen. Sie können dazu stehen, dass sie sich selbst und anderen immer etwas schuldig bleiben. Wer das weiß, muss nicht selbstgerecht sein, muss nicht in Gute und Böse einteilen. Das macht frei, sich für Versöhnung einzusetzen, den Prozess des Vergebens voranzutreiben. Es ist wichtig, dass wir gerade das als unseren Beitrag in die ethische Diskussion einbringen.

Zugleich geht es um Hoffnung. Mit vielen anderen erschrecken Christen doch darüber, dass die Würde und das Leben immer wieder systematisch zerstört werden. Aber sie wollen nicht wegschauen. Sie setzen vielmehr gegen die Verachtung und gegen die Vernichtung des Lebens das Ja Gottes. Sie setzen dagegen Gottes Liebe und die eigene Liebe. Sie glauben an das Wunder, dass da wieder Raum zum Leben wachsen kann. Sie glauben: Wir dürfen gegen alle Hoffnungslosigkeit die liebende Hinwendung stellen. Das ist ein von Liebe getragenen Realismus; den sollen wir konkret einbringen.

 

5.    Albert Schweitzer: Ehrfurcht vor dem Leben[19]

Was bedeutet es nun, wenn man den ethischen Ansatz der Bibel in das eigene Leben und in unsere Welt übernehmen will? Das hat Albert Schweitzer glaubwürdig gezeigt. Hinter seinem Ansatz steht aber auch, dass er auf dem Wege der Vernunft die Ethik begründen wollte. Seine Gedanken bleiben ein wesentlicher Anstoß; ich möchte darum kurz darauf eingehen auch wenn ich davon schon im letzten Vortrag gesprochen habe.   

Wer sich von der Würde des Menschen und von der Natur berühren lässt, spürt etwas Unverfügbares, Heiliges, dem er mit einer tiefen Achtung, mit Ehrfurcht begegnen wird. Diese Ehrfurcht hat Albert Schweitzer nicht mehr losgelassen. Das kann auch für uns zu einer motivierenden Kraft werden. Er hat in sehr glaubwürdiger Weise dargelegt aber eben auch mit seinem Leben gezeigt, was der Ansatz bei der Ehrfurcht bzw. der Liebe bedeutet. Er hat damit auch auf die Frage, die ihn seit seiner Jugend umgetrieben hat, nämlich wie man persönliches Glück und das Leid zusammenbringen kann, eine Antwort gefunden.

Albert Schweitzer wollte nicht nur Christen, sondern auch Nichtchristen ansprechen. Das gelingt ihm mit seinem Begriff »Ehrfurcht vor dem Leben«. Damit hat er einen allgemeinen Maßstab für gut und böse: „Gut ist, Leben zu erhalten, Leben zu fördern, Leben auf seinen höchsten Wert zu bringen. Böse ist, Leben zu vernichten, Leben zu schädigen, Leben in seiner Entwicklung zu hemmen.“[20]

Schweitzer kann da keine Abstufung vornehmen. Jedes Leben ist heilig. Ich muss allem Leben die gleiche Ehrfurcht entgegenbringen. Wir haben eine Verantwortung gegenüber allem, was lebt.[21] Ethik muss grenzenlos sein und verpflichtet uns zunächst „…ohne Rücksicht auf völlige Durchführbarkeit.“[22]

Es ist Albert Schweitzer klar, dass sich damit Konflikte ergeben. Wir müssen sie verantwortlich und kontrolliert lösen. Wir müssen aber auch mit der Möglichkeit rechnen, „dass wir mit Konflikten konfrontiert werden, die sich jeder ethischen Lösbarkeit entziehen.“[23] Wir werden immer etwas schuldig bleiben. Das muss als Herausforderung gesehen werden, immer wieder konkret die beste Lösung zu suchen. Diese Erkenntnis verhindert es, dass wir an bestimmten absoluten Werten festhalten ohne die Folgen für andere zu bedenken.

Albert Schweitzer ist konkret geworden – nicht nur in seinem Engagement für das Krankenhaus in Lambarene. Er hat in Europa seine Stimme erhoben. So hat er sich gegen die Rohheit bei Tiertransporten gewandt. Tierversuche sollten auf das Notwendigste begrenzt werden. Wir müssen nach wirtschaftlicher Gerechtigkeit streben. Es geht darum, den Menschenwert und die Menschenwürde eines jeden einzelnen Menschen zu respektieren. Er hat sich gegen Atomwaffenversuche gewandt. Wir haben kein Recht, Waffen zu erproben, „die sämtliche Länder in schwerster Weise zu schädigen vermögen“.[24] Als Lebensregel und erstes Gesetz, das für jeden durchführbar ist, hat er verlangt: „Schränke deine Lebensbedürfnisse ein, dass du habest zu geben. Revidiere deine Lebensführungund die der Deinen und schau, was du sparen könntest, um reich zu sein zum Wohltun. Weg bei uns allen mit dem Geistlos-Überflüssigen! Lasst uns so einfach wie möglich leben, dass wir haben zu geben!“[25]

 

6.    Die Bedeutung der Würde des Menschen in unserem Kontext[26]

Wir müssen uns heute auf die besonderen Herausforderungen unserer Zeit einstellen. Wir haben in den letzten 30 Jahren eine dramatische Veränderung durch die Globalisierung erlebt. Diese wurde zum einen durch die neuen Möglichkeiten der Kommunikation vorangetrieben: fast unbeschränkter Austausch von ungefilterten Informationen, jeder kann sich daran beteiligen. Andrerseits wurden der Güteraustausch, die Arbeitswelt und die Finanzwirtschaft globalisiert. Das hat eine große Dynamik ausgelöst, der der Mensch untergeordnet wurde. Wir dürfen uns dem nicht einfach ausliefern, müssen steuern, einen Rahmen finden. Bei diesem Versuch rückt die Würde des Menschen wieder in den Mittelpunkt. Sie muss auch in einer globalisierten Welt das entscheidende Kriterium sein. Das globale Wirtschaften, die globale Politik, die Finanztransaktionen und die globale Kultur müssen sich an dem Erhalt und der Stärkung der Würde der Menschen orientieren.

Die Dynamik der Würde steht damit gegen die Dynamik einer bindungslosen Wirtschaft. Der Aufruf, für die Würde des Menschen kann einzutreten, kann zu einem weltweiten Engagement führen, zu der einen Aufgabe, in der wir über alle Grenzen hinweg verbunden sind. Das kann die Energie freisetzen, die wir brauchen. Da finden wir die Grundlage für ein Weltethos, auf das sich Menschen unterschiedlicher Religionen oder auch ohne religiösen Bezug einigen können.

