A. Offenbarung in der Geschichte – Beobachtungen am Alten Testament[i]
Wie redet die Bibel über Gott, mit Gott? Ich möchte davon erzählen. Es geht dabei nicht um eine alte Geschichte, sondern darum, dass wir neu verstehen. Das darf kritisch sein. Aber wenn die Bibel von Gott redet, dann geht es immer um unsere Existenz, unser Vertrauen und Hoffen, um unsere Welt. Da können wir uns ansprechen lassen.
1. Überblick über das Alte Testament und seine Entstehung
Wenn die Bibel von Gott redet, ist das nichts Neues. Es gab in vielen Kulturen Schöpfungsmythen[ii][iii]. Gott oder Götter wurden als Schicksalsmacht verstanden, die von außen eingreifen konnten. Es gab Vorstellungen von einer eigenen Welt Gottes mit Engeln, von Widersachern Gottes. Das Neue in der Bibel ist nicht, dass sie von Gott, seiner Herrlichkeit und Macht spricht, von der Schöpfung, von Engeln und dem Verführer. Neu ist auch nicht, dass die Menschen einen Gott oder mehrere Götter verehren, ihm Opfer bringen, etwas Heiliges kennen. Neu und anders ist, wie die Bibel von Gott, von seinem Reich, von seiner Macht spricht.
Wir werden in der Bibel vielfältige Aussagen über Gott finden. Aber immer wenn die Bibel von Gott redet, geht es um den Menschen. Darum ist es entscheidend, dass wir das heraushören: Was bedeutet Gott für die Menschen, für das Volk? Was bestimmt das Selbstverständnis der Menschen? Worauf gründet sich ihr Vertrauen, ihre Hoffnung? Was gibt ihnen Orientierung? Sehen wir uns das jetzt an:
Das Alte Testament – erzählt eine fortlaufende Geschichte. Es beginnt mit den Urgeschichten, der Schöpfung, dem Brudermord, der Sintflut, dem Turmbau zu Babel. In einem Neueinsatz geht es dann um die Vätergeschichte: Abraham, Isaak, Jakob, die Josefsgeschichte. Es folgt der Auszug aus Ägypten, die Landnahme. Die einzelnen Geschichten und Erzählstränge haben oft eine lange Tradition hinter sich, manche wurden über Generationen mündlich weitergegeben und dann nach 1000 v. Chr. erstmals schriftlich fixiert, vieles hat erst sehr viel später seine endgültige Form gefunden.
Die Stämme waren sesshaft geworden, hatten zusammen nun auch Könige: Saul, dann David um 1000 v. Chr. usw.. Schon bald brach das Reich in ein Nordreich Israel und in das Südreich Juda auseinander. Um 587 haben die Babylonier den Tempel in Jerusalem zerstört und die Oberschicht nach Babylon verschleppt. Das Land war verwüstet, der Tempel zerstört und mit ihm das kultischen Handeln. Damit hatte das Volk seinen Mittelpunkt verloren. Das Vertrauen auf Gott und seinen Segen waren in Frage gestellt.
Wie konnte es dazu kommen? Historiker werden sagen, dass die Babylonier als neue Weltmacht eben das kleine Land Juda unterworfen und sich einverleibt haben. Sollte das für die nun unterworfenen und verschleppten Bewohner bedeuten: Wir sind einfach ausgeliefert. Dass Gott uns erwählt hat, zählt überhaupt nicht. – Sie haben eine andere Antwort gefunden. Sie haben damals noch einmal die ganze Geschichte Revue passieren lassen. Dabei haben sie die bis dahin noch unverbundenen Traditionen zu einer Gesamtgeschichte zusammengefasst.[iv] Die Verheißung an Abraham, die wunderbare Rettung aus Ägypten, die Gabe der Gebote am Sinai – man wollte davon erzählen, wie Gott sich dieses Volk ausgesucht und es begleitet hat. Es war ihnen wichtig, das gerade jetzt heraus zu stellen. Die Königszeit aber haben sie im Rückblick immer wieder als Zeit des Abfalls von Gott gesehen. Das so geschaffene Geschichtswerk sollte somit zeigen: Wir sind nicht einem blinden Geschick ausgeliefert. Das Volk hat selber seinen Untergang verursacht, weil es sich von Gott losgesagt hat. Gott bestraft uns. Aber wenn wir uns nun an ihn halten, dann wird er auch wieder gnädig sein und uns eine neue Zukunft geben.
So werden einige Könige positiv herausgehoben: Josia, der kurz vor der Katastrophe noch eine Reform auf Grund einer damals aufgetauchten Schrift (das Deuteronomium/das 5. Buch Mose) eingeleitet hatte. An dem Denken dieser Schrift orientierte sich dann das im Exil entstandene so genannte Deuteronomistische Geschichtswerk.[v] Besonders herausgehoben wurde David. Mit ihm hat Gott einen neuen Bund geschlossen, den Zionsbund. An sein Geschlecht knüpften sich jetzt die Verheißung und nun auch die Erwartung auf einen neuen Gesalbten (hebräisch: Messias) auf dem Thron Davids.
Dass sie ihr Schicksal so gedeutet haben – man kann das als eine große Leistung sehen. Wenn aber das eigentliche Problem ist, dass man sich immer wieder mit seiner Ohnmacht angesichts eines blinden Schicksals auseinandersetzen muss, dann sind sie dem ausgewichen. Die Frage taucht dann im Neuen Testament wieder auf, wenn es darum geht sich mit der Kreuzigung Jesu auseinander zu setzen.
Zurück in die Exilszeit. Man musste nicht nur mit der eigenen Geschichte, sondern auch mit den siegreichen Babyloniern und ihren Göttern auseinandersetzten. Die Babylonier haben erzählt, dass ein Götterkampf stattgefunden hat und dass aus dem Leib der alten Göttin Tiamat dann Himmel und Erde entstanden sind. Dagegen wird jetzt ein neuer Schöpfungsbericht aufgeschrieben und ganz an den Anfang gestellt. Gott schafft Himmel und Erde aus dem Nichts. Mit seinem Wort gestaltet er das Chaos zu einer guten Ordnung. Gott, das wollte man sagen, ist nicht nur ein Stammesgott. Wir sind nicht einem blinden Schicksal ausgeliefert, das sich in den Sternen abbildet. Gott steht der ganzen Welt und allen Menschen gegenüber. Er steht über allem. Er schuf Himmel und Erde durch sein Wort. Die Sterne hat er als Lampen aufgehängt. Entscheidend ist es, dass wir wieder auf seine Stimme hören, auf die Verheißung des Segens, auf die Gebote, seinen Bund.
In der Königzeit und bis über das Exil hinaus waren Propheten aufgetreten. Das waren ganz normale Menschen, engagierte Leute, die sicher sehr aufmerksam die politische und gesellschaftliche Situation beobachtet haben. Eine Vision, ein Traum, eine eklatante Verletzung des Rechts hat sie veranlasst öffentlich Einspruch zu erheben. Sie waren unbequem. Ihre Botschaft stieß auf Widerspruch. Sie haben aber auch eine neue Perspektive gezeigt.
Während des Exils oder danach wurden die alten Erzählungen und die schon früher schriftlich fixierten Prophetenerzählungen mit ihren Verheißungen aus priesterlicher Sicht überarbeitet und später zu den Büchern Mose und den Königsbüchern hinzugefügt.[vi]
Als die Perser mit ihrem König Kyros die Babylonier besiegten, durften die Verschleppten wieder zurückkehren. Es kommt zu einem mühseligen Wiederaufbau. Das Judentum existiert fortan bis auf eine kurze Zwischenperiode unter den Makkabäern unter anderen Mächten weiter, vor allem auch außerhalb des Stammlandes.
Es wird immer wieder gesagt: Im Alten Testament begegnet ein grausamer Gott. Es gibt die Texte, in denen von der Vergeltung Gottes die Rede ist und es gibt die Texte, in denen die auch grausame Wirklichkeit damals durchklingt. Und man nimmt Gott aus dem Blickwinkel des Volkes Israel wahr und nimmt ihn auch für sich in Beschlag, wobei einige Texte darüber hinaus führen. Wenn man aber den verbindenden Geist des alten Testaments verstehen will – der wird am besten wohl in dem Psalmvers ausgedrückt: „Barmherzig und gnädig ist der Herr geduldig und von großer Güte.“[vii]
2. Einzelne Erzählstränge
a. Die Verheißung an Abraham
Abraham[viii], so heißt es, hört, wie Gott ihn anredet: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zu einem großen Volk machen … Ich will dich segnen … und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“[ix]
Die semitischen Stämme sind als Nomaden von Weideplatz zu Weideplatz gezogen. Nachdem Abraham aufgebrochen ist, wird berichtet[x], dass sich Abraham und Lot trennen, weil das Land das viele Vieh nicht ertragen kann. Die Notwendigkeit also, mit der Hoffnung auf ein gutes Land und auf wachsenden Wohlstand aufzubrechen, war gegeben. Entscheidend für die Generationen später ist, dass Abraham in der konkreten Situation unter der Zusage und der Verheißung Gottes aufgebrochen ist. Es geht nicht um Abraham damals, sondern um Abraham jetzt, nämlich darum, diese Zusage und Verheißung immer wieder neu zu hören. Gott spricht die Menschen mit dieser alten Botschaft jeweils neu an: Brecht wie Abraham im Vertrauen auf den Segen auf! Ihr sollt diesen Segen weitertragen.
Für das Volk Israel war das eine der entscheidenden Gottesoffenbarungen. Der Segen, so ist es im 1. Buch Mose festgehalten, soll durch Israel auch auf die anderen Völker übergehen. Das Volk Israel ist also in einen Strom des Segens hineingenommen. Dieser Segen wird von Generation zu Generation weitergegeben. Die Verheißung von dem Volk und dem Land hat sich erfüllt. Und sie muss doch immer wieder als neue Verheißung weiter gesagt werden. Dabei weitet sich die Bedeutung aus. Zunächst geht es darum, Nachkommen zu haben, viele Schafe und Ziegen. Es geht um ein diesseitiges gutes Zusammenleben. Schließlich – vielleicht erst angesichts der gescheiterten Hoffnungen – greift die Verheißung darüber hinaus. Gott wird einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen[xi], wo Menschen und Tiere friedlich miteinander wohnen, in dem es kein Leid mehr gibt, ja selbst der Tod nicht mehr sein wird. Das ist als eine reale neue Welt gedacht, in der dann zukünftige Menschengeschlechter leben werden.
b. Auszug aus Ägypten
Es gibt Inschriften, die belegen, dass semitische Fronarbeiter an Pyramiden in Ägypten mitgebaut haben. Es ist ja auch gut vorstellbar, dass semitische Gruppen in trockenen Jahren in dem Land am Nil Zuflucht gesucht haben. Eine Gruppe wagt mit einem charismatischen Führer die Flucht. Sie werden verfolgt. Wie durch ein Wunder gelingt es ihnen, durch das Schilfmeer den ägyptischen Streitwagen zu entkommen.
