ausgewählte Predigten
von
Rudolf
Lughofer
Ihr wart tot - '
nun seid ihr wieder lebendig
Gottesdienst, „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, Liebe Gemeinde, das ist die Jahreslosung 2011; damit sollen wir ins neue Jahr gehen. Das Böse – es gibt das Böse – auch in dem vor uns liegenden Jahr. Unser Text ruft uns aber zu: Ihr habt die Aufgabe, in dieser Welt eure Menschlichkeit zu bewahren. Ihr habt den Auftrag, das, was ihr heute als Bedrohung und als böse erlebt, zu verändern. Also nicht sich ducken, wegschauen oder die Kröte schlucken. Manchen Leuten muss man sagen: „Lass dir nicht alles gefallen, wehre dich!“ Aber wie? Sich nicht alles gefallen lassen – Wir dürfen uns nicht damit abfinden, wenn man sich gegenseitig die Achtung versagt, wenn es unfair und ungerecht zugeht, wenn man sich seelisch oder körperlich verletzt. Wir haben alle einen Anspruch auf eine Privatsphäre, auf eine eigene Meinung. Das müssen wir verteidigen – bei uns und bei anderen. Wir müssen die Möglichkeit haben, uns einzubringen, unser Leben zu gestalten, unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Und wir müssen davon ausgehen dürfen, dass uns Hilfe in Not zusteht, dass wir nicht fallen gelassen werden. Wenn das verneint wird, ist das böse. Und das dürfen wir nicht akzeptieren – für uns und für andere nicht. Es gibt das Böse. Die Frage ist, wie wir dem Bösen begegnen können. Wenn wir tief verletzt sind, uns Hass begegnet, wenn wir Unrecht erlitten haben – wie können wir souverän dagegen vorgehen, agieren, nicht reagieren. Wir dürfen uns nicht darauf fixieren zu lassen, denn das macht uns kaputt machen, erstickt uns. Dann hat uns das Böse überwunden. Eine Wunde muss heilen. Wenn uns etwas angetan wurde, dann müssen wir uns damit auseinandersetzen, sonst wuchert das in uns. Aber wie sollen wir das tun? Das erste ist: Ich muss dem Bösen ins Auge schauen, d.h. genau hinschauen, es benennen. Wir brauchen einen Freund, ein Gegenüber, der uns hilft, unsere Verletzung in Worte zu fassen. Wir können das im Gebet vor Gott bringen. Dieser Freund, dieser unser Gott soll uns helfen, dass wir nicht von dem Bösen oder der Bösen reden – nicht der böse Partner oder Bruder und nicht der böse Jugendliche, der böse Vorgesetzte und auch nicht der böse Terrorist, die bösen Muslims. Denn dann kann sich nichts mehr ändern. Diese Menschen sind für uns festgelegt; wir haben sie abgeschrieben. Da bleiben wir ohnmächtig ausgeliefert. Deshalb müssen wir genau überlegen: Was ist das Böse, das uns angetan wird – was hat der Partner, der Bruder getan, der Jugendliche, der Vorgesetzte, der Terrorist. Dann können wir auch überlegen, was in dem anderen vorgeht, was ihn dazu getrieben hat. Und wir können auch nach unserem Anteil daran fragen. Noch einmal: Es geht nicht darum zu verharmlosen, wegzuwischen. Wir müssen das Böse in unserem Leben und in unserer Welt sehr ernst nehmen. Oft ist es einfach die Situation, die uns kaputt macht – wenn wir ständig überfordert sind – wenn wir keinen Raum mehr haben, Mensch zu sein, kreativ, wenn wir uns keine Fehler und Schwächen mehr leisten dürfen. Jemand aus der Wirtschaft hat neulich gesagt: „Jeder muss sich auf Kosten der anderen durchsetzen; das ist heute so.“ Mich hat das zunächst erschrocken. Aber ja, es stimmt. Die Konkurrenz gibt der Wirtschaft ihre Dynamik. Unsere Gesellschaft lebt davon, dass sich das bessere Produkt, die aggressivere Firma, der stärkere Mensch durchsetzt. Nur - das darf doch nicht alles sein. Wir dürfen nicht auf den am Boden Liegenden treten, um selber oben zu bleiben. „Lasst euch nicht vom Bösen überwinden, sondern …“ „Sondern“ Dieses „sondern“ ist wichtig. Unser Text ruft uns zu: Es gibt eine Alternative. Ihr seid dem nicht ausgeliefert. Ihr habt die Freiheit und ihr habt die Kraft in der Welt, so wie sie ist, Mensch zu bleiben. Ihr könnt die Atmosphäre positiv verändern. Ihr habt die Freiheit und die Kraft, eure Gemeinschaft so zu gestalten, dass jeder seinen Raum findet. Was ist das für eine Freiheit und für eine Kraft? Unsere Jahreslosung stammt aus dem Schlussdrittel des Römerbriefes. Dort geht es um praktische Anweisungen für das Leben. Aber hinter diesen Schlusskapiteln steht die ganze erste Hälfte des Briefes. Und da redet Paulus von dieser Kraft und Freiheit, von einem neuen Fundament. Seine Sicht der Welt und sein Selbstverständnis haben sich verändert. Das hat ihm die innere Freiheit gegeben, aktiv dem Bösen entgegen zu treten. Paulus möchte uns auf diesem Weg mitnehmen. Zuerst noch einmal: Hört auf, euch Illusionen zu machen. Es gibt das Böse in der Welt, und es gibt das Böse in Menschen – auch in