In dem Impulstext der Sammlung »Die Macht der Würde« heißt es: „Die Unbedingtheit und Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen und der Natur sind die Grundlage jeglicher menschlicher Kultur und Gesellschaft. Und sie sind der Maßstab, ob äußere, politische und wirtschaftliche Macht sich der Entfaltung der Würde jedes Menschen und der Würde der Natur unterordnet und ihr dient.“[27]

Ich möchte noch einmal herausheben: Würde koppelt die Menschen zusammen. Würde ist nicht allein zu haben; sie verbindet uns über alle Unterschiede. Der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Samuel Koba hat dazu gesagt: „Kein Mensch kann in Würde leben, wenn er sich nicht gleichzeitig um die Würde seiner Mitwelt sorgt. … Gleichgültig auf welche spirituellen Quellen sich ein Mensch bezieht – die inneren Gesetze der Würde und des Sinns der Schöpfung gelten universell.“[28] Oder: Der Generalsekretär der All Africa Confernce of Church: „Jemanden Würde zu verleihen, bedeutet …die Beziehung so zu gestalten, dass beide Seiten dadurch wachsen und gestärkt werden.“[29]

Ein buddhistischer Lehrer in Frankreich geht von der Erfahrung des Leidens aus und folgert daraus:[30] „Im Bewusstsein des Leidens, das durch die Zerstörung des Lebens entsteht, bin ich entschlossen, Mitgefühl zu kultivieren und Wege zu erlernen, das Leben von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mineralien zu schützen. …“
„Im Bewusstsein des Leidens, das durch Ausbeutung, soziale Ungerechtigkeit, Diebstahl und Unterdrückung entsteht, bin ich entschlossen, Güte zu kultivieren und Wege zu erlernen, für das Wohlergehen von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mineralien tätig zu sein …“
„Im Bewusstsein des Leidens, das durch sexuelles Fehlverhalten entsteht, bin ich entschlossen, Verantwortungsgefühl zu kultivieren und Wege zu erlernen, die Sicherheit und Integrität von Individuen, Paaren, Familien und der Gesellschaft zu schützen. Ich bin entschlossen, keine sexuelle Beziehung einzugehen ohne Liebe und die Bereitschaft zu einer langfristigen und verantwortlichen Bindung …“

Wir können uns dabei auch von der burmesischen Widerstandskämpferin Aung San Suu Kyi[31] anstoßen lassen. Sie beschreibt ihre Haltung mit „Loving kindness“, „liebender Freundlichkeit“. Dahinter steht für sie ihre in der Begegnung mit dem Westen gewonnene Auslegung des Buddhismus. Der Buddhismus hat ihr geholfen sich von Gier, Furcht und Hass zu befreien. Aber sie geht nicht wie sonst der Buddhismus vom Leiden, sondern von einem positiven Ansatz aus, von einer liebenden Hinwendung zum Menschen. Die erfahrene individuelle und personale Veränderung ist unlöslich mit der politischen verbunden. Es geht immer wieder darum, mehr und mehr wahrzunehmen. So erkennt sie, dass die Burmesische Junta im Grunde von Furcht getrieben ist. Das macht es ihr möglich, einen Dialog anzubieten. Ihre Praxis der „loving kindness“ ist nicht passiv. Das ist eine radikale Botschaft an die westliche Politik. Aber es ist auch eine revolutionäre Sicht des Buddhismus.

Pause

 

II.        Das Prinzip Verantwortung

 

1.    Verantwortungsethik und Gesinnungsethik

a.         Die Balance suchen

Mit Pershing Raketen in Mutlangen den Kalten Krieg entscheiden – oder: „Ohne Rüstung leben“ – In den 80er Jahren gab es eine lebhafte Auseinandersetzung darüber in unserem Land. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmitt hat sich dabei auf den Soziologen Max Weber (1864-1920) bezogen. Nach Max Weber ist es Aufgabe politisch Handelnder, eine Balance zwischen Verantwortungsethik und Gesinnungsethik zu finden. Es geht nicht um ein Entweder-Oder von Verantwortungsethik oder Gesinnungsethik. Man darf das nicht gegeneinander ausspielen. Dahinter muss eine lebendige Diskussion stehen, in der sich die Menschen mit ihrer Gesinnung engagiert einbringen und eingefahrenes Denken immer wieder in Frage stellen – so etwa mit dem Slogan: „Frieden schaffen mit weniger Waffen.“ Es ist ja auch nicht ausgemacht, was wirklich zum Frieden führt. Die Kriege im Irak und in Afghanistan lassen uns heute wieder kritisch fragen.

Und welche Mittel sind verantwortbar? Eine so genannte »Realpolitik«, die davon ausgeht, dass Werte und darauf basierende Mittel letztendlich immer verhandelbar seien, wenn ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll, darf es nicht geben. Es geht dabei auch darum, dass wir glaubwürdig bleiben. Und es bleibt offen, ob ein friedlicher Widerstand nicht auf die Dauer mehr Frieden und Gerechtigkeit schafft. Freilich, man muss die brutale Bedrohung durch Macht und Gier ernst nehmen und ihr entgegentreten.

b.         Der berechtigte Schutz eigener Interessen

Keine Frage, wir müssen uns gegen Verbrechen, gegen Terror und gegen ein Abgleiten in eine Anarchie schützen. Wir leben nicht in einem Machtvakuum. So haben Politiker heute abzuwägen, wie viel Freiheitsrechte sie in der Abwehr des Terrors aufgeben dürfen. Und da werden wir auch mit der Frage konfrontiert, ob wir einen Anspruch auf Rohstoffe und Luftverschmutzung haben, den wir gegenüber anderen auch mit Gewalt aufrechterhalten dürfen, um unsere auf ständiges Wachstum aufbauende Wirtschaft stark zu erhalten. Und welche Ansprüche habe ich als Privatperson, meine Machtposition zu behaupten? Manche akzeptieren sehr selbstverständlich die sozialen Unterschiede zwischen den Menschen, dass es auch in Deutschland eine große Zahl armer Menschen gibt. Gut, in der statischen Ständegesellschaft des Mittelalters, da hat man Unterschiede akzeptiert. Aber wir können und wollen nicht in eine Zeit zurück, in der die jüngeren Söhne als Knechte arbeiten mussten und vielleicht auch nicht heiraten durften, in der es Freie und Unfreie und Adlige und Abhängige gab.

 

2.    Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung

Der Philosoph Hans Jonas (1903-1993) hat in seinem 1979 erschienene Buch »Das Prinzip Verantwortung« die Verantwortung in die Zukunft ausgeweitet. Wir sind dafür verantwortlich, dass auch zukünftige Gesellschaften in Freiheit und Würde leben können und eigenen Gestaltungsspielraum haben.

Die Ethik der Vergangenheit konnte davon ausgehen, dass die Lebensverhältnisse der Menschen in der nächsten Generation wieder etwa die gleichen sein würden; sie musste sich nicht mit der Zukunft beschäftigen. Das hat sich heute geändert. Unsere Entscheidungen betreffen nicht nur unseren überschaubaren Lebensraum und unsere planbare Lebenszeit. Die nicht beabsichtigten Folgen werden oft erst Jahr­zehn­te später sichtbar. Dann können auch die dafür Verantwortlichen nicht mehr zur Rechenschaft ge­zogen wer­den. Wir müssten Verantwortung übernehmen, für etwas, was wir noch nicht wissen. Weil uns das überfordert, haben wir zumindest die Pflicht, unsere Unwissenheit anzuerkennen und sie in Rechnung zu stellen.