Dieses Erlebnis hat sie geprägt. Andere semitische Stämme haben das als ihre Geschichte übernommen. Immer wieder erzählen sie davon, tragen es über Generationen weiter. Es ist für sie eben nicht eine alte Geschichte. Sie haben das als Wunder, als Führung Gottes erlebt: „Gott hat uns wunderbar gerettet.“ Und damit geben sie späteren Generationen die Hoffnung weiter: „Gott zieht mit euch; er wird euch auch jetzt in eurer ausweglosen Lage wieder retten.“ Gott ist nicht eine statische Größe getrennt von der Welt, schon gar nicht ein ferner Urgrund alles Seins. Er wird hier als ein Begleiter gesehen.
c. Der Bund mit Gott, die Gebote[xii]
Gott, so erzählt das 2. Buch Mose, hat den Israeliten die 10 Gebote gegeben und mit ihnen einen Bund geschlossen. Die Gebote regeln das Zusammenleben der Menschen. Sie leuchten ein. Die Israeliten haben – und das war für sie entscheidend – die Gebote als eine Gabe Gottes verstanden. Die Gebote gaben ihrer Gemeinschaft eine Grundlage. Am Sinai, so lesen wir, hat Gott selbst Mose die Gebote mitgeteilt; Gott hat sie auf steinerne Tafeln geschrieben. Mose kann sie dem Volk bringen. Sie werden in der Bundeslade aufbewahrt, die während der Nomadenzeit als bewegliches Heiligtum mitgetragen wurde.
Die Israeliten haben festgehalten: Gott steht für das Recht, für ein soziales Recht. „Denkt an die Waisen und Witwen, an die Fremden. Ihr selbst wart Sklaven in Ägypten.“[xiii] Das göttliche Recht steht über den Menschen. Auch Könige sind ihm unterworfen[xiv]. Das war damals und ist auch heute noch nicht überall selbstverständlich.
Gott hat mit seinem Volk am Sinai einen Bund geschlossen. Er will ihr Gott sein, sie auf ihrem Weg begleiten, und sie sollen sein Volk sein. Die Israeliten hingegen verpflichten sich, sich von allen anderen Göttern und Götterbildern loszusagen und die von Gott gegebenen guten Gebote zu halten. Das ist der Weg, auf dem die Gemeinschaft gedeihen kann.
Wichtig für das Gottesverständnis ist: Gott begegnet im Wort; er begegnet, indem er die Menschen anspricht, in seiner Zusage, in den Geboten. Es geht um das Leben der Menschen hier auf dieser Welt. Dieses Leben soll gelingen. Das ist möglich, wenn dieser Gott das Gegenüber der Menschen ist und nichts anderes.
3. Die Entwicklung des Gottesbildes im alten Israel und im Judentum vor Jesus
a. Das Auftreten von Propheten
Abraham, Mose, David – hier standen sich immer Gott und das Volk als Ganzes gegenüber. Der einzelne verstand sich als Teil dieses Volkes, das sich für oder gegen diesen Gott entscheiden konnte. Das änderte sich dann bei den Propheten. Die Propheten haben öffentlich und auch gegenüber den Königen im Namen der Gebote und des Bundes mit Gott Einspruch erhoben – gegen soziales Unrecht, gegen Götzendienst und einen unehrlich gewordenen Gottesdienst. Dabei haben sie Unheil vorausgesagt, das sie in ganz konkreten politischen Entwicklungen kommen sahen. Sie haben aber auch den alten Verheißungen in ihrer Zeit neues Gewicht gegeben und damit den engen Horizont aufgebrochen. Sie machten deutlich: Im Gottesdienst geht es nicht primär um kultischen Handlungen, sondern um den gerechten Umgang untereinander.
b. Die Zeit von 750 bis zum Exil 598 v. Chr.
Im 8. Jahrhundert, zu der Zeit des Propheten Amos[xv], erwartete man, dass ein Tag kommen würde, an dem der Gott Israels seine Macht offenbaren und alle Feinde vernichten würde. Gott würde dann über alle herrschen. Amos geht darauf ein; er redet von der drohenden Vernichtung. Ärgerlich ist nur, er schließt Israel darin mit ein. Nur wenn sie Gott dienen, indem sie das Recht und die Gerechtigkeit beachteten, wird der ersehnte »Tag des Herrn« Heil bringen, sonst auch für sie Vernichtung. Das Volk und alle Völker werden die heilende Kraft Gottes erfahren, wenn sie dem unbedingten Sittengesetz folgen und nicht mehr nur um sich selbst kreisen. Dieses Gottesverständnis hat sich von dem der umgebenden Völker unterschieden.
Hosea[xvi] geht noch einen Schritt weiter: Auch wenn Israel anderen Göttern nachgelaufen ist – „Wie kann ich dich preisgeben … Mein Herz ist anderen Sinnes, alle meine Barmherzigkeit ist entbrannt. … Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch … und will nicht kommen, zu verheeren.“[xvii]
Jesaja[xviii] schließlich sagt, dass Gott sein erwähltes Volk wegen seiner Frevel schon strafen müsse, aber ein Rest werde umkehren und Gott vertrauen. Damit steht nicht mehr das ganze Volk, sondern der einzelne vor der Entscheidung, ob er Gott dienen möchte oder nicht – ein erster Schritt zur Individualisierung. Gott wird ein barmherziger Richter sein. Jesaja sieht voraus: Es kommt eine Zeit, dann werden die, die jetzt umkehren, Gottes Willen tun. Dann wird ein idealer König, ein Nachkomme Davids, in Jerusalem herrschen und das Heil bringen.
Jeremia[xix] schließlicht wirkte über hundert Jahre später in der Zeit vor dem Babylonischen Exil. Mitten in einer Zeit des Verfalls blickt Jeremia nicht zurück, sondern nach vorne: „Siehe es kommt die Zeit, da will ich mit dem Hause Israel und dem Hause Juda einen neuen Bund schließen. … Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein.“[xx] Gott, so der Ausblick, ist nicht mehr eine fremde Macht, sondern lebt in ihnen.
c. Die Zeit des Exils
Schon bei den alten Propheten hat sich die zunächst ganz irdische Hoffnung auf ein Zusammenleben in Frieden ausgeweitet und das real Vorstellbare gesprengt. Angesichts der im Großen und Ganzen negativen Bewertung der Könige haben Propheten von einem neuen Gesalbten, Messias, gesprochen, der Friede bringen und das Elend beseitigen sollte. Dann würden die Blinden sehen und die Lahmen gehen ….und den Armen wird die frohe Botschaft gebracht[xxi]. Dabei hat man an eine neue Zeit hier auf Erden unter einem anderen Machthaber gedacht, hat das aber auch schon überboten. Im Exil, als die Menschen ihre Hoffnung zu verlieren drohten, hat ein Prophet, dessen Worte ab Kapitel 40 im Jesajabuch stehen, eine neue Botschaft gebracht: „Tröstet, tröstet mein Volk …“ „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen …“ Durch die neue Macht der Perser würden die nach Babylon verschleppten Israeliten wieder ihre Freiheit erlangen. Gott ist doch ein Herr der ganzen Welt, der Messias kann der persische König Kyros sein.
Der Tempel war zerstört; es gab keine Sühnopfer mehr. Aber man war sich bewusst, dass man das Unheil durch eigene Schuld verursacht hatte, indem man von Gott abgefallen war. Wie konnte es da zu einer Versöhnung mit Gott kommen? Deuterojesaja redet von dem Knecht Gottes. Der wird keine Gestalt noch Schönheit haben. Aber er wird stellvertretend für die Menschen leiden und die Schuld auf sich nehmen.
Bei den alten Propheten gab es noch nicht die Vorstellung, dass unser Zeitalter durch ein neues abgelöst würde. Das verändert sich bei Deuterojesaja; das ist ein neuer Schritt. Es geht nicht mehr darum, dass die Menschen ja oder nein zu dem sittlichen Gebot Gottes sagen, sondern um die Hoffnung: Auf das leidvolle Exil wird eine neue Zeit folgen, die Gott herbeiführen wird. Israel wird erlöst werden.
d. Die Zeit nach dem Exil
Ab 539 durften die verschleppten Israeliten wieder zurück. Viele allerdings hatten sich in Babylonien etabliert und wollten gar nicht mehr in das zerstörte Jerusalem und das verarmte jüdische Land. Aber man wollte sich auch ohne Land und Tempel als das erwählte Volk verstehen und seine Identität bewahren. Damals wurde die Beschneidung zum Zeichen des wahren Juden erhoben, es entstand der Synagogengottesdienst, der Sabbat und viele einzelne Riten wurden zu Symbolen, die genau eingehalten werden mussten.
Sicher war manches, was uns als äußerliches Zeichen erscheint, einfach ein selbstverständlicher und unhinterfragter Brauch in Israel und wurde dann, als die Juden die Eigenstaatlichkeit und dann auch ihr Land verloren hatten, zu einem entscheidenden Merkmal, das ihnen ihre Identität gab. Viele solcher vielleicht durchaus alten Regeln wurden aber erst nach dem Exil in die Bücher Mose eingebaut, um ihnen damit Autorität zu verleihen. Die Bücher Mose wurden nun vor allem als Gesetzesbücher verstanden. Der Priester Esra brachte dann das so neu entstandene Glaubens- und Gesetzesbuch nach Jerusalem. Damit konnte sich die dort wieder entstehende Kultgemeinde von anderen unterscheiden. Ehen mit Andersgläubigen wurden annulliert. Das Gesetz war nicht in das Herz geschrieben, sondern in einem Buch fixiert.
Nach dem Sieg Alexanders des Großen über die Perser (Schlacht bei Issus 333 v. Chr.) begann die Zeit des Hellenismus. Die griechische Kultur durchdrang den ganzen Orient.[xxii] Es entstand vor allem in Alexandria auch ein hellenistisches Judentum. Auf der anderen Seite hat die orientalische Kultur diese hellenistische Welt beeinflusst. In dieser Zeit kam es zu einer zunehmenden Individualisierung. Im Judentum musste sich nun der einzelne entscheiden, ob er das Gesetz mit allen seinen Geboten übernehmen wollte oder nicht. Während die Sadduzäer mit den hellenisierenden Tendenzen sympathisierten, ging es den Pharisäern um die Fortführung des Jerusalemer Kultes.
