ZUausgewählte Predigten
von
Rudolf
Lughofer
Ihr wart tot - '
nun seid ihr wieder lebendig
Sorget nicht
Mt 6,25-34 26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? 27 Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? 28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. 29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. 30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? 31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? 32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. 33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. 34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.
Liebe Gemeinde, wir haben im letzten Jahr an unserer Hauswand eine Kletterrose gepflanzt, sie hat Hunderte von Knospen gebracht, die Wand war übersät mit Rosen. Wir haben uns an dem warmen Rot der Blüten, dem betörenden Duft einfach gefreut. Und dann war da das Gefühl: „Ich würde gerne von den Rosen verschenken.“ – Es ist schön, einem anderen etwas zu schenken. Vielleicht ist jemand hier, der eine schlechte Nachricht bekommen hat: mit einer Krankheit leben muss, Abschied nehmen muss, mit einem Konflikt nicht zurecht kommen kann. Ich hätte ihm oder ihr gerne eine von den duftenden Rosen in die Hand gedrückt. Von der Rose sollte etwas ausgehen: „Ich bin jetzt deine Rose, ich leuchte für dich. Beuge dich zu mir herab und atme meinen Duft! Vielleicht kommt in dir etwas zum Klingen – eine tiefe Erfahrung, die dich trägt: Wärme, Geborgenheit auch im finsteren Tal.“ Ich habe an unseren Bibeltext denken müssen: „Sorgt nicht um euer Leben …Seht die Vögel unter dem Himmel an … Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen … trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit …“ Die Lilien, die Rosen anschauen – da kann sich etwas in uns lösen, bewegen, eine tiefe Liebe erwachen, da schauen wir dann auch uns selbst und den anderen Menschen in Liebe an. Und was ist mit dem, was uns belastet, mit der Frage, was werden wird? – Nein, es geht gewiss nicht darum, verantwortungslos die Dinge treiben zu lassen. Wir müssen die vor uns liegenden Aufgaben sehen und uns ihnen stellen: Eine Familie versorgen, sich um die Kinder, vielleicht die alten Eltern, um die Nachbarn kümmern. Wir müssen mit unserer Arbeit im Beruf einen wichtigen Beitrag leisten. Und doch: Lasst uns immer wieder dazu Abstand gewinnen! Wir sind kein Rädchen! Wer unter dem Druck steht, immer nur funktionieren zu müssen, verliert die eigene Lebendigkeit. Wer seinen Wert nur in der Arbeit und in seinem Ansehen finden will, verliert den Sinn in seinem Leben, wenn es nicht mehr so geht. „Sorgt nicht!“ – Das ist die kritische Frage: Nimmt eure Menschlichkeit Schaden? Lasst das nicht zu! Ihr sollt Raum für das Leben zu gewinnen! Raum für das Leben gewinnen – wie kann das gelingen? Das heißt nicht, dass wir die Sorgen wegwischen. Wir müssen sie ernst nehmen. Aber gerade darum lasst uns auf die Rosen schauen, die Lilien, die Vögel sehen. Darum lasst uns das Leuchten ihrer Farben, die Freude an dem eleganten Flug der Schwalben aufnehmen. Das hilft, Abstand zu gewinnen. Abstand gewinnen, um dann genauer hinzuschauen: Was hat sich da in uns und um uns aufgebaut? Was machen die Sorgen mit uns? Ersticken sie uns, nehmen sie uns unsere Kraft, das Ja zum Leben? Manchmal ist es ein ganzes Gewirr von Sorgen; wir müssen sie sortieren. Was sind berechtigte Sorgen? Was lässt sich auflösen? Wir wissen: Es lassen sich nicht alle Sorgen auflösen: Krankheit, dass die Kinder Schwierigkeiten haben, dass ein junger Mensch gar nicht in das Berufsleben hineinkommt, die wegrationalisierte Arbeitsstelle, Trennung und Tod. Die Finanzwirtschaft taumelt. Ja, unsere Welt stößt an Grenzen. Jesus, er hat nicht zugedeckt. Er hat sich den Menschen in ihren Sorgen, in ihrer Not zugewandt. Er hat die gesehen, die sich in Gier und Schuld verfangen hatten, als Aussätzige gebrandmarkt ausgeschlossen waren. Er bagatellisiert die Sorgen nicht, sondern öffnet die Gemeinschaft dafür. Aber zugleich – zugleich durchbricht er die Fixierung auf die Sorgen. Er durchbricht sie, indem er ihr etwas entgegenstellt: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit.“ Das Reich Gottes – was kann uns denn das bedeuten? Das ist doch irgendwie weit weg. Aber die Fischer Petrus und Andreas, die Mütter mit ihren Kindern, der Zöllner Levi, der Gelähmte, der blinde Bartimäus, Maria Magdalena – für sie war es ganz nah. Sie haben bei Jesus etwas von dem Reich Gottes gespürt. Sie haben erlebt: Da ist Raum zum Atmen. Die Selbstgerechtigkeit der Menschen wird durchbrochen. Bei Jesus gibt es Brücken zueinander, Brücken über die Gräben. Da ist eine tiefe Barmherzigkeit, eine Liebe, die uns trägt. Sie blieben mitten in ihren Sorgen. Sie waren ohnmächtig und verzweifelt angesichts der brutalen Gewalt, angesichts des Todes Jesu. Und doch – sie müssen nicht verbittern, nicht hart werden. Sie erleben: Wir dürfen an Gottes Liebe festhalten, das Ja Gottes zu uns, zu unserer Welt – es gilt. Wir gehören zusammen. Wir erleben eine Kraft, die uns trägt. Unsere Welt ist chaotisch. Und doch: Wir ahnen eine Gemeinschaft, in der es gerecht zugeht. Wir dürfen hoffen, lieben. Wir selbst können heilen, versöhnen, Frieden stiften. Ja, das ist ein Wunder, das unsere Enge durchbricht. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit!“ „Trachtet nach …“ – das griechische Wort heißt: „aufspüren, nach etwas fragen, erproben, zu erlangen suchen.“ Macht euch auf! Schaut euch um und entdeckt dieses menschliche Miteinander. Tragt die Hoffnung auf Gerechtigkeit, auf Barmherzigkeit in die Welt. Ich sage das nicht so leicht dahin. Da sind Sorgen: Die ganz reale Not, Gewalt, Krankheit, der Tod. Ist da mitten unter uns schon Raum für das Reich Gottes? Können wir die Vögel des Himmels und die Lilien auf dem Felde wirklich wahrnehmen? Einer sagt: „Das wäre schön, aber ich kann das nicht.“ Das ist dann so. Ich kann nur darauf hoffen, dass Stunde kommen, in denen er sich wieder lebendig fühlen, den Augenblick leben kann, Nähe spürt. Vielleicht gibt es auch in dem langen, dunklen Tal Tage, in denen uns eine Leichtigkeit berührt und wir uns mit unserer Welt, mit der Natur, den Menschen neben uns jetzt gerade verbunden wissen. Ich sage das, weil ich das für mich erlebt habe. Aber es bleibt ein Ringen. Von sich wegschauen, sich für das Reich Gottes öffnen, lieben – das ist kein fertiger Weg, eher ein Wegweiser, an dem wir uns orientieren können. Wir müssen manchmal einen langen Weg durch die Nacht gehen. Ich vertraue darauf, ich hoffe darauf, dass mich auf diesem Weg eine Hand hält, dass da ein Ausblick ist, ein Ja bleibt. Solch Vertrauen, das ist ein Geschenk, ist Gnade. Aber es ist gut, wenn wir uns in leichten Tagen dafür Zeit genommen haben. Wenn wir in guten Zeiten immer wieder das Leben, unsere Zeit, die Menschen um uns, den Reichtum um uns als etwas sehen können, das uns anvertraut, geschenkt ist. Wenn in uns schon eine Saite gestimmt wird, von der ein tiefes Ja erklingt. Lasst uns jetzt dafür offen sein! Darum möchte ich von einem Urlaubseindruck erzählen: Wir sitzen am Meer. Auf einem ins Meer hinausführenden Steg lehnen sich zwei junge Menschen aneinander, schauen miteinander weit hinüber zu der Sonne, die über der fernen Stadt versinkt. Später hören wir, wie sie mit einem anderen Paar spielen. Das Lachen der jungen Frauen dringt zu uns herüber. Es klingt immer noch in mir. Ich habe nicht mit ihnen gesprochen, kenne sie nicht; es ist mein eigenes Gefühl das in mir klingt. Es ist der Klang von ungezwungenem, beglückendem Lebens, das dort Gestalt gewonnen hat. Es wäre schön, uns jetzt einfach von solchen Bildern, die in uns leben, zu erzählen. Dann können und sollen wir auch von unseren Sorgen sprechen. Zuhören. Von solchen Bildern können wir auch in schwerer Zeit zehren. Ich muss noch einmal auf den Predigttext geht zurückkommen. Da geht es um eine grundlegende Orientierung. Und das trifft heute wie damals. Heute stehen wir in Europa mit dem Rücken zur Wand; wir versuchen, die auf uns einstürmenden Probleme abzuwehren. Wir brauchen einen inneren Abstand. Wir müssen unser Leben neu verorten – jeder für sich, aber eben auch wir alle miteinander: Was bestimmt uns, was trägt und prägt unser Leben, aus welchem Blickwinkel sehen wir die Welt, das Leben? Worauf hoffen, worauf vertrauen wir? Dann kann es gelingen, dass wir uns nicht nur als Opfer erleben, sondern kreativ nach Wegen suchen. Dann werden wir sehr ehrlich fragen, warum wir in diese Krise gekommen sind, was da denn in der Finanzwelt, in unserem Wirtschaftssystem aber auch in unseren Konsumerwartungen aus dem Ruder geraten ist. Das ist nicht vom Himmel gefallen. Dahinter stehen ja Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten, die man gewollt hat. Dann werden wir unsere reale Lage wahrnehmen – unseren Reichtum, unseren fürstlichen Lebensstil aber auch, dass wir mit der billigen Energie nicht mehr weiter kommen, dass manche Rohstoffe knapp werden, dass die Klimaveränderung bereits Lebensraum nimmt. Wir können wieder Spielraum finden. Spielraum in dem eigenen Leben, dass wir das tun, was wichtig ist – wichtig für mich selbst, für meine Beziehungen, für die Gemeinschaften, in denen ich lebe, wichtig für unsere Welt. Das ist Freiheit. Und wir sollten dieses Verständnis von Freiheit einem Freiheitsbegriff entgegenstellen, in dem die Verantwortung für die Folgen wegwischt wird, der alles beliebig werden lässt, in dem die Zeit in kurze, unverbundene Abschnitte zerteilt wird, in der wir uns sich zum Maßstab aller Dinge macht. Es geht um die Freiheit für das Leben. Dem anderen soll es auch gut gehen! Uns darf miteinander ein tiefes Ja zu unserer Welt verbinden, eine Liebe, ein Engagement, das sich auch von Gewalt und vom Tod nicht ersticken lässt. Darauf möchte ich mit Ihnen vertrauen. Amen |