Hinzu kommt: Die Veränderungsprozesse sind oft nicht umkehrbar und nicht rückgängig zu machen. „Alternativlos“ – das war 2010 das Wort des Jahres. Dahinter steht nicht nur, dass man es eben nicht zulassen will, alternative Weg zu denken, sondern auch, dass vergangene Entscheidungen den Spielraum enger machen, in einer neuen Situation das Alte zu revidieren und neue Wege zu suchen. Wir müssen den Spielraum offen halten, dass wir auf noch nicht gekannte Herausforderungen beweglich reagieren können.

Wir müssen also heute einen ethischen Ansatz für eine sich rasch verändernde, letztlich nicht wissbare Zukunft der Welt finden. Uns begegnet dabei in der rasanten Entwicklung selbst eine weitgehend anonyme Macht. Die dynamische Entwicklung kann positive Lebensgestaltung fördern und einen Beitrag zu einer friedlichen und gesunden Welt leisten. Es ist aber heute sehr deutlich, dass sie ein immer größeres Gefahrenpotential auftürmt. Wir leben auf Kosten zukünftiger Generationen. Wir müssen eine nicht mehr rückgängig zu machende Zerstörung der Lebensgrundlagen verhindern. Das kann nur gelingen, wenn wir der sich selbständig machenden Entwicklung eine andere Macht entgegensetzen. Woraus könnte diese Gegenmacht bestehen? Aus einer bewussten Umorientierung vieler Einzelner, aus Bürgerinitiativen, aus einem Engagement von Parteien, dem Parlament, der Regierung? Vieles scheint nur noch in internationaler Abstimmung möglich zu sein.

Es geht um unsere Macht und darum, dass wir ihre fernen Auswirkungen mit bedenken. Deshalb brauchen wir eine Ethik der Verantwortung, die die Zukunft mit einschließt. Wir tragen dafür die Verantwortung, dass auch in der Zukunft Menschen auf der Erde in humanen Bedingungen leben können und Spielraum haben, ihrerseits in Verantwortung die Welt zu gestalten. Dabei kann uns die voraus gedachte Gefahr als Kompass dienen. In Aufnahme des Kategorischen Imperativs von Kant sagt Jonas: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Weil es um das Leben und Überleben geht müssen wir die negativen Prognosen ernst nehmen.

Auch Jonas kommt zu dem Begriff der Ehrfurcht. Allerdings liegt bei ihm der Akzent weniger auf ei­ner aus dem Staunen geborene Liebe für das Leben als auf der Angst vor dem Ver­lust der Unversehrtheit des Wesens der Menschen. Er schreibt: „Die Ehrfurcht al­lein, indem sie uns ein »Heiliges«, das heißt unter keinen Umständen zu Verlet­zendes ent­hüllt ... wird uns auch da­vor schützen, um der Zukunft willen die Gegenwart zu schänden.“[32]

Zwei kritische Anmerkungen zu den Gedanken von Jonas: Erstens: Er macht die gegenwärtige Situation zum Maßstab. Aber angesichts des Hungers, der wachsenden Spannungen, des nicht mehr tragbaren Ausstoßes an CO2 kann es doch nicht darum gehen, diese Situation zu erhalten und zum Maßstab zu machen. Wir haben keine stabile Ausgangslage. Zweitens: Es ist ein Ansatz, der von Furcht getragen wird. Diese Furcht ist sicher berechtigt. Und wir müssen wohl auch das »geheime Grauen«[33] zulassen. Um aber die Kraft zu haben, entgegen zu steuern, braucht es eine positive Motivation, die unsere Phantasie und unser Tun beflügelt. 

 

III.      Ethik im Diskurs[34]

 

1.    Das Konzept der Diskursethik

Wer kann und soll heute darüber entscheiden, was gut und was schlecht, was richtig und was falsch ist? In den frühen 60er Jahren ging man einerseits davon aus: Die Wissenschaften sind wertfrei. Das war ein vorgegebener nicht zu hinterfragender Rahmen. Andererseits sah man es als Sache des Einzelnen an,seine individuellen Gewissensentscheidungen zu treffen. Die waren aber für andere nicht bindend. In dieser Zeit schien eine für alle vorgegebene, aus einer Religion oder aus der Natur abgeleitete verbindliche Moral, nicht mehr möglich zu sein: Über Einstellungen kann man nicht befinden.

Heute dagegen ist man sich weitgehend einig, dass sich sehr wohl über Fragen der Moral rational diskutieren lässt. Dabei müssen wir allerdings beachten, dass unterschiedliche Menschen von verschiedenen Voraus­setzun­gen ausgehen. Seit 1967 spricht man von der vor allem durch Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas formulierten Diskursethik. Dieser Ansatz ist auch heute sehr aktuell. 

Mit Diskurs meint Habermas einen offenen Dialog, in dem jeder seine Einsichten, seine Einstellungen, seinen Hintergrund einbringt. Wenn das auf dem Tisch liegt, kann man miteinander Argumente austauschen und fragen, was in der jetzigen Situation angebracht, vernünftig ist. Am Schluss kann im besten Fall dann eine Sichtweise stehen, die von allen Teilnehmern einer Gemeinschaft als Wahrheit anerkannt wird. Wenn das nicht erreicht werden kann, so ist es doch nach diesem klärenden Prozess möglich, dass alle eine demokratisch getroffene Entscheidung akzeptieren. Auch wenn letztlich gewählte Repräsentanten entscheiden müssen, so waren doch alle vorher an dem Findungs-Prozess beteiligt.

Dahinter steht auch die Erkenntnis, dass wir in einer sehr komplexen Wirklichkeit leben und es oft keine eindeutige Antwort darauf gibt, was richtig und was falsch ist. Wir müssen lernen, damit umzugehen, dass wir die Folgen einer Entscheidung nicht vorhersagen können und auch, dass wir zwischen verschiedenen negativen Auswirkungen wählen müssen – theologisch gesprochen, dass wir nicht umhin können, an anderen schuldig zu werden.

Noch einmal: Die einzelne persönliche Sichtweise und Entscheidung reicht in einer offenen Gesellschaft nicht aus. Es müssen zunächst alle Informationen, Sichtweisen, Einschätzungen und Einstellungen in den Diskurs eingebracht werden. Dabei gehen die Teilnehmer an einem Diskurs von vornherein davon aus: Alle möglichen Ansprüche aller Mitglieder sollen genannt werden und als Grundlage dienen, um zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Die am Diskurs Teilnehmenden müssen dabei auch die Ansprüche, die von nicht Anwesenden vertreten werden, mit berücksichtigen.

Damit erhalten wir eine gemeinsame Grundlage und eine Antwort auf die Frage, woran wir unser Handeln in konkreten Situationen orientieren sollen. Moralisch richtig ist dann diejenige Handlungsweise, der alle – insbesondere die Betroffenen – in einem offenen, ohne Zwang geführten, argumentativen Diskurs zustimmen können.