Dabei nahmen sie die damals kursierenden apokalyptischen Gedanken auf, wie man sie im Danielbuch[xxiii] und in dem in Persien verbreiteten Zoroathrismus finden.[xxiv] Dort ist von vier Weltreichen die Rede. Diese werden aufsteigen und wieder vergehen, bevor dann die Endzeit anbricht. Hier bahnt sich eine dualistische Weltbetrachtung an. Die Welt jetzt ist dem Untergang geweiht. In der Endzeit kommt es zu der großen Wende. Nach dem Untergang der alten Welt wird Gott herrschen. An dieser neuen Welt Gottes werden auch die schon Verstorbenen teilhaben[xxv]. Die jetzt in der Totenwelt schlafen, werden „zu ewigen Leben“ oder „zu ewiger Abscheu“ aufwachen[xxvi].
In dieser Zeit veränderte sich die Vorstellung von der kommenden Herrschaft Gottes. Die Hoffnung auf einen erneuerten Staat Israel schien aussichtslos zu sein. Gott allein konnte ein neues Reich aufrichten und damit dem jetzigen Leiden der Frommen einen Sinn geben. Es ging nicht mehr um ein ideales politisches Gemeinwesen hier auf Erden. Man hoffte vielmehr darauf, dass Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen würde[xxvii]. Gott wird seinen Gesalbten senden, um die Völker zu richten und alles Leiden seines Volkes zu rächen.
Unter der syrisch-hellenistischer Herrschaft hat sich ein Lebensstiles von weltläufiger Toleranz verbreitet. Dieser setzte die Kultgemeinde in Palästina unter den Druck. Die Frommen fühlten sich ausgegrenzt; sie mussten viel leiden. Der damals aufkommende Glaube an die Auferstehung von den Toten gab ihnen Kraft, blieb aber bis zu Jesu Zeiten zwischen Sadduzäern und Pharisäern umstritten.
Mit den apokalyptischen Vorstellungen ist es zu einem neuen Weltbild gekommen. Das Verständnis von Gott hat sich verändert. Hat man früher Gott als den gesehen, der sein Volk jetzt und hier mit seinem Wort begleitet, blickte man jetzt auf die zukünftige Herrschaft Gottes. Diese Welt jetzt, die ist dem Untergang geweiht. Gott wird als Herrscher in einer neuen, andere Welt gesehen. Davor steht das Jüngste Gericht, in dem Gott die Lebenden und die schon Gestorbenen einzeln nach ihren Taten den Zugang zum Himmel öffnet oder sie in das Reich des Gegenspielers, des Satans, in ewige Verdammnis stößt.
4. Offenbarung Gottes im Alten Testament
Das war jetzt ein schneller Durchgang. Was bedeutet es nun für die Menschen im Alten Testament, wenn sie von Gott reden? Ich möchte vier Punkte nennen:
a. Die Offenbarung findet in der Geschichte statt und hat eine Geschichte
Wir begegnen einer dramatischen Geschichte zwischen Gott und den Menschen. Da haben einzelne, Gruppen von ihren Erfahrungen berichtet. Vielleicht war es gleich klar, vielleicht war es ein langer Prozess. Auf einmal fängt diese Erfahrung an, zu ihnen zu sprechen. Sie hören in der Erzählung eine Stimme, die sie trifft, unbedingt angeht, ihr Leben als einzelne und als Gemeinschaft bestimmt und öffnet. Sie verstehen das als eine Offenbarung Gottes, als ein Ruf von außen. Sie geben das so weiter. Andere sollen das übernehmen. Diese Erfahrungen, in denen man Gottes Wort gehört hat, schließen die Menschen zusammen. Das Leben und ihre Gemeinschaft bekommen ein tieferes Fundament, einen weiteren Horizont. Gott handelt in der Geschichte.
b. Gott in unseren Weltbildern – Gott als Gegenüber
Die Grundlage ist das antike Weltbild: Die Sterne sind wie an einer über die Erde gestülpte Käseglocke angeheftet. Die Erde steht auf Säulen. Im Erdkern ist der Raum der Verstorbenen, die Gott nicht mehr loben können. Gottes Raum ist außerhalb der Welt gedacht. Es wird auch damit gerechnet, dass Gott unmittelbar in die Natur und in die Geschichte eingreifen kann. Entscheidend ist dann aber, dass man nicht nach oben geblickt hat, sondern erlebt hat: Gott spricht uns hier an. Gott handelt durch sein Wort. Die Menschen sind frei; sie müssen sich entscheiden, ob sie auf dieses Wort vertrauen und diesem Wort folgen wollen oder nicht. Gott und Mensch treten in einen Dialog, stehen einander gegenüber. Man kann mit Gott um den Segen, um Gerechtigkeit, darum, dass er sein Wort hält, ringen. Damit wird Gott als Gegenüber erlebt. Er spricht die Menschen an, und sie können ihre Freude, ihren Dank, ihre Klage und Not ihm gegenüber ausdrücken. Dabei werden sie in eine große Gemeinschaft eingebunden. Mit den apokalyptischen Vorstellungen tritt daneben ein anderes Weltbild, ein anderes Verständnis von dem Ablauf der Zeiten und ein anderes Verständnis von Gott.
Nun ist das nicht einfach ein abstraktes Wort Gottes. Die Erfahrungen mit Gott, die Geschichten wurden in den Familien weitergegeben, waren mit Festen und Riten verbunden. Der Tempelkult mit dem gemeinsamen Lob Gottes aber auch den Sühnopfern, den Priestern, dem Allerheiligsten spielte eine lange Zeit eine wichtige Rolle. Er war dann aber für den Fortbestand der jüdischen Religion nicht entscheidend.
c. Vielfältige Aussagen nebeneinander
Die Texte im Alten Testament und der gesamte Aufbau sind theologisch durchdacht. Aber sie sind doch sehr verschieden. Eine Besonderheit ist, dass unterschiedliche Aussagen dabei nebeneinander stehen bleiben konnten. Darum kommt es sehr darauf an, aus welchem Blickwinkel man das Alte Testament verstehen und benutzen will.
- Zionisten können daraus ableiten, dass Israel das Volk Gottes ist und ihm das Land, wie es in seiner Ausdehnung unter dem großen König David beschrieben wird, zusteht.
- Man kann es als ein Buch lesen, das mit seinen Gesetzen und Regeln die Identität der Juden bewahrt hat.
- Man kann sehr viel Grausames und Willkürliches in ihm entdecken, das einen auch dann erschrecken kann, wenn man weiß, das etwa die von Gott befohlene Ausrottung eines ganzen Volkes wahrscheinlich erst eine späte Radikalisierung darstellt und gar nicht so stattgefunden hat, denn das Volk wird auch später noch erwähnt.
- Man kann es als ein Buch lesen, in dem Menschen Gott begegnen, ein Buch voller reicher Erfahrungen, das auch unseren Hintergrund heute geprägt hat.
- Man kann es als Weg zu Jesus Christus lesen, in dem sich Gott endgültig offenbart.
Wir können aus dem Alten Testament nicht eine fertige Antwort herausdestillieren: So ist Gott, oder so. Man kann aber spüren, wie das Volk und die einzelnen Menschen immer wieder von Gott angesprochen waren und mit ihrem Leben darauf antworten sollten. Wir dürfen nicht einfach alles übernehmen, aber wir können uns auch heute von den alten Texten ansprechen und auf einen Weg mitnehmen lassen. Wir können mit vielen anderen um Vertrauen und Hoffnung ringen und so werden wir in eine Gemeinschaft hineingenommen.
d. Wir müssen einen Maßstab finden
Wir müssen allerdings fragen: Was ist denn nun das Wort Gottes für uns? Da gibt es Gedanken und Erzählungen, die uns abstoßen, Moralvorstellungen, die nicht zu unserem humanistischen Menschenbild passen. Ist das auch die Stimme Gottes? Wie müssen die Aussagen prüfen. Wie kann das geschehen, gibt es da einen Maßstab? Man kann das, was als Offenbarung Gottes erlebt wird, nicht danach einschätzen, ob es früher oder später dazu gekommen ist. Man kann sich auch nicht einfach auf die Autorität eines Mose oder der Schrift berufen. So muss uns diese Frage weiter begleiten.
B. Die Botschaft von Jesus Christus
1. Das Umfeld, in dem Jesus aufgetreten ist.
Im Judentum der Zeit Jesu waren viele verschiedene Stränge aus dem Alten Testament lebendig:
– Israel als das auserwählte Volk
– Die von den Propheten ausgeweitete Verheißung, die Erwartung einer Zeit, in der das Gesetz in das Herz geschrieben ist, in dem Blinde sehen und den Armen die frohe Botschaft gebracht wird, die Hoffnung auf den Gesalbten auf dem Thron David
– Die Botschaft aus dem Exil: Versöhnung durch den leidenden Gottesknecht
– Mose als der Gesetzgeber nicht nur der Zehn Gebote sondern auch die genaue Festlegung, was man am Sabbat darf usw.
– Und schließlich die apokalyptischen Vorstellungen, Himmel und Hölle, Jüngstes Gericht, Auferstehung der Toten. Das alles wurde von verschiedenen Gruppen unterschiedlich vertreten.
Und dann waren da die Römer, die das jüdische Land unterworfen hatten. Viele Menschen im Land waren sehr arm, krank. Es gab den Kult am Tempel, die Priester, die Frommen im Land, Widerstandskämpfer, Handwerker.
2. Jesus von Nazareth[xxviii]
Jesus ist ein bis drei Jahre lang durch Galiläa gezogen. Er stand der pharisäischen Frömmigkeitsbewegung nahe[xxix], hat vielleicht eine Thoraschule[xxx] für Rabbiner besucht. Im Mittelpunkt seines Auftretens stand die Botschaft vom Reich, der Herrschaft Gottes. Das war kein schönes Sehnsuchtsbild, das ihn über die trübe Gegenwart hinausführte. Er war jetzt von dem erwarteten Reich Gottes berührt. Er hat jetzt dazu einladen, konnte jetzt schon feiern: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“[xxxi] Dort, wo er jetzt Blinde heilt, sich den Armen zuwendet[xxxii], da ist Gottes Herrschaft schon zu spüren, auch wenn es erst nur Zeichen sind und die Erfüllung aussteht.