euch. Es ganz wichtig, dass ihr dazu steht. Und da sagt Paulus: Ihr könnt das. Ihr könnt das, wenn ihr auf Jesus blickt, seine Botschaft hört, euch von dem ansprechen lasst. Sein Kreuz und seine Auferstehung wollen euch berühren und mitnehmen. Wir wissen, wie das ist, wenn jemand einem die Hand auf die Schulter legt, wenn wir spüren, wie uns einer einfach mag, uns annimmt, wenn uns jemand in die Arme nimmt. Wir dürfen uns dem anvertrauen mit all unserer Stärke und mit unserer Schwäche. Annehmen und selber geben. Liebe auch in meinem, in unserem Leben? Vielleicht müssen wir das neu entdecken. Paulus hat das entdeckt, er hat diese Erfahrung gemacht und gespürt: Da ist eine Kraft, die hält stand. Diese Kraft gibt mir, gibt uns mitten in dieser Welt Raum. Da ist ein Ja, da ist eine Gnade, die uns Gott schenkt. Da ist mir Jesus Christus begegnet, eine lebendige Liebe, die auch angesichts der brutalen Gewalt am Kreuz, auch angesichts des Todes gilt. Paulus hat lange gebraucht, um das zu verstehen. Vielleicht ist es für uns auch ein langer Prozess. Es soll sich etwas in uns bewegen. Daran müssen wir arbeiten, indem wir uns bewusst erinnern: An die Wärme erinnern, die wir erlebt haben, an gute Worte, an die ausgestreckte Hand. Und wo wir selber einem anderen Menschen Raum gegeben haben, wo wir selber um Gerechtigkeit gerungen haben. Wenn wir uns darauf besinnen kann in uns etwas aufklingen, Freude, Nähe. In uns kann Vertrauen wachsen. Wir können die Liebe, das Ja Gottes aufnehmen. Und wir selbst können lieben, können ja sagen. Das macht uns frei. Das gilt. Und doch ist das nie etwas Fertiges. Wir müssen uns immer wieder ansprechen lassen, immer wieder warten. Lasst uns a die Gnade glauben, wenn es um uns kalt ist. Es kann passieren, dass wir dabei auf einmal wieder Hoffnung bekommen. Wir können die Liebe gegen das Böse setzen, weil wir selbst in der Liebe leben. Dann müssen wir einfach anders handeln. Wie kann das konkret werden? Ich habe erlebt, wie das ist, wenn sich die Atmosphäre verändert – z. B. in einer Schulklasse, in einem Betrieb. Das Miteinaner kann sich verändern, wenn einer Wärme ausstrahlt. Da kann die Kälte aufgebrochen werden. Da kann man wieder nach dem anderen Menschen fragen und sich gemeinam für ein faires Miteinander einsetzen. Da können wir es nicht durchgehen lassen, dass man einander fertig macht. Denn dann geht es nicht mehr darum, dass wir uns durchsetzen, dass wir triumphieren, dass wir militärische Erfolge vorweisen. Es geht darum, Vertrauen aufzubauen, aus der Konfrontation auszubrechen Das Böse mit dem Guten oder vielleicht besser übersetzt: im Gutem überwinden! Das macht uns frei. Dann werden wir den ersten Schritt zur Versöhnung machen. Wir werden die Hand reichen, wieder miteinander reden, den Brief schreiben. Das kann ein neuer Anfang sein. Dann sind wir in unserem Verhalten glaubwürdig. Wir können uns glaubwürdig dafür einsetzen, dass wir eine gerechte, eine friedliche Lösung suchen, die von allen akzeptiert werden kann. Dass unsere Gesellschaft auf Konkurrenz, Wettbewerb aufgebaut ist - das können und sollen wir vielleicht gar nicht ändern. Aber das darf nicht das Einzige sein. Wir müssen unsere Welt immer wieder mit den entscheidenden Fragen konfrontieren: Dient unsere Wirtschaft, unser Finanzsystem, unsere Politik, unsere militärische Macht den Menschen und dem Erhalt des Lebensraumes oder nicht? Und wenn wir so fragen, dann müssen wir natürlich auch in dieser Richtung Anstöße geben: Die Arbeitswelt humanisieren, Wege zu einer Umwelt und Ressourcen schonenden Wirtschaft beschreiten, einen fairen Ausgleich der Interessen suchen, das Leben und die Freiheit des anderen wollen. Wir müssen eine Gesellschaft wollen und aufbauen, die allen Raum gibt. Da geht es sicher um fairen Lohn. Da geht es um Ausbildung und Eingliederung. Da geht es aber auch darum, die Würde des anderen zu achten – des Menschen mit Behinderungen, des Gescheiterten, des Fremden. Da gibt es viel zu tun bei uns. Dem Bösen im Guten entgegentreten. Vielleicht geht es uns um ganz nahe Beziehungen. Wir können auch nicht alles heilen, müssen es vielleicht aushalten, dass die Spannung bleibt. Und doch: Wo wir uns selber und den anderen bejahen, uns selbst und den anderen wahrnehmen und das Gute wollen – da bleiben wir lebendig, da ist der Geist der Liebe, der Geist Gottes. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Guten.“ Wir sollen uns mit dieser Jahreslosung auf den Weg machen. Und die alten Worte, die Abraham gehört hat, werden uns begleiten: „Ich will dich segnen; und du sollst ein Segen sein.“ Amen
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