Das schließt von vornherein aus, dass jemand rein egoistische oder partikularistische Interessen verfolgt, z.B. die Einstellung: „Bei allen Entscheidungen haben meine Interessen stets Vorrang, einfach weil sie meine sind!“ Oder: „Ich werde niemandem helfen, der in Not geraten ist!“

 

2.    Beteiligung der unterschiedlichen Interessengruppen

Was heißt das praktisch? In den 70er Jahren gab es eine Planungseuphorie, wohingegen man in den 80er Jahren eher von einer »Planungsverzichtseuphorie« sprechen kann. Einmal wurde der Vormarsch, dann der Rückzug des Staates für die Lösung aller Probleme gehalten. Heute wird nach einem dritten Weg gesucht. Man merkt nämlich: Politische Entscheidun­gen sind häufig einseitig; und das liegt im System. Die, die entscheiden, haben nicht mehr wirklich eine umfassende und damit zureichende Sachkompetenz. Und sie haben vor allem auch nicht die alleinige Kompetenz und das Recht, die hinter den Entscheidun­gen liegenden Werte festzusetzen.

Wir erleben deshalb, wie viele Bürger die Legitimität der von „dort oben“ gefassten Entscheidungen in Frage stellen und das Ver­trau­en in die führenden Leute verlieren. Eine Berufung auf eine formal verstandene Demokratie reicht nicht aus. Wir nehmen auch wahr, dass die Experten oft an bestimmte Interessen gebunden sind. Eine Entscheidung durch Experten (»Expertokratie«) kann keine Alternative darstellen. Es liegt daher nahe, dass man versucht, durch organisierte Beteiligung der verschiedenen (d. h. der anderen) Seiten, die erwähnten Einseitigkeiten ein Stück weit abzubauen.

Gerade bei Vorhaben, die von einer großen Anzahl von Leuten nicht einfach akzeptiert werden (z.B. Stuttgart 21, Präimplantationsdiagnostik, Kernenergie), bietet es sich an, mit den beteiligten Gruppen in einen Diskurs einzutreten, um dort zunächst die Fakten zu klären, die unterschiedlichen Interessen und Befürchtungen zu kommunizieren und ein faires Verfahren zu besprechen.

Die Diskursethik setzt also darauf, dass durch Austausch von rationalen Argumenten eine der Vernunft entsprechende, alle befriedigende Lösung gefunden werden kann. Aber, so ist zu fragen, muss die Vernunft nicht auch an tieferen und letztlich auch nicht zu begründenden ethischen Vorentscheidungen gebunden sein? Alle Seiten müssen ihre tieferen Überzeugungen einbringen und versuchen, da Brücken zu schlagen.

 

3.    Das Projekt Weltethos

Um diese Grundlage geht es in dem von Hans Küng angeregten »Projekt Weltethos«. Dort findet ein Diskurs unter den Religionen statt mit dem Ziel, für die religiös gebundenen und nicht-gebundenen Menschen eine gemeinsame Grundlage zu formulieren. 1993 wurde vom dem Parlament der Weltreligionen eine »Erklärung zum Weltethos« herausgegeben, die Brücken schlagen und Ausgangspunkt für einen weiterlaufenden Diskurs sein kann.[35] Darin heißt es:

„Wir erklären: Wir sind alle voneinander abhängig. Jeder von uns hängt vom Wohlergehen des Ganzen ab. Deshalb haben wir Achtung vor der Gemeinschaft der Lebewesen, der Menschen, Tiere und Pflanzen, und haben Sorge für die Erhaltung der Erde, der Luft, des Wassers und des Bodens. …

Wir verpflichten uns, Leben und Würde, Individualität und Verschiedenheit zu achten, so dass jede Person menschlich behandelt wird – und zwar ohne Ausnahme. Wir müssen Geduld und Akzeptanz üben. …

Wir verpflichten uns auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit, des Respekts, der Gerechtigkeit und des Friedens. Wir werden keine anderen Menschen unterdrücken, schädigen, foltern, gar töten und auf Gewalt als Mittel zum Austrag von Differenzen verzichten. ….

Wir müssen nach einer gerechten sozialen und ökonomischen Ordnung streben, in der jeder die gleiche Chance erhält, seine vollen Möglichkeiten als Mensch auszuschöpfen. Wir müssen in Wahrhaftigkeit sprechen und handeln sowie mit Mitgefühl, indem wir mit allen in fairer Weise umgehen und Vorurteile und Hass vermeiden. Wir dürfen nicht stehlen. Wir müssen vielmehr die Herrschaft der Sucht nach Macht, Prestige, Geld und Konsum überwinden, um eine gerechte und friedvolle Welt zu schaffen.“

Als unverrückbare Weisung wird die Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben genannt, der Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung, der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit und die Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau.

 

IV.       Resümee

 

Ich möchte die mir wichtigen Punkte jetzt zum Schluss noch einmal herausstellen:

          Wir brauchen eine gemeinsame Grundlage und zwar eine positive Einstellung zum Leben und zu unserer Welt. Das macht uns fähig, das Leben in seiner Fülle wahrzunehmen, zu staunen, uns am Leben zu freuen. Dann können wir auch die Probleme realistisch sehen. Und wir können trotz der Erfahrung von Ohnmacht und Scheitern uns immer wieder in Liebe einsetzen.

Dem entspricht die Haltung der Ehrfurcht vor dem Leben. Wir können das Leben als eine Gabe sehen, das uns miteinander anvertraut ist. Dazu gehört, dass wir um die Grenzen wissen und doch auf die Kraft der Liebe vertrauen. Wir dürfen uns von vergebender Gnade ansprechen lassen. Da können wir auch dazu stehen, dass wir uns selbst und anderen gegenüber sehr viel schuldig bleiben.

          Für unser Tun brauchen wir eine klare Orientierung an der Würde des Menschen und an der Achtung vor allem Leben. Auf eine Formel gebracht heißt das: Gut ist so zu handeln, dass wir einander Würde und Raum geben und dabei selber integer und glaubwürdig bleiben.

Das muss universell gelten und sich auf alle Menschen und alle Lebewesen erstrecken. In dem Mühen um Würde sind wir selbst eingeschlossen; wir sind miteinander verbunden. Diese Aufgabe fordert unseren Einsatz, gibt unserem eigenen Leben Bedeutung.

Dieser Orientierung sind andere Ziele unterzuordnen; wir müssen sie daran messen.

          Wir müssen in einer sich verändernden Welt auch die Verantwortung dafür übernehmen, welche Folgen unser Tun hat. Dabei müssen wir davon ausgehen, dass wir nur sehr beschränkt die Folgen abschätzen können. Da sich vieles in einer eigenen Dynamik entwickelt und auch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, müssen wir soweit wie möglich negative Entwicklungen ausschließen.

Von Liebe getragene Verantwortung kann sich nicht absolut setzen. Wir werden immer wieder abwägen müssen, was in einer bestimmten Situation getan oder unterlassen werden muss. Ein blinder Eifer für absolute Forderungen wird dem nicht gerecht.