Jesus hat in einer intensiven Beziehung zu Gott gelebt und auf diese Herrschaft Gottes geblickt. Aus diesem Blickwinkel musste er die Not der Menschen wahrnehmen und auf sie zugehen. Da hat er schon jetzt die Menschen am Rand hereingeholt, sich mit Sündern an einen Tisch gesetzt, den Samariter, der doch nicht zu den Erwählten gehörte, als Vorbild hingestellt. Jesus hat dabei aus einer großen Vollmacht gehandelt: „Deine Sünden sind dir vergeben!“[xxxiii] Sein Verhalten zu Frauen war im patriarchalischen Judentum damals neu und ungewöhnlich. Viele seiner Heilungen galten sozial ausgegrenzten Prostituierten, Witwen oder Ausländerinnen.
Jesus hat das Herrschaft Gottes nicht ausgemalt, aber in Gleichnissen davon gesprochen, wie es sich damit verhält. Das ist wie ein Vater, der sich einfach freut, als der verlorene Sohn wieder zurückkehrt, wieder lebt. Das ist wie ein Weinbergbesitzer, der die Arbeiter nicht nach der Leistung bezahlt, sondern dafür sorgt, dass jeder genug zum Leben bekommt. Es geht darum, sich jetzt zu entscheiden.
Jesus hat einige Gebote verschärft, andere relativiert – man kann das als eine Deutung innerhalb des Judentums sehen[xxxiv], aber dass er seine Autorität gegen die von Mose gestellt hat – „Ich aber sage euch“ – das ging über eine bloße Auslegung der Gebote hinaus. Er hat zur Feindesliebe aufgerufen, nicht zu einem aussichtslosen Kampf gegen die Römer[xxxv].
Jesus hat Anhänger um sich geschart. Jesus – das war für sie mehr als nur eine neue Botschaft. Sie haben gespürt: Hier bei Jesus erleben wir eine unmittelbare Nähe zu Gott; Gott ist bei uns, wenn er redet, wenn er sich mit Zöllner und Sündern an einen Tisch setzt. Ob Jesus sich selbst als Messias bezeichnet hat – eher nicht, denn als Messias hat man einen politischen Befreier erwartet. Aber er ist mit seinen Anhängern nach Jerusalem gezogen.[xxxvi] Er hat dort den Betrieb am Tempel kritisiert; das hat ihm die Feindschaft der Hohenpriester und der Sadduzäer eingebracht. Und sein Auftreten hat unter den Anhängern eben doch die Hoffnung auf den Messias aufleben lassen. Das machte ihn für die römischen Besatzer gefährlich.[xxxvii] So wurde er um das Jahr 30 von den Römern als politischer Aufrührer hingerichtet
3. Die Jünger erleben, dass Jesus gekreuzigt wird, und, dass er ihnen als der Auferstandene begegnet
Die Kreuzigung war schrecklich. Die Jünger hatten Angst vor der brutalen Gewalt, der Jesus ausgeliefert war. Sie waren enttäuscht, haben sich versteckt. Die Hoffnung, die Jesus in seinen Anhängern geweckt hatte, war zusammengebrochen. Aber wenige Tage später – vielleicht waren es auch Wochen – hat sich die Stimmung völlig verändert. Was da passiert ist – die Erzählungen von der Auferstehung ergeben kein einheitliches Bild.
Was wir fassen können, ist diese neue Bewegung der Christen. Und wir wissen, wie die Jünger die Auferstehung verstanden haben. Sie haben erkannt: Dieser Weg zum Kreuz, das musste so sein. Aber das ist nicht das Ende. Ja, er ist gestorben. Und er ist doch bei uns. Sie haben gesagt: „Jesus lebt, er ist auferstanden.“ Das meint ja nicht, dass Jesus einfach wie vorher weiter gelebt hat. Das war keine Korrektur des Kreuzes, sondern: Der Gekreuzigte ist uns begegnet. Die von ihm gelebte Liebe gilt; sie durchbricht unsere Ohnmacht und Lähmung. Und sie glaubten, dass ihn Gott zu sich aufgenommen hat. Gott hat ihm die Herrschaft übertragen. Er wird wiederkommen. Vielleicht noch ein paar Jahre, wir werden es erleben. Dann wird er herrschen. Er wird der barmherzigen Liebe die Bahn brechen. Dann werden wir in eine neue Welt hineingenommen.
Bis dahin aber sollen wir heilen, helfen. Was wir erlebt haben, sollen wir als eine frohe Botschaft weitertragen. In dieser gegenwärtigen Not sollen wir den Menschen sagen: Die Liebe Gottes, sie gilt gerade angesichts des schrecklichen Kreuzes. Sie ist stärker als alle Gewalt, sie gilt auch noch im Tod. Gott hat uns seinen Heiligen Geist, den Geist der Liebe, gegeben. Und wir sollen ihn weitergeben.
Die Angst und Ohnmacht sind in Hoffnung umgeschlagen und haben zu einem neuen Aufbruch geführt. Auf dem Hintergrund des Alten Testaments – Psalm 22 und Psalm 31, der alttestamentlicher Verheißungen und dem Lied von dem leidenden Knecht Gottes aus dem zweiten Teil des Jesajabuchs konnten die ersten Gemeinde den Weg Jesu als einen Weg der Liebe Gottes sehen.[xxxviii]
Dabei war die Deutung des Lebens und Todes Jesu zunächst noch offen. Es hat eine judenchristliche Gemeinde gegeben, in der der Messias-/der Christustitel oder die Aussage, dass er Gottes Sohn sei, noch nicht auf Jesus übertragen worden ist.[xxxix] Für andere war die entscheidende Deutung aber eben: Jesus ist der Christus. Er ist der erwartete Messias, der Gesalbte, der neue David.
Wenn der Gekreuzigte der Messias ist, der erwartete neue David, der Sohn Gottes, dann geht es zugleich um Gott. Gott ist uns in ganz neuer Weise begegnet. Wir blicken nicht auf zu dem mächtigen Gott irgendwo oben; Gottes Macht, das ist seine Liebe mitten in unserer Welt, die Liebe, die sich dem Leiden stellt.
Mit dem Tod Jesu am Kreuz und der Botschaft von der Auferstehung hat sich nun etwas Entscheidendes geändert. Aus der unmittelbaren Begegnung mit Jesus von Nazareth wurde ein Glaube an Jesus Christus.
Die Jüngerinnen und Jünger haben also erlebt: Die abgebrochene Verbindung zu unserem Gott ist wieder hergestellt. Wir haben den Segen erfahren und können ihn weitertragen. Das Reich Gottes ist schon unterwegs, auch wenn wir noch Gewalt und Tod ausgeliefert sind. Wir sind die Gemeinde Jesus Christi. Wir sollen uns um Arme und Kranke kümmern, vergeben, an den Tisch Jesu Christi einladen. Aus den Nachfolgern Jesu wurde die Urgemeinde.
4. Die frohen Botschaft in den ersten Gemeinden
a. Kreuz und Auferstehung in der Urgemeinde
Der entscheidende Ausgangspunkt für die christlichen Gemeinden und die Texte des Neuen Testaments waren das Kreuz und die Auferstehung, auch wenn man diese nicht von dem Leben Jesu trennen kann. Ich wiederhole: Die im Judentum verankerte Urgemeinde hat mit Texten der Propheten und in Psalmen das Kreuz gedeutet. Auf diesem Hintergrund konnten sie die Botschaft weitergeben. Dabei haben sie in dem Kreuz nicht die Erfahrung der Ohnmacht angesichts von Gewalt und Tod wahrgenommen, sondern es auf dem Hintergrund ihrer Zeit gedeutet – einer Zeit, in der die Menschen die Frage nach Sünde und Erlösung umgetrieben hat. Jesu Tod wird als Sühnopfer verstanden, das aus der Sünde, erlöst und so die Verbindung zu Gott wieder herstellt. Es heißt: Jesus, der keine Sünde kannte, ist stellvertretend für uns gestorben.[xl]. Es geht den Menschen darum, dass sich Gott mit uns versöhnt. Dazu braucht es nun von uns aus keine Opfer mehr oder gute Taten. Man konnte sich wieder von der Liebe Gottes mitnehmen lassen.[xli]
b. Kritische Reflexion
Ich hatte schon bei der Deutung des Exils gesagt, dass sich damit etwas verschoben hat und man sich nicht der Erfahrung der Ohnmacht gestellt hat. Man kann das auch kritisch anmerken, wenn die Bedeutung von Jesus und seiner Kreuzigung nun im Rahmen von Sünde und Erlösung und nicht im Rahmen von Ohnmacht und Liebe gesehen wird. Das ist natürlich eine Kritik aus unserem Blickwinkel. Die Menschen heute bewegt die Erfahrung, ausgeliefert zu sein, und dass sie damit zurecht kommen müssen, in einer Welt ohne Sinn zu leben. Diese Erfahrung heute kann für uns das Kreuz aufnehmen. Da kann der Blick auf Jesus und die Botschaft von der Auferstehung den Raum für Liebe und Barmherzigkeit offen halten. Andrerseits besteht die Gefahr, dass wir heute die Seite verdrängen, dass wir tatsächlich schuldig werden und uns unserer Schuld stellen müssen. Das gilt in dem familiären Bereich, in unserer Arbeitswelt und in der Frage, ob wir unsere Verantwortung für die Welt wahrnehmen – wirklich wahrnehmen wollen. Es geht also heute auch darum, diese Schuld zu übernehmen und sie nicht auf andere projizieren, sondern sie im Vertrauen auf Vergebung und Liebe bearbeiten.
c. Kreuz und Auferstehung bei Paulus
Paulus, ein Zeitgenosse Jesu ist in Tarsos, einem Schmelztiegel der Kulturen, aufgewachsen. Er wurde in der jüdischen Tradition erzogen und dann in Jerusalem in strenger Auslegung als Rabbi ausgebildet. Paulus hat Jesus nicht persönlich erkannt. Die Christen schienen ihm das Gesetz aufzulösen; deshalb hat er sie verfolgt. Dann gab es den Umschlag. Er hat im Galaterbrief davon gesprochen, dass Jesus Christus ihm selbst erschienen sei. Entscheidend ist dabei, dass er ein neues Verständnis von Gott und von seinem Leben gefunden hat.[xlii]: Der Versuch vor Gott dadurch gerecht zu werden, dass man die Gesetze genau einhält, ist einfach – so wörtlich – „Mist“[xliii]. Gott schenkt den Menschen seine Gnade; das macht sie frei, dann auch selber zu lieben. Damit hat ihn die christliche Botschaft auf seinem Hintergrund einer gesetzlichen Frömmigkeit angesprochen. Er hat erkannt, dass er auf diesem Weg sich gerade immer wieder um sich selber dreht und nicht mehr lieben kann. Insofern war die Erkenntnis der Gnade auf diesem Hintergrund die entscheidende Befreiung.