          Wir brauchen einen breiten Dialog um die grundlegenden Werte unserer Gesellschaft und für die ganze Menschheit. Daraus können sich klare, von der Mehrheit getragene Ziele ergeben, die uns Orientierung geben und miteinander motivieren.

Wir brauchen eine Politik, die auf einen breiten Dialog aufbaut und die Bürger vor einer Entscheidung des Parlamentes oder der Regierung beteiligt. Entsprechend müssen wir aber auch uns als Bürger in den gesellschaftliche Gruppen an dem Dialog beteiligen. Als Christen haben wir keine fertigen Lösungen. Wir sollen aber das Vertrauen auf die uns geschenkte Liebe und den Blick auf den leidenden Menschern einbringen.

          Es geht nicht nur darum, in einem offenen Diskurs Entscheidungen vorzubereiten. Es ist entscheidend, dass in unserer Gesellschaft und in unserer Welt der Geist der Verantwortung und der Solidarität die Menschen bestimmt. Dafür müssen wir uns alle ständig neu einsetzen. Wir sind nicht nur, wie ich am Anfang gesagt habe, für unsere eigene Einstellung verantwortlich, sondern auch für den Geist unserer Zeit. Da sind besonders auch Christen gefragt – zusammen mit Muslimen, Buddhisten, mit allen Menschen guten Willens. 

Gespräch

 

Schlussgedanke

Auf dem Kirchentag in diesem Jahr in Dresden waren meine Frau und ich zu einem Essen der „Vesper Society“ eingeladen. Das ist eine von amerikanischen Christen getragenen Gesellschaft, die sich um Benachteiligte in den USA und auch in Südafrika kümmert und weltweit Kontakte fördern will. Ihren Hintergrund haben sie in einer kleinen Schrift ausgedrückt: »A New Way of Seeing – Living authentically in the Here-and-Now Kingdom of God« / »Eine neue Art des Sehens – authentisch in dem Reich Gottes, das hier und jetzt da ist, leben«.

Sie gehen davon aus, dass für Jesus die unmittelbare Hoffnung auf das Reich Gottes entscheidend war – nicht als eine Zukunft in einem Jenseits, sondern als etwas, das jetzt schon bei ihm und durch ihn und durch seine Nachfolger unterwegs ist. Das hat Jesus die Freiheit gegeben, sich über alle Grenzen unmittelbar den Menschen zuzuwenden. Er hat – bildlich gesprochen – schon mit einem Fuß im Reich Gottes gelebt, mit dem anderen in der Welt mit all ihren Spannungen, der Schuld, dem Leid. Das hat ihn immer wieder die Wirklichkeit in dem Licht Gottes neu sehen lassen. Das bedeutete für ihn lösender Abstand und – unmittelbar damit verbunden – liebende Zuwendung zum Menschen in seiner konkreten Situation. Jesus konnte in „seiner Tischrunde“ das Reich Gottes, die Liebe Gottes schon feiern und die Doppelmoral mancher Pharisäer durchbrechen. Er hat einfach vergeben, geheilt, die Gebote als einen Anstoß gesehen und nicht als Leistung, die man erbringen muss.

Gerade angesichts unserer Wirklichkeit heute scheint mir diese Schrift einen guten Anstoß zu geben. Der Blick auf das Reich Gottes führt uns nicht weg. Er hilft uns aber, Abstand zu gewinnen. Wir dürfen uns nicht auf unser individuelles Heil jetzt oder später zurückziehen. Sondern da ist eine Ahnung von einer Gemeinschaft, in der wir frei sind. Wir können davon singen: „Wo ein Mensch Vertrauen gibt, fällt ein Tropfen von dem Regen, der aus Wüsten Gärten macht“. Wir können das im Gebet sagen: „…Dein Reich komme, dein Wille geschehe im Himmel wie auf Erden“. Wir können das feiern. Da kann in uns eine Zuversicht wachsen, liebend bei unserer Welt auszuharren und das Mögliche zu tun können.

zurück zum Anfang



[1] SÜDWESTRUNDFUNK, SWR2 AULA – Manuskriptdienst,(Abschrift eines öffentlich gehaltenen Vortrag vom 29.06.2011 am Gymnasium Achern): Im Namen einer besseren Zukunft  - Die Ethik der Verantwortung, Alternativtitel: Das Prinzip der Verantwortung   Autor: Professor Julian Nida-Rümelin, Redaktion: Ralf Caspary, Sendung: Sonntag, 24. Juli 2011, 8.30 Uhr, SWR 2

[2] W. Hörle, Würde, Groß vom Menschen denken, München, Dieterichs-Verlag 2010, S 14

[3] Hinter diesem Abschnitt steht ein Aufsatz im Deutschen Pfarrerblatt 12/2011, S 637-641: Menschenwürde jenseits des Rechts, Dr. Pfarrer Wolfgang Vögele, Privatdozent, Theol. Fakultät Heidelberg

[4] St. Marks, Die Würde der Menschen oder: Der blinde Fleck unserer Gesellschaft, Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus 2010 

[5] Martin Luther, Kleiner Katechismus, Erklärung zum ersten Glaubensartikel

[6]http://de.wikipedia.org/wiki/Naturrecht
Die Idee der Naturrechte (in beiden Ausprägungen) reicht bis in die griechische Antike zurück und gewann mit der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert politische Bedeutung. Sie befand sich nur teilweise in Opposition zum christlich-mittelalterlichen Verständnis der Gnade, demgemäß Eigenschaften wie Leben oder Freiheit durch gnädige Autoritäten wie Gott oder den Fürsten persönlich und willkürlich verliehen seien, ohne dass ein Recht darauf bestehe. Dennoch war die Naturrechtslehre auch im Mittelalter bei Philosophen wie Thomas von Aquin stark ausgeprägt, da die durch die Autoritäten verliehenen Eigenschaften nicht zur Disposition eines Nichtberechtigten gestellt wurden.

Ferner versteht sich das Naturrecht als Maßstab und Korrektiv des positiven Rechts.

Die Berufung auf überpositives Recht geht davon aus, dass bestimmte Rechtssätze unabhängig von der konkreten Ausgestaltung durch die Rechtsordnung „schlechthin“ Geltung beanspruchen und somit durch einen positiven Akt der Rechtsetzung weder geschaffen werden müssen, noch außer Kraft gesetzt werden können.

Sowohl die Kritik an der unterschiedlichen Behandlung der Menschen durch positive Gesetze wie auch Kritik an der Entwicklung der Gesetze überhaupt zum Vorteil der Schwachen ist in der Antike belegt

Eine erste einflussreiche Synthese der beiden Ursprünge versuchte Thomas von Aquin (1225-1274). In der scholastischenMoraltheologie und in der Aufklärung erlangten Naturrechtslehren erneut Bedeutung. Besonders einflussreich in der Ausformung eines „liberal“ bestimmten Naturrechtsgedankens waren hier die ProtestantenHugo Grotius mit seinem rechtsphilosophischen Werk[2] sowie mit seinem Privatrechtslehrbuch Samuel von Pufendorf[3]. Sie lösten das Naturrecht von der religiös-theologischen Basis des sogenannten göttlichen Rechts und sahen es als konstantes Wertesystem, das über Gesellschaftsmodelle hinausgeht und von ihnen unabhängig ist. Zu nennen ist in rechtspolitischer Hinsicht besonders John Locke, auf den sich die US-amerikanischen Gründerväter und insbesondere Thomas Jefferson bei der Formulierung der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung stark bezogen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 gewann das Naturrecht wieder an Bedeutung. So ist nach herrschender Meinung etwa auch der Gottesbezug in der Präambel des deutschen Grundgesetzes nicht etwa als theologische Verfassungskomponente aufzufassen, sondern im Wesentlichen als eine Berufung auf das Naturrecht.

[7]http://www.uni-due.de/einladung/Vorlesungen/epik/renaissance.htm
Der Begriff der Renaissance bezeichnet als historische Epoche den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, der zwischen 1400 und 1600 stattfand. In kultureller Hinsicht meint er eine Wiederbelebung antiker Ideale in Literatur, Philosophie, Wissenschaft und besonders in der Malerei und der Architektur. …Der Mensch der Renaissance wurde sich seiner Freiheit und seiner schöpferischen Möglichkeiten bewusst, ja entdeckte sich erstmals als Individuum. Nach dem als "dunkel" und sinnenfeindlich empfundenen Mittelalter setzte sich ein dem Diesseits und natürlicher Sinnlichkeit zugewandtes Lebensgefühl durch. Dem theozentrischen, auf Gott bezogenen Weltbild wurde ein anthropozentrisches, auf den Menschen bezogenes, entgegengestellt. In den Wissenschaften vollzog sich die Abtrennung der Philosophie von der Theologie. Mit der wiederentdeckten Diesseitsfreude verbindet sich ein Denken, das auf Vernunft und Erfahrung basiert, so wie es der Humanismus formuliert hatte.

[8]http://www.uni-due.de/einladung/Vorlesungen/epik/renaissance.htm
Als Humanismus wird eine Geisteshaltung bezeichnet, die zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert die historische und kulturelle Epoche der Renaissance kennzeichnete. In Anlehnung an die Antike zielte sie auf ein Idealbild des Menschen, der seine Persönlichkeit auf der Grundlage allseitiger theoretischer und moralischer Bildung frei entfalten kann.

[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Unabh%C3%A4ngigkeitserkl%C3%A4rung_der_Vereinigten_Staaten#Die_Pr.C3.A4ambel
Die erste deutsche Übersetzung der Unabhängigkeitserklärung veröffentlichte einen Tag nach ihrer Verabschiedung die deutschsprachige Zeitung Pennsylvanischer Staatsbote in Philadelphia. Sie gab diesen Abschnitt wie im Text beschrieben wieder:

http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Paine
Thomas Paine
(geboren als Thomas Pain;[1] * 29. Januar 1736jul./ 9. Februar 1737greg.[2] in Thetford, England, Königreich Großbritannien; † 8. Juni1809 in New York, Vereinigte Staaten) war ein einflussreicher politischer Intellektueller und einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten im Zeitalter der Aufklärung.

Im Januar 1776 erschien seine Schrift Common Sense (dt. Gesunder Menschenverstand). Frei von jeglichen gefühlsmäßigen Bindungen an England legte Paine dar, dass es Aufgabe Amerikas sei, die Unabhängigkeit zu erringen und ein neues, demokratisches Regierungssystem einzuführen, das sich auf die Prinzipien der Menschenrechte gründete. Common Sense hatte einen beispiellosen Erfolg, mehr als eine halbe Million Exemplare wurden verkauft und verteilt, und das in einem Land, das ca. drei Millionen Einwohner zählte. Leseunkundigen wurde die Schrift vorgelesen. Die von Jefferson verfasste Unabhängigkeitserklärung, die am 4. Juli 1776 unterzeichnet wurde, wurde entscheidend durch Common Sense beeinflusst.

Nach dem Ende des Krieges und der Gründung der Vereinigten Staaten zog sich Paine aus der Politik zurück und konzentrierte sich auf den Versuch, eine Eisenbrücke mit einer bisher unbekannten Spannweite zu konstruieren. Dieses Projekt führte ihn 1787 nach Frankreich und England, wo er den Bau der Wearmouth-Brücke vorantrieb. In England freundete er sich mit dem britischen Staatsmann Edmund Burke an, der während der amerikanischen Revolution eine vermittelnde Rolle gespielt hatte und den Paine deshalb für einen Freund der Freiheit hielt.

Nach Ausbruch der Französischen Revolution 1789 hielt Burke im britischen Parlament Schmähreden auf die Französische Revolution. Am 1. November 1790 veröffentlichte Burke seine Betrachtungen über die Französische Revolution. Diese konterrevolutionäre Schrift beantwortete Paine im Februar 1791 mit dem ersten Teil seiner Rights of Man (dt. Die Rechte des Menschen). Im Februar 1792 folgte der zweite Teil. Das Werk verteidigte die Französische Revolution und machte sie außerhalb Frankreichs populär, in einem Stil, der sich nicht nur an britische und französische Adlige, Philosophen und nonkonformistische Geistliche wandte, sondern für jederman4n verständlich war.

Am Tag seiner Verhaftung hatte Paine den ersten Teil seines Werkes Age of Reason (dt. Zeitalter der Vernunft) fertiggestellt. Im Hause Monroes verfasste er den zweiten Teil dieses religionskritischen Werkes. Paine bekennt sich in ihm zum Unitarismus[5]: „Ich glaube an einen Gott, und nicht an mehr – und ich hoffe auf einen glücklichen Zustand nach diesem Leben.“ Er verwarf die Inspiration des Alten und des Neuen Testamentes

Er glaubte, dass wahre Religion darin besteht, Gerechtigkeit zu üben, Erbarmen zu haben und unsere Mitmenschen glücklich zu machen. Auch dieses Werk wurde ein Bestseller.

[10] Während die westlichen Staaten ausschließlich politische und bürgerliche Freiheitsrechte in die Erklärung aufnehmen wollten, bestanden die Sowjetunion und andere sozialistische Staaten darauf, dass wirtschaftliche und soziale Rechte denselben Stellenwert haben müssten. So kam ein Kompromiss heraus, der allgemein genug gehalten war, damit er unterschiedlich akzentuierte Auslegungen der Menschenrechte zuließ. Trotzdem bildet diese Erklärung eine wichtige Grundlage, die von allen anerkannt werden konnte und von der eine Kraft ausgeht.

[11] Heute weisen allerdings auch Philosophen, die selbst nicht von einer göttlichen Offenbarung ausgehen wollen, darauf hin, dass eine letzte Begründung nicht mehr durch die Philosophie gegeben werden kann.