Auch Paulus hat erwartet, dass Jesus Christus bald wiederkommen würde und mit ihm die Herrschaft Gottes beginnen würde. Mit der Auferstehung Jesu Christi verbindet er den Glauben an die allgemeine Auferstehung der Toten, die dann einen geistlichen Leib haben würden. Damit widerspricht er den Enthusiasten, die schon jetzt meinten, das Reich Gottes wäre schon da. Und er widerspricht der hellenistischen Sicht, in der es darauf ankommt, dass sich die Seele von dem Körper trennt und zu Gott aufsteigt. Diese Hoffnung auf die Auferstehung führt Paulus nicht aus der Gegenwart weg, sondern gibt ihm die Kraft, angesichts von Gewalt und Tod jetzt im Vertrauen auf die Liebe Gottes zu leben. Die Gnade gilt schon jetzt; er darf schon jetzt fest darauf vertrauen und in dieser Freiheit leben. Aber er weiß, dass er noch auf dem Weg ist. Er streckt sich nach der Erfüllung aus, die noch aussteht.[xliv]
5. Das Ausbleiben der Wiederkunft Christi[xlv]
Die Erwartung, dass das Reich Gottes noch zu Lebzeiten er ersten Christen kommen werde, hat sich nicht erfüllt. Schon Paulus musste sich damit auseinandersetzen, dass einige vorher starben. Aber erstaunlicherweise löste das keine wirkliche Krise aus. Warum? Wenn man von Gottes Kommen sprach, dann ging es von Anfang an nicht um einen apokalyptischen Fahrplan oder um irgendwelche Jenseitsvorstellungen, sondern darum, mitten in dieser Welt aus dem Vertrauen auf Gottes Liebe zu hoffen und an der Liebe festzuhalten.
Lukas hat sein Evangelium sechzig Jahre nach dem Tod Jesu und der Botschaft von der Auferstehung geschrieben. Er hat die Naherwartung durch eine Heilsgeschichte ersetzt: Zuerst die Zeit des Alten Testaments, die Zeit Jesu Christi ist die Mitte der Zeit, dann kommt die Zeit der Kirche. Das ist unsere Zeit jetzt, in der wir von dem Gott reden sollen, der sich um die Schwachen und die Verlorenen kümmert. Und das ist auch unsere Aufgabe. Das zukünftige Reich Gottes ist in weite Ferne gerückt.
In dem um das Jahr 100 geschriebenen Johannesevangelium verschwindet die Zukunft fast. In diesem Evangelium geht es Jesus nicht um das zukünftige Reich Gottes, sondern darum, dass die Menschen in Jesus Christus jetzt das Leben und die Wahrheit finden. In diesem Glauben oder Unglauben findet schon jetzt die Scheidung, das Gericht statt. Der 1. Johannesbrief kann einfach sagen: Gott hat uns geliebt. Jetzt kommt es darauf an, dass wir in der Liebe leben und auch unseren Bruder lieben. Darin lebt dann Gott auch in uns. Gott ist Liebe.
Nur in Offenbarung wird der Blick fest darauf gerichtet, dass Gott eine neue Welt und einen neuen Himmel schaffen wird. Die Gemeinde kann die Verfolgung, die sie jetzt erlebt, als den Weg dorthin verstehen. Damit bekommt sie die Kraft, durchzuhalten und nicht vom Glauben abzufallen.
6. Die frohe Botschaft in der hellenistischen Welt
Vielleicht ist es typisch, dass bei Paulus der historische Jesus ganz verschwindet. Denn kaum war das Christentum entstanden, wurde es mit der hellenistischen Welt des Römischen Reiches konfrontiert.[xlvi]Schon in den ersten Jahrzehnten und immer mehr in den ersten Jahrhunderten wurde es zunehmend von hellenistischen Verstehensweisen geprägt. Das war nicht nur die andere Sprache Griechisch, sondern hier trafen zwei ganz verschiedene Weisen aufeinander, die Welt wahrzunehmen, zu denken, ein unterschiedliches Verständnis davon, was wahr ist, was gilt.[xlvii] Juden aus der Diaspora und nicht vom jüdischen Glauben geprägten Menschen brachten ihr Denken, ihr Wissen, ihre Ängste und Erwartungen ins Christentum ein. Ihre hellenistischen Vorstellungen begannen, Liturgie, Ethik, Institutionen und Theologie zunehmend zu beeinflussen. Dabei hat sich freilich das Christentum nicht einfach in die andere Kultur aufgelöst. Das Christentum wurde hellenisiert und konnte so den Menschen damals weiter gegeben werden.
Was hat sich da verändert?
- In der jüdischen Religion und bei Jesus begegnet Gott als eine Person, die einen anspricht, begleitet. Jetzt wird Gott zur unwandelbaren und allmächtigen Fülle des Seins und zum tragenden Grund des Kosmos.
- Das Christentum bezieht sich aufgrund seiner jüdischen Herkunft sehr stark auf die Geschichte und ihren handelnden Personen, vor allem auf Jesus Christus. Es erzählt davon, dass Gott an einem bestimmten Punkt in der Geschichte in dem Menschen Jesus begegnet. Im hellenistischen Umfeld wir aus dem Menschen Jesus, in dem uns Gott begegnet, ein Gott-Mensch. Weil er zugleich Mensch und Gott ist, kann er uns mit Gott vereinen.[xlviii] Schon in dem von Paulus an die Gemeinde in Philippi gerichteten Brief findet sich fest geprägte Vorstellungen von der ewigen Präexistenz und der Inkarnation Jesu.
- Auf dem jüdisch-christlichen Hintergrund wird der Mensch als Individuum gesehen. Er kann nur als Person mit seinem Körper und in seiner einmaligen Art gedacht werden. Im Platonismus erreicht der Mensch dagegen seinen höchsten Status, wenn er den Körper zurückgelassen hat und damit auch seine Individualität.
C. Wie redet die Bibel von Gott? – Zusammenfassung und Ausblick
1. Die Offenbarung geschieht in der Geschichte
Es ist das Besondere der jüdisch-christlichen Weise von Gott zu reden, dass sich Gott in der Geschichte offenbart, also auf einem Weg:
Zuerst: Konkrete Menschen in einer konkreten geschichtlichen Situation machen Erfahrungen, in denen sie spüren: „Hier redet mich Gott an.“ So Abraham: „Gott will, dass ich mich auf den Weg mache; er wird mich segnen, mich in ein gutes Land führen, mir Zukunft geben. Und ich soll ein Segen sein für alle Völker.“ Es ist eine tiefe mystische Erfahrung, die er in einer konkreten Situation gemacht hat, die eine Entscheidung verlangt hat. Dahinter stehen aber ein intensives Ringen und eine durchaus rationale aber eben auch existentielle Auseinandersetzung.
Die so gemachte Offenbarung wird dann an andere als Wort Gottes weitergegeben. Sie kann in neuen geschichtlichen Situationen wieder Menschen in ihren existentiellen Fragen treffen. Sie bekommt dann Bedeutung, wenn sie zu einer eigenen Begegnung mit Gott wird, wenn die Menschen sie wieder als aktuelles Wort Gottes für sie verstehen.
Indem so Gottes Wort weitergegeben wird, muss die Botschaft immer wieder neu gesagt werden. Dabei wird sie auch weiter entwickelt. Gottes Wort geschieht nicht nur am Anfang eines Weges und ist nicht erst am Ende, wenn es schriftlich fixiert ist, gültig. Gott begegnet vielmehr immer wieder auf dem Weg. Der Anfang mag im Dunkeln liegen, nicht historisch fassbar sein (wie bei Abraham – aber zum Teil auch bei Jesus) – das Ende mag systematisch durchdacht ausformuliert sein und damit den Eindruck erwecken, dass man nun etwas Endgültiges hat. Aber gerade in diesem Prozess, dass das Wort weitergegeben wird, neu interpretiert wird, etwas bewegt, unsere Enge aufsprengt, begegnet Gott.
Es bleibt wichtig, die alten Geschichten von Abraham, Mose, von Jesus Christus zu erzählen. Durch sie kann Gott zu uns heute sprechen, wenn wir bereit sind, uns ansprechen zu lassen. Wir können Gott begegnen. Wir spüren: Die Gnade, das Ja Gottes – darauf kann ich aufbauen. Sein Segen – ich habe ihn erlebt, ich will ihn weitergeben. Das ist etwas, was meine Suche nach Leben, unsere Herausforderungen in unserer Welt trifft. Es lässt uns nicht los. Gott ist damit eine entscheidende Dimension des Lebens für den einzelnen und die Gemeinschaft. Man hat sich früher Gott als oft eine Superperson in einer anderen Welt vorgestellt. Die Bibel geht davon aus, dass wir Gott selber nicht ergründen können. Es geht nicht darum, über ein abstraktes Sein Gottes zu reden – Gott ereignet sich, geschieht.
Wenn wir uns so von Gott ansprechen lassen – ich denke an die Geschichte vom Brudermord ganz am Anfang der Bibel: Gott warnt Kain. Gott stellt ihn zur Rede: „Wo ist dein Bruder Abel?“ Gott macht ihn auf die Konsequenz seines Handelns aufmerksam: „Du hast dich aus der Gemeinschaft heraus begeben; du bist jetzt vogelfrei.“ Gott schützt ihn: „Du bist weiter mein Geschöpf.“ – erleben wir Gott als Gegenüber – als Person, und zwar insofern, als wir da in eine innere Zwiesprache eintreten oder auch zusammen mit anderen angesprochen werden und antworten müssen – ein Ringen um den Segen, danken, klagen, nach unserer Aufgabe heute fragen.
Schließlich: Die Offenbarung geht über den einzelnen Menschen hinaus. Sie ist Gebot, Verheißung, Bekenntnis, Auftrag nicht nur für den einzelnen, sondern sie wendet sich an unsere Gemeinschaft, an alle Menschen. Gott kann und will unser gemeinsames Gegenüber sein, uns zusammenschließen, unserer Gemeinschaft ein Fundament und eine verbindende Hoffnung geben.
2. Gottes Liebe hat sich in Jesus Christus offenbart
Das Christentum unterscheidet sich vom Judentum und vom Islam, indem es Jesus nicht nur als Propheten und Vorbild sieht, sondern sagt: In Jesus Christus ist uns Gott begegnet. In ihm hat sich ein für allemal die Liebe Gottes offenbart – nicht als eine abstrakte Idee, sondern als eine Erfahrung mitten in unserer Welt.
Das ist aus dem Blickwinkel der Juden und der Muslime eine Gotteslästerung – eigentlich nicht, weil neben Gott noch Jesus Christus als ein weiterer Gott gestellt wird, sondern weil es ein ganz anderes, ein neues Verständnis von Gott ist. Und damit lassen sich die Christen auch auf ein neues Verständnis ihres Lebens ein. Sie gehen nicht mehr von einem mächtigen Gott aus, der über uns richten wird oder auch, der schon alles zum Guten regeln wird. Die Christen gehen vielmehr von einer tiefen Barmherzigkeit, von Liebe aus, von dem vergebenden und heilenden Gott, den sie bei Jesus Christus erlebt haben. Als Jesus Christus mitten in einer Welt, in der die Menschen ohnmächtig Krankheiten, Gewalt der Herrschenden aber auch der eigenen Lieblosigkeit und Leere ausgeliefert waren, geheilt, gepredigt hat, am Kreuz gestorben ist – da haben sie gespürt: Da ist uns Gott begegnet.
Christen beziehen sich immer wieder darauf. Das kann ihnen das Vertrauen geben, das eigene Leben anzunehmen, zu lieben. Sie können gegen alle Zerstörung daran festhalten, dass nicht der Tod und nicht die Gewalt am Ende siegen werden, sondern dass Frieden und Gerechtigkeit herrschen soll und die Zukunft offen ist. Und das hat auch in unserer Zeit mit einem veränderten Denken und Weltbild Bedeutung.
Gottes Wort bricht damit unsere Wirklichkeit auf. Wir können sie in einem anderen Rahmen wahrnehmen. Das macht es möglich, dass wir uns den einengenden Kräften, der Ohnmacht nicht ausliefern, sondern es wagen, zu lieben und zu hoffen. Wenn wir so im Vertrauen auf Gott aufbrechen, dann bedeutet das nicht, dass die Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden, dass wir irrationalen, mysteriösen Vorstellungen folgen. Es heißt vielmehr, dass die Engführung auf naturwissenschaftliches Denken, auf das, was man bei uns als „vernünftig“, rational gelten lässt, aufgebrochen wird. Wir haben keine Patentlösung für die Probleme der Welt, aber wir haben einen Ansatz, die Logik unseres Wirtschafts- und Finanzsystems und unseres Militärapparates immer wieder zu hinterfragen
3. In der Bibel das Wort Gottes hören
In der Bibel finden sich unterschiedliche Weltbilder, Vorstellungen, unterschiedliche Aussagen von Gott. Wenn man ihr gerecht werden will, dann darf man nicht einzelne Stellen herausnehmen und sie isoliert als das für uns gültige Wort Gottes betrachten. Man muss nach dem Zentrum fragen: Was ist die entscheidende Erfahrung Gottes, was sind die wesentlichen Aussagen über Gott? Martin Luther ist davon ausgegangen, dass wir die Bibel unter dem Gesichtspunkt auslegen müssen „Was Christum treibet.“[xlix] Und dabei war für Luther die Aussage von Paulus entscheidend, dass Gott uns seine Gnade einfach schenkt und wir nicht deshalb vor Gott gerecht sind, weil wir so viel vorzuweisen haben, sondern allein, indem wir auf diese Gnade vertrauen – gerecht allein aus dem Glauben.[l] Man kann das auch noch erweitern und von der Liebe Gottes sprechen, in die wir hineingenommen werden und die unsere Welt aufsprengt. Für Luther ist es klar, dass in diesem Licht auch das Alte Testament ausgelegt werden muss. Ob man dem Alten Testament damit aber in seinen eigenen Schwerpunkten immer gerecht wird, ist fraglich. Aber der entscheidende Ausgangspunkt für uns Christen ist eben Jesus Christus.
D. Gespräch mit der Bibel
Man muss dabei drei Ebenen unterscheiden:
Erstens: Im Zentrum steht das, was die Menschen bei Jesus erlebt haben und was Paulus und die Evangelisten für ihre Zeit verstanden haben: Dass da ein tiefes Ja zu uns gesagt wird, uns eine Gnade und Liebe begegnet, die wir aufnehmen und aus denen wir leben können. Dass Gott und dass wir barmherzig sind, dem Verlorenen nachgehen, dass wir den Menschen in Not wahrnehmen und konkret helfen, dass wir aus dem Freund-Feind-Denken aussteigen.
Zweitens: Das ist verbunden mit und gleichzeitig auch unterschieden von dem Weltbild des damaligen sehr vielfältigen Judentums mit seiner Gesetzesfrömmigkeit, dem Kult, den Messiaserwartungen, der Erwartung des Reiches Gottes, mit einer allgemeinen Auferstehung von den Tote, mit einem Endgericht, mit Himmel und Hölle. Und ebenso ist es verbunden und unterschieden von dem hellenistischen Weltbild
Drittens: Das Kreuz und das Erleben der Auferstehung konnten nur verstanden weitergegeben werden, indem man es auf dem Hintergrund der Verheißungen der Propheten und des Kultes gedeutet hat: Jesus ist der erwartete Christus. Er tritt an die Stelle des Sühnopfers, das man im Tempelkult gebracht hat. Er ist Stellvertreter, Sohn Gottes. Als die Botschaft dann in die hellenistisch geprägte Welt getragen wurde, musste man Denkweisen und Begriffe aus diesem Hintergrund aufnehmen beziehungsweise sich davon absetzen.
Diese drei Ebenen sind im Neuen Testament eng miteinander verbunden. Und das müssen wir auch so stehen lassen; wir können nicht ein nach unseren Vorstellungen verändertes Neues Testament schreiben. Aber zwischen den Aussagen der Bibel und uns heute liegen zweitausend, ja dreitausend Jahre. Dazwischen liegt die Aufklärung, die auf die Vernunft gesetzt hat. Wir können an den kritischen Fragen nicht einfach vorbeigehen, sondern müssen – um im Bild zu bleiben – durch diesen Graben durchgehen. Vernunft allein kann aber noch nicht ein tiefes Vertrauen und Hoffnung geben und uns den Geist der Liebe geben.
Wenn ich einen Text aus der Bibel habe und darüber predigen möchte, dann kommt es darauf an, dass der Text mich und die in Gedanken mich beschäftigenden Zuhörer anspricht. Ich werde zunächst genau zuhören, versuchen den Text in seiner Eigenart, auf seinem Hintergrund und in seinem Zusammenhang zu verstehen suchen. Und dann werde ich mich mit ihm auseinander setzen, mich in Frage stellen lassen oder auch einfach mitnehmen lassen. Ich muss Stellung beziehen, dem Text antworten. Es kommt also dabei zu einem Gespräch mit dem Bibeltext. Letztlich kann ich nur das glaubwürdig in der Predigt weitergeben, was mich bewegt hat und für mich glaubwürdig ist. Ich kann nicht einfach ein mir nicht mehr zugängliches Weltbild übernehmen. Und ich muss, um die entscheidende Aussage weiter zu geben, manches mit anderen Begriffen deuten.
Andere werden einen Text für sich anders verstehen. Wir müssen nicht alle in der gleichen Weise denken. Es darf und soll unter uns Christen eine Bandbreite geben. Der uns umgebende Atheismus darf ein Teil unseres Hintergrundes sein oder aber auch eine selbstverständliche Frömmigkeit. Wichtig ist, dass die zentrale Botschaft der der Gnade und der Nächstenliebe im Mittelpunkt stehen. Daran müssen wir die biblische Botschaft und unseren Glauben und unsere Kirche messen, damit wir nicht in eine Gesetzlichkeit oder in eine Selbstgerechtigkeit verfallen.
Gesprächsrunde
Anmerkungen
[i] Vgl.: www.helmutharsch.de/index.php/veroeffentlichungen.html?file=tl...Ansichten eines Theologen Psychoanalytikers zur Beziehung Mensch G. O.T.T.
[ii] Wikepedia: Schöpfung: Als älteste bekannte Schöpfungsmythen der westlichen Welt gelten die der Sumerer mit den auch später in der Bibel auftauchenden Motiven. Diese Mythen, beispielsweise die Erschaffung des Menschen, wurden in angepasster Form von den eindringenden Semiten übernommen.
Das Gilgamesch-Epos stammt aus dem babylonischen Raum. Es erzählt von den HeldentatenGilgameschs und seiner Freundschaft mit dem von der Göttin Aruru erschaffenen menschenähnlichen Wesen Enkidu, thematisiert aber vor allem seine Suche nach Unsterblichkeit. Das Gilgamesch-Epos enthält zahlreiche Parallelen zur biblischen Überlieferung. So erinnert die Figur des biblischen Noach stark an den göttlich auserwählten Helden Utnapischtim. Im 1. Buch Mose, Kapitel 6 EU) findet sich auch das Motiv von Engeln, die sich auf der Erde materialisiert haben und Beziehungen mit Menschenfrauen eingegangen sind. Das Epos gilt als die erste Dichtung, welche die Loslösung von den Göttern, zugleich aber auch die Angst vor der Vergänglichkeit des Lebens thematisiert. Als Babylon innerhalb der Städte des Zweistromlandes eine Vormachtstellung einnahm, gewann die Stadtgottheit Marduk innerhalb des sumerisch-akkadischen Pantheons ebenfalls an Bedeutung. Dies wurde verdeutlicht, indem Marduk in den Weltschöpfungsmythos mit eingebunden wurde. Das Werk diente fortan zur ideologischen Untermauerung des babylonischen Herrschaftsanspruches.
Platon sieht die Welt von einem Demiurgen (göttlicher „Handwerker“) geschaffen. Aristoteles nimmt einen unbewegten Erstbeweger als Anfangspunkt jeder Bewegung an. Seit der Antike kreist die philosophische Diskussion besonders auch um die Frage der Schöpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo). Demgegenüber steht die Aussage „Ex nihilo nihil fit“ („Aus nichts entsteht nichts“), die zuerst beim Vorsokratiker Melissos auftraucht und von Aristoteles übernommen wurde.
Im Zoroastrismus, der von Zarathustra gestifteten und im Buch Avesta festgehaltenen iranischen Religion, ist Ahura Mazda der Schöpfergott, der zuerst die geistige Welt (Menok) und dann die materielle Welt (Geti) erschaffen hat; er verkörpert die Macht des Lichts, ist Schöpfer und Erhalter der Welt und der Menschheit und ist der Gott der Fruchtbarkeit der Lebewesen. Zarathustras Lehren sind während des Babylonischen Exils auch in das Judentum eingeflossen. Speziell die Begriffe Himmel und Hölle waren im Judentum vorher unbekannt; Satan als Gegenspieler Gottes geht vermutlich auf Ahriman zurück, und Engel sind auch im Zoroastrismus bekannt. Sie werden dort Malakhim und Daeva genannt.
Im Koran findet sich die Schöpfungsgeschichte in zahlreichen Abschnitten. Diese ergänzen und wiederholen sich gegenseitig. Beispiele dafür sind Sure 21, 30-33; 32, 4-9; 41; 9-12; 7, 54; 10, 3. Quelle ist dabei zum wesentlichen Teil die biblische Schöpfungsgeschichte. So wird zum Beispiel das Sechstagewerk unverändert übernommen - in Sure 7,54; 10, 3; 11, 7; 25, 59 und 32, 4. Eine besondere Rolle spielte in der islamischen Geschichte die Frage, ob der Koran erschaffen und somit kritisierbar sei, wie dies die Mutaziliten vertraten, oder ob er als Kalam (Logos) von Anfang an in der Welt vorhanden gewesen sei. Zur Zeit der Herrschaft der Mutaziliten in Bagdad im frühen 9. Jahrhundert erreichte sie eine besondere Brisanz, als die Kadis mit inquisitorischen Mitteln (Mihna) darüber befragt wurden, ob sie an die Ewigkeit Gottes und an die Erschaffenheit des Korans glaubten.
Die Vorstellung einer wie auch immer gearteten Schöpfung und die eines Schöpfers, sei es nun eine göttliche Wesenheit oder ein abstraktes Prinzip, wird im Buddhismus letztlich ignoriert oder als nebensächlich behandelt. Buddha Siddhartha Gautama selbst begründete dieses damit, dass die Beschäftigung mit solchen unergründlichen Fragen im religiösen Leben letztlich keinen Erkenntnisgewinn bringt und er deshalb nichts darüber sagen werde.
Schöpfungsmythen gibt es seit Anbeginn der Menschheit auf sämtlichen Kontinenten. Hier eine Auswahl: Gylfaginning (nordische Mythologie), Izanagi und Izanami (japanische Mythologie), Pan Gu (chinesische Mythologie), Popol Vuh (Maya), Rangi und Papa (Mythologie der Maori), Germanische Schöpfungsgeschichte
[iv] http://de.wikipedia.org/wiki/Deuteronomistisches_Geschichtswerk: Historischer Standort des oder der Deuteronomisten ist die Situation Israels nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 586 v. Chr.. Sie wollten zeigen, dass Israel diese Katastrophe selbst verschuldet habe und sie nicht der Ohnmacht seines Gottes, sondern im Gegenteil dessen geschichtslenkender Macht verdanke.
Dazu fügte die Redaktion an allen historischen Wendepunkten der Geschichte Israels komponierte Reden ein, die sie den Führern des Gottesvolks in den Mund legte. Diese Einschübe bilden einen geschichtstheologischen Leitfaden, der die ganze Geschichtserzählung durchzieht.
Grundaussage des DtrG ist der Zusammenhang zwischen dem Gehorsam gegen den von Gott offenbarten, von Mose verkündeten, von Josua aufgeschriebenen Willen Gottes, den die Propheten in der Königszeit immer wieder in Erinnerung riefen, dem Ungehorsam der Könige und des Volkes und dem darauf notwendig folgenden Unheil in der Geschichte Israels und Judas. Damit beantwortete die Redaktion die Frage ihrer Leser und Hörer im Babylonischen Exil nach den Ursachen und dem Sinn der zurückliegenden Katastrophe des Tempel- und Landverlustes.
[v] Als Deuteronomistisches Geschichtswerk bezeichnet die historisch-kritischeBibelwissenschaft eine angenommene theologische Redaktion, die einige Geschichtsbücher der Bibel miteinander verband. Die Hauptbearbeitung fand im 6. Jahrhundert v. Chr. statt, wahrscheinlich im Babylonischen Exil; zumindest Teile können jedoch auch in Palästina geschrieben sein.
Historischer Standort des oder der Deuteronomisten ist die Situation Israels nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 586 v. Chr.. Sie wollten zeigen, dass Israel diese Katastrophe selbst verschuldet habe und sie nicht der Ohnmacht seines Gottes, sondern im Gegenteil dessen geschichtslenkender Macht verdanke.
Grundaussage des DtrG ist der Zusammenhang zwischen dem Gehorsam gegen den von Gott offenbarten, von Mose verkündeten, von Josua aufgeschriebenen Willen Gottes, den die Propheten in der Königszeit immer wieder in Erinnerung riefen, dem Ungehorsam der Könige und des Volkes und dem darauf notwendig folgenden Unheil in der Geschichte Israels und Judas. Damit beantwortete die Redaktion die Frage ihrer Leser und Hörer im Babylonischen Exil nach den Ursachen und dem Sinn der zurückliegenden Katastrophe des Tempel- und Landverlustes.
Theologisch zielt sein Werk darauf, die Führer des Volkes für die Katastrophe verantwortlich zu machen. Da sie zusammen mit dem Volk das im Deuteronomium formulierte „Gesetz missachtet haben“, vor allem immer wieder „von JHWH abgefallen sind“, um „anderen Göttern zu dienen“ – so typische Formulierungen –, tragen sie die Schuld. JHWH hatte das Volk gewarnt und gestraft, bis ihm schließlich keine andere Wahl blieb, als es zu vernichten. Die Darstellung der Geschichte – die nach Noth historisch begründet ist – soll zeigen, dass die Schuld für die Zerstörung Jerusalems mit all ihren Konsequenzen dem Volk selbst zuzuschreiben ist: Der Zorn Gottes steht am Ende der Geschichte, eine Zukunftshoffnung gibt es nicht mehr.
[vii] Ps. 103,8 – Gunda Schneider-Flume S 80 übernommen von H. Spieckermann, Gottes Liebe zu Israel (s. Anm. 20) 3-19
[viii] Außerhalb der biblischen Erzählungen und davon abhängigen Traditionen gibt es keine Nachweise für die Existenz Abrahams, daher ist seine Historizität fraglich. Die in den Abrahamserzählungen erwähnten historischen Verhältnisse erlauben auch keine eindeutigen Rückschlüsse auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund der biblischen Erzählungen. Die erzählte Zeit der Abraham-Erzählungen im Tanach wird im Allgemeinen mit dem Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. angesetzt. http://de.wikipedia.org/wiki/Abrahamhttp://de.wikipedia.org/wiki/Abraham
[xii] wikipedia,.Zehn_Gebote: Diese Exklusivität Gottes, die das angeredete Volk zu seinem Gegenüber macht und an seine Befreiungsgeschichte erinnert, ist eine Besonderheit des Judentums unter den altorientalischen Religionen: „Nur für den, dem Gott sich so offenbart hat, gilt auch das folgende Gesetz.“ Damit ist das Volk Israel und sein Gottesverhältnis zugleich von allen anderen Völkern unterschieden, so dass der Fortsatz „Du sollst keine Götter neben mir“ [wörtlich: vor meinem Angesicht] „haben“ als logische Folgerung erscheint. In Dtn 4,13 EU, 5,22 EU, 9,9 EU und 10,4 EU sind nur die Zehn Gebote als Inhalt der beiden Gesetzestafeln genannt. Sie werden hier – anders als in der Exodusversion des Dekalogs – ausdrücklich als Verkündigung des Bundes JHWHs mit Israel eingeführt.
[xiv] Vgl. Nabots Weinberg, 1. Könige 21: Der Prophet Elia klagt den König Ahas an.
[xviii]Jesaja wirkte im damaligen Südreich Juda zwischen 740 und 701 v. Chr. in der Zeit der Bedrohung durch die antike Großmacht Assyrien. Er verkündete Juda, Israel und Assur Gottes Gericht, aber auch eine endzeitliche Wende zu universalem Frieden, Gerechtigkeit und Heil. Als erster Prophet Israels verhieß er den Israeliten einen zukünftigen Messias als gerechten Richter und Retter der Armen.
[xix] Jeremia wirkte etwa 625 bis 585 v. Chr. in Jerusalem. Er predigte dem Volk Israel Bekehrung und Umkehr zu JHWH und prophezeite jahrelang den Untergang der Tempelstadt, der im Jahr 586 v. Chr. tatsächlich eintrat.
[xxii] Der Begriff Hellenismus bezeichnet die geschichtliche Epoche vom Regierungsantritt Alexanders des Großen von Makedonien 336 v. Chr. bis zur Einverleibung Ägyptens, des letzten hellenistischen Reiches, in das Römische Reich 30 v. Chr. Kulturell wirkte der Hellenismus jedoch darüber hinaus über die römische Kaiserzeit bis in die Spätantike hinein. Kennzeichen dieser Geschichtsepoche ist die Durchdringung vor allem des Orients durch die griechische Kultur und im Gegenzug der Einfluss orientalischer Kultur auf die Griechen.
Um 200 v. Chr. begann Rom sich in der hellenistischen Welt zu engagieren, etwa in Griechenland und im Konflikt der Seleukiden mit den Ptolemäern um Palästina. 188 v. Chr. zwangen die Römer den Seleukiden Antiochos III. zum Verzicht auf Teile seines Reiches. Einen erstaunlichen Aufschwung nahm unter den Diadochen und ihren Nachfolgern das Judentum, dessen geistiges Zentrum nun nicht mehr Jerusalem, sondern Alexandria war. Insgesamt waren die Juden einem Hellenisierungsprozess unterworfen, der auch dank der Unterstützung durch Seleukos und die ersten Seleukiden zu einer weitgehenden Gleichberechtigung mit den Griechen führte. Das hellenistische Judentum entstand. Neue orientalische Erlösungsreligionen wurden in den Diadochenreichen immer wichtiger. Die olympischen Götter der Griechen verloren an Bedeutung. Religion wurde Privatsache, lediglich der Herrscherkult blieb als verbindendes Element erhalten.
[xxiii] Daniel 7-11, ab 167 v. Chr. (Noth, Geschiche Israels S 344). (Vgl auch Noth S 355)
Es gab noch eine Vielzahl von anderen apokalyptischen Schriften, die aber um 100 n.Chr., als der jüdische Kanon abgegrenzt wurde, aussortiert wurden. Im Judentum wurde zuerst die Tora zur normativen Heiligen Schrift (ca. 800–250 v. Chr.), der weitere prophetische und weisheitliche Schriften zur Seite gestellt wurden. Etwa 100 n. Chr. wurde endgültig festgelegt, welche hebräischen Schriften zum dreiteiligen Tanach gehören. Da das Judentum keine oberste Lehrautorität kennt, blieben andere, griechisch übersetzte Bibelversionen neben dem Tanach bestehen.
[xxviii] Wikepedia: Jesus von Nazareth: Die meisten NT-Historiker gehen heute davon aus, dass Jesus tatsächlich gelebt hat. Sie ordnen Jesus ganz in das damalige Judentum ein[12] und nehmen an, dass sich seine Lebens- und Todesumstände, Verkündigung, sein Verhältnis zu anderen jüdischen Gruppen und Selbstverständnis in Grundzügen relativ zuverlässig ermitteln lassen. Welche Jesusworte und -taten historisch sind, ist weiter umstritten. Ihre Beurteilung hängt von Vorentscheidungen über die sogenannten Echtheitskriterien ab. Weithin anerkannt sind die Kriterien der Kontext- und Wirkungsplausibilität[14]: „Historisch ist in den Quellen das, was sich als Auswirkung Jesu begreifen lässt und zugleich nur in einem jüdischen Kontext entstanden sein kann.“
Jesu Predigt- und Argumentationsstil ist rabbinisch (Halacha und Midraschim). Seine ersten Jünger nannten ihn „Rabbi“ (Mk 9,5; 11,21; 14,45; Joh 1,38.49; Joh 3,2; 4,31 u. a.) oder „Rabbuni“ („mein Meister“: Mk 10,51; Joh 20,16). Diese aramäische Anrede entsprach dem griechischen διδασκαλος für „Lehrer“. Sie drückte Ehrerbietung aus und gab Jesus denselben Rang wie den Pharisäern, die sich als Ausleger mosaischer Gebote ebenso bezeichneten (Mt 13,52; 23,2.7f). Ein Rabbi lebte von einem gewöhnlichen Handwerk, nicht vom Lehren. Aus starken Ähnlichkeiten der Toraauslegung Jesu mit damaligen Rabbinerrichtungen folgert Pinchas Lapide, er müsse eine Toraschule besucht haben. Jesus gilt heute als „Wandercharismatiker“, der von einem „charismatischen Milieu“ im damaligen Galiläa beeinflusst gewesen sein kann und dessen Lebensstil die Urchristen weiterführten. Er sah sich nur zu den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“ gesandt (Mt 10,5; 15,24); seine wenigen überlieferten Begegnungen mit Nichtjuden erscheinen als Ausnahmen. Jesu Botschaft vom „Reich Gottes“ stand im Zentrum seines Auftretens (Mk 1,16). Sie knüpfte an die biblische Prophetie, besonders Deuterojesaja, und die Apokalyptik besonders Daniels an. Die Evangelien veranschaulichen den Begriff durch konkrete Handlungen, Gleichnisse und Lehrgespräche, während an Nichtjuden gerichtete NT-Texte ihn selten verwenden. Demnach war er damaligen Juden vertraut.
Johannes Weiß stellte heraus, dass Gottes Reich biblisch als radikale, nur Gott, nicht Menschen mögliche Wende und Abbruch der Weltgeschichte dargestellt wird. Manche Aussagen Jesu kündigen es als unmittelbar bevorstehend an, andere sagen es zu als schon angebrochen oder setzen dies voraus.
… Damit wird mehr betont, dass Jesus die Traditionen von der endzeitlichen Sammlung des Gottesvolks in die eigene Zeit hineinzog, als Vollendung eines bereits in Gang befindlichen Prozesses, nicht als Ankündigung einer jenseitigen Welt. Selbst die spätjüdischen apokalyptischen Texte erzählen zwar von einem Endkampf bis hin zur Vernichtung der Erde, meinen jedoch eine umfassende Erneuerung der gegenwärtigen unheilvollen Welt, die auch die Natur einschließt.
Die der Logienquelle zugewiesenen „Seligpreisungen“ (Lk 6,20ff, Mt 5,3ff) sagen Gottes Reich den aktuell Armen, Trauernden, Machtlosen, Verfolgten als gerechte Wende zur Aufhebung ihrer Not zu. Diese waren die ersten und wichtigsten Adressaten Jesu. Seine oft für authentisch gehaltene Antwort auf die Täuferfrage in Mt 11,4ff weist auf die für sie schon erfahrbare Veränderung hin, und seine Antrittspredigt nach Lk 4,18–21 aktualisiert die biblische Verheißung eines „Jubeljahres“ zur Entschuldung und Landumverteilung (Lev 25) für die gegenwärtig Armen.
Heutige sozialhistorische Untersuchungen erklären solche NT-Texte aus damaligen Lebensumständen: Juden litten unter Ausbeutung, steuerlichen Abgaben für Rom und den Tempel, täglicher römischer Militärgewalt, Schuldversklavung, Hunger, Epidemien und sozialer Entwurzelung. Nur selten wird die Armentheologie in der ältesten Jesusüberlieferung aus dem Einfluss kynischer Wanderphilosophen erklärt, meist aber aus im Tanach vorgeformten jüdischen, besonders prophetischen Traditionen. Indem Jesus deren Hoffnungen als Armer unter Armen zu erfüllen beanspruchte, habe er eine bewusst provozierende charismatische Außenseiterrolle eingenommen und so eine „subversive“ Bewegung der Abweichler von religiösen und gesellschaftlichen Normen bewirkt.
Einige Gebote verschärfte er, andere entschärfte er, wieder andere relativierte er so, dass sie im Urchristentum aufgehoben wurden. Dies gilt heute als innerjüdische Toradeutung, nicht als Bruch mit dem Judentum. Wie der Rabbiner Hillel (ca. 30 v. Chr. bis 9 n. Chr) gab Jesus der Nächstenliebe den gleichen Rang wie der Gottesfurcht und ordnete sie damit den übrigen Torageboten über (Mk 12,28–34). Er sah sich zu denen gesandt, die wegen Übertretungen verachtet wurden (Mk 2,17 EU):
Nach Lk 19,8 lud Jesus sie zum Teilen mit den Armen ein, nach Mt 6,19f.24 deutete er das Anhäufen von Besitz als Bruch des ersten Gebots. Erst mit der Besitzaufgabe für die Armen erfülle der gesetzestreue Reiche alle Zehn Gebote so, dass er zur Nachfolge frei werde (Mk 10,17–27).
Jesu Armenfürsorge, Heiltaten und die Tateinheit von Beten und Almosengeben ähnelt dem späteren Auftreten von Chanina ben Dosa (um 40–75), einem Vertreter des galiläischen Chassidismus.
Weil Gottes Schöpfungstreue (Gen 8,22) das Vergeltungsgebot (Gen 9,6) begründet, gebot Jesus Feindesliebe gegenüber gewalttätigen Fremden als Gottes Geduld gemäße Vergeltung: Gerade auch Israels Verfolger seien als Nächste zu segnen, nicht zu hassen. Jesu Hörer und Nachfolger sollten übermächtiger Gewalt durch unerwarteten Gewaltverzicht begegnen, Feinde mit Fürsorge und freiwilligem Entgegenkommen überraschen und so „entfeinden“ (Mt 5,38–48).[57] Damit erinnerte Jesus an Israels Aufgabe, alle Völker zu segnen, um auch sie von Gewaltherrschaft zu befreien (Gen 12,3).
Die Textbeispiele spiegeln eine von Hunger, Ausbeutung und Gewalt bedrohte Gesellschaft. Für Jesus konnte nur die Unterbrechung der Gewaltspirale, der Verzicht auf Gegengewalt (Mt 5,39) die Herrschaft des „Bösen“ beenden und Gottes Reich herbeirufen.[58] Verachtung und Verurteilung anderer habe die gleichen Folgen wie die Gewaltausübung (Mt 7,1–3 EU)[59]:
Nach Mk 7,15 erklärte Jesus nur das für unrein, was von innen her aus dem Menschen komme, nicht was von außen in ihn hineingehe. Das wurde früher oft als Aufhebung der für die jüdische Identität wichtigen Speise- und Reinheitsgebote und damit als Bruch mit allen übrigen Kultgeboten der Tora verstanden, gilt heute aber eher als deren radikal ethische Auslegung, die moralische über äußerliche Reinheit stellt.[61] In Konkurrenz zu Sadduzäern und Teilen der Pharisäer wollte Jesus nicht Reine von Unreinen abgrenzen, sondern Reinheit offensiv auf als unrein geltende Gruppen ausweiten. Daher integrierte er in Israels ausgegrenzte Leprakranke (Mk 1,40-45), Sünder (Mk 2,15) und Zöllner (Lk 19,6) und verweigerte sich nicht kontaktsuchenden Nichtjuden (Mk 7,24-30).[62]
Jesu Verhalten zu Frauen war im patriarchalischen Judentum damals neu und ungewöhnlich. Viele seiner Heilungen galten sozial ausgegrenzten Prostituierten, Witwen oder Ausländerinnen. Andere NT-Texte kommen der historischen Lage näher: Nach Mk 2,23ff. begründete Jesus das Ährensammeln seiner Jünger am Sabbat als biblische erlaubte Gebotsübertretung bei akuter Hungersnot. Er ergänzte damit die damals diskutierten Ausnahmen vom Sabbatgebot zur Lebensrettung.[69] Nach Lk 7,36; 11,37 luden Pharisäer Jesus zum Essen in ihre Häuser ein und interessierten sich dabei für seine Lehre. Nach Mk 12,32ff stimmte ein Jerusalemer Pharisäer Jesus zu, die Tora im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe zusammenzufassen. Solche Summarien entsprachen jüdischer Tradition. Auch in der Erwartung des Reiches Gottes und einer Auferstehung aller Toten stimmten die Pharisäer mit Jesus überein. Nach Lk 13,31 warnten und retteten sie ihn vor Nachstellungen des Herodes. Ein Pharisäer sorgte für Jesu Bestattung.
Viele Forscher nehmen heute an, dass Jesus den Pharisäern unter damaligen Juden am nächsten stand. Dass sie dennoch zu seinen Gegnern stilisiert wurden, wird aus der Situation nach der Tempelzerstörung im Jahr 70 erklärt: Danach übernahmen Pharisäer die Führungsrolle im Judentum. Juden und Christen grenzten sich verstärkt voneinander ab und legitimierten dies wechselseitig in ihren damals entstandenen Schriften.[70]
Jesu Hauptgegner in Jerusalem