Die Präambel des deutschen Grundgesetzes beginnt mit den Worten „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen...“ Der Gottesbezug wird dabei als Absage an ein totalitäres Staatssystem verstanden. Der Staat ist danach nicht die höchste und letzte Instanz. Er ist an natur­recht­liche, vor- und überstaatliche Grundlagen gebunden. Gott steht als offenes Symbol für die dem Staat voraus liegende „letzte sittliche Kraft“

[12] Micha 4,1-5

[13] 2. Mose 22,20f

[14] 5. Mose 30,19

[15] Deuteronomium, 7. Jhd, v. Chr.

[16] Lukas 10,27 // 3. Mose 19,18

[17]  Luk 10, 25-37

[18]Kant geht davon aus, dass der Mensch ein Zweck an sich sei und demnach nicht einem ihm fremden Zweck unterworfen werden darf. Das heißt: Die Menschenwürde wird verletzt, wenn ein Mensch einen anderen bloß als Mittel für seine eigenen Zwecke benutzt – etwa durch Sklaverei, Unterdrückung oder Betrug:

„Die Wesen, deren Dasein zwar nicht auf unserem Willen, sondern der Natur beruht, haben dennoch, wenn sie vernunftlose Wesen sind, nur einen relativen Werth, als Mittel, und heißen daher Sachen, dagegen vernünftige Wesen Personen genannt werden, weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst, d. i. als etwas, das nicht bloß als Mittel gebraucht werden darf, auszeichnet, mithin so fern alle Willkür einschränkt (und ein Gegenstand der Achtung ist).“ (Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten II)

[19]Albert Schweitzer: Es waren zwei grundlegende Erfahrungen in der Jugend, die ihn geprägt haben: Die eine: „... das Ergriffensein von dem Weh, das um uns herum in der Welt herrscht.“ Vor allem Erlebnisse mit leidenden Tieren erregte Schweitzers Mitleid. Es ist die alte Frage, wie sich der Mensch dem Leiden gegenüber verhalten soll. Und gleichzeitig war es die andere Erfahrung: „Der Gedanke, dass ich eine so einzigartige glückliche Jugend erleben durfte ...Immer deutlicher trat die Frage vor mich, ob ich dieses Glück denn als etwas Selbstverständliches hinnehmen dürfe.“[19] Ihm wurde klar: Wer von eigenem Leid verschont ist, hat sich berufen zu fühlen, zu helfen, das Leid der anderen zu lindern.[19] Daraus erwuchs für den 21jährigen Studenten der Entschluss, dass er bis zum 30. Lebensjahr dem Predigeramt, der Wissenschaft und der Musik leben und dann den Weg des unmittelbaren Dienens beschreiten wollte.[19] Das war die eine Seite Schweitzers.

Die andere: Im und vor allem nach dem 1. Weltkrieg sahen viele Vernunft, Fortschritt und Humanität als trügerisch an. Rationales, sachliches Denken war eher verpönt. Man hatte Darwins Gedanken von der natürlichen Auslese und dem Überleben der Stärksten auf das Zusammenleben der Menschen übertragen. Gleichzeitig führte die Industrialisierung zu einer Entwurzlung und einem anderen Umgang mit dem Menschen. Albert Schweitzer klagt: „Auch hat unsere Gesellschaft aufgehört, allen Menschen als solchen Menschenwert und Menschenwürde zuzuerkennen. Teile der Menschheit sind für uns Menschenmaterial und Menschendinge geworden.“[19]

Albert Schwei­­­tzer wollte an den Zielen der Aufklärung festhalten. Für ihn war klar: Wir müssen mit unserem Verstand nach dem tiefsten Grund unseres Seins fragen. Nur das, was man mit rationalem Denken nachvollziehen kann, kann als allgemeine Ethik anerkannt werden und Kraft haben. Es ging ihm um eine geistige Erneuerung der Gesellschaft. Er wollte eine neue Grundlage für das ethische Handeln finden. Sie sollte nicht nur für Christen, sondern für alle gültig sein. Sie sollte Kraft haben, sich gegen die verhängnisvollen Strömungen der Zeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu stellen. „Der Mensch des beginnenden 20. Jahrhunderts hat auf die elementare Frage, was er mit seinem Leben in der Welt beginnen solle, keine Antwort mehr; er taumelt desorientiert in der Weltanschauungslosigkeit herum (31).“ „Die Affinität zum Nebenmenschen geht uns verloren. Damit sind wir auf dem Weg zur Inhumanität. Wo das Bewusstsein schwindet, dass jeder Mensch uns als Mensch etwas angeht, kommen Kultur und Ethik ins Wanken. Das Fortschreiten zur entwickelten Inhumanität ist dann nur noch eine Frage der Zeit.“ (GW 2, 38)

Albert Schweitzer stand also vor der Frage: Wie kann es zu einer geistigen Erneuerung kommen, aus der ein neues ethisches Verhalten seine Kraft bezieht? Dabei konnte er sich nicht auf ein Gesetz der Natur berufen. Er wusste: Die Natur ist in ihrem Verhalten keineswegs human. Gegen die Vorstellung, dass es eine vorgegebene ideelle oder materielle Aufwärtsentwicklung gibt, konfrontiert Albert Schweitzer die Menschen mit der Erkenntnis, dass die Welt und das Leben auf ihr sehr widersprüchlich sind. Die Welt bleibt eine rätselhafte Erscheinung. Man kann aus ihr keinen Sinn und keine ethischen Ziele ableiten.

Was kann dann das Fundament sein? Albert Schweitzer sieht, wie die Natur von einem geheimnisvollen Willen zum Leben angetrieben wird, die Pflanzen, die Insekten bis hin zum Menschen. Wir haben als Menschen teil an diesem Willen zum Leben; das verbindet uns mit allem Leben. Das führte ihn zu dem Satz: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“

Das freilich ist noch eine neutrale Aussage. Das kann auch der nachsprechen, der seinen Willen zum Maßstab macht. Es geht darum, dass wir Stellung beziehen. Wir müssen Prinzipien entwickeln, die uns auch gegen die Gesetze des Naturgeschehens handeln lassen. Ethik entsteht erst, wenn wir uns eine bewusste Einstellung bilden. Wenn wir es als unser Ziel ansehen, bewusst für das Leben einzutreten, dann können wir uns auch einschränken, verzichten, uns sogar selbst aufopfern. Ethik, das ist ein bewusstes Ja zum Leben. Wir müssen der Welt bejahen, ihr mit einer positiven Einstellung begegnen.

In diesem grundlegenden Ja zu einer tiefen Verbindung mit allem Leben mündet das Nachdenken Schweitzers; das ist seine letzte Erkenntnis. Die ist nicht mehr rational zu belegen. Sie ist deshalb für Albert Schweitzer zugleich ein mystisches Erlebnis. Darin fühlt er sich ganz tief mit dem Leben und mit dem göttlichen Willen verbunden. Darin findet er Frieden und das höchste Glück. Aber das ist für Schweitzer kein passiver Zustand. Dieses Ja zum Leben, diese Verbindung mit Gott kann es nur geben, wenn wir uns praktisch in der Welt für das Leben einsetzen.

Er schreibt: „In allem findest du dich wieder. Der Käfer, der tot am Wege liegt - er war etwas, das lebte, um sein Dasein rang wie du, an der Sonne sich erfreute wie du, Angst und Schmerzen kannte wie du, und nun nichts mehr ist als verwesende Materie - wie du über kurz oder lang sein wirst.“[19] „Der Ungelehrte, der angesichts eines blühenden Baumes von dem Geheimnis des um ihn herum sich regenden Willens zum Leben ergriffen ist, ist wissender als der Gelehrte ...“[19]. Ich erkenne diesen Willen zum Leben und erlebe ihn zugleich. Dann kann ich der Welt nicht unbeteiligt gegenüber stehen bleiben. Der geheimnisvolle Wille zum Leben, der in allem ist, erfüllt mich mit Ehrfurcht.[19]

Ehrfurcht ist etwas, was den Menschen in Gedanken nicht mehr loslässt[19]. „Er fragt nicht, inwiefern dieses oder jenes Leben als wertvoll Anteilnahme verdient, und auch nicht, ob und inwieweit es noch empfindungsfähig ist. Das Leben als solches ist ihm heilig.“[19] Ehrfurcht, Liebe ist dabei mehr als Mitleid haben. Wir sehen nicht nur, wie jemand leidet. Wir nehmen an dem ganzen Leben des anderen teil – auch an seiner Lust, an seiner Sehnsucht, sich auszuleben, an seinem Drang zur Vervollkommnung. Der eigene Lebensbereich wird erweitert. Wir sind nicht mehr isolierte, fremde Wesen in einer geheimnisvollen und leidvollen Welt. Ehrfurcht ist die Haltung, in der das Leben Würde bekommt. Damit hat Albert Schweitzer eine Antwort auch auf die Frage gefunden, die ihn seit seiner Jugend beschäftigt hat, wie er die Erfahrung des Leidens und das erlebt Glück zusammenbringen kann.

Damit hat Albert Schweitzer nun auch einen Maßstab für gut und böse: Gut ist, Leben zu erhalten, Leben zu fördern, Leben auf seinen höchsten Wert zu bringen. Böse ist, Leben zu vernichten, Leben zu schädigen, Leben in seiner Entwicklung zu hemmen.

[20] Albert Schweitzer, Kultur und Ethik, München 1990, S 331

[21] Wie wir überleben können, S 14, Vorwort / GW 2, 388

[22] KPh III, 4. Teil, 107

[23] Günzler S 140

[24] GW 5, 586

[25] Drei Predigten über den Besitz, (Albert Schweitzer, Strasbourg 11.5./25.5. und 1.6.1919)

[26] Die Macht der Würde, Globalisierung neu denken - Beiträge zu diesem Thema zum Kirchentag 2007, Gütersloh

[27] ebd.: Impulstext der Herausgeber für die Beiträge zu dem Thema, S 12f,

[28] ebd.: Impulstext für die Beiträge zu dem Thema, S 12f

[29] ebd. S 123: Bischof H. Mvumw Dandala, Generalsekretär der All Africa Conference of Churches

[30] ebd.: S135f:
Der Buddhistische Lehrer und Leiter des Meditationszentrums »Plum Village« im Süden Frankreichs Thich Nhât Hanh

[31] Artikel von Madeleine Bunting über Aung San Suu Kyi
http://www.guardian. co.uk/commentisfree/belief/2011/jun/26/aungsansuukyi-spiritual-struggle-lesson

(Aus Wikepedia: Aung San Suu Kyi ist die Tochter des Kommandeurs der Burma Independence Army, ein Vorkämpfer für die Unabhängigkeit des damaligen Birma von Großbritannien. Ihre Mutter war die erste weibliche Botschafterin Burmas in Indien. 1947 wurde ihr Vater während einer Kabinettssitzung ermordet. Aung San Suu Kyi wuchs in Indien auf. Nach dem Highschool-Abschluss in Neu-Delhi ging sie nach England und studierte an der Universität Oxford. Dort schloss sie ihr Studium 1967 mit dem B.A. in Philosophie, Politik und Wirtschaft ab. Von 1969 bis 1971 arbeitete sie im UN-Sekretariat in New York (Verwaltungs- und Finanzabteilung).Von 1985 bis 1986 bezog sie ein Stipendium in Kyoto, Japan, und recherchierte weiter über den Aufenthalt ihres Vaters in diesem Land. In der Folge entstanden zudem weitere Veröffentlichungen über Birma.1988 kehrte sie wegen einer Krankheit ihrer Mutter in ihre Heimat Burma zurück. Sie wurde die Parteivorsditzende der neu gegründeten National League for Democracy. Die politischen Ziele sollen mit zivilem Ungehorsam und gewaltfrei erreicht werden. Seitdem wird von den Herrschenden versucht, sie kaltzustellen.1991 erhielt Aung San Suu Kyi für ihren Einsatz für die Demokratie in ihrem Land den Friedensnobelpreis.)

In dem Artikel von Madeleine Bunting weist diese darauf hin, dass ihr Verständnis von Freiheit entscheidend vom Buddhismus geprägt ist. Sie übersetzt ihre spirituelle Tradition aber, indem sie die Gedanken vieler westlicher Denker aufnimmt. Gefragt, wie es nach einem langen Hausarrest ist, wieder frei zu sein, antwortet sie: „my mind has always been free“. Ihr politisches Engagement wurzelt im Buddhismus. Es ist zunächst entscheidend sich davon zu befreien, dass Gier, Furcht und Hass das eigene Verhalten bestimmen. Es bedarf eine Revolution des Geistes. Die individuelle und personale Veränderung ist unlöslich mit der politischen verbunden. Es geht immer wieder darum mehr und mehr an Wahrnehmung zu erreichen. Diese Wahrnehmung lässt sie die Furcht sehen, die die Burmesische Junta treibt. Das macht es ihr möglich, einen Dialog anzubieten. Ihre Praxis der „loving kindness“ ist nicht passiv. Das ist eine Radikale Botschaft an die westliche Politik aber es ist auch eine revolutionäre Sicht des Buddhismus, der nicht als ein mit sich selbst beschäftigte Fatalismus verstanden werden darf, der sich aus allem nur lösen will.

[32] Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S 393

[33] aus eine Zitat – leider nicht mehr gefunden

[34] Benutzte Literatur: http://www.blikk.it/angebote/modellmathe/ma9712.htm
Ethische Reflexionen - Apel und Habermas: Kommunikations- und Diskursethik

http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/2002/1076/pdf/de
Diskursethik, Begründungs- und Anwendungsfragen -  Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Dr. phil. - eingereicht an der Universität Stuttgart im Mai 1999 von Niels Gottschalk

http://www.micha-h-werner.de/diskursethik.pdf
Micha H. Werner: Diskursethik - Nicht zitierfähiges Online-Manuskript.

[35] Erklärung zum Weltethos, Parlament der Weltreligionen, 4.9.1993, Chicago, U.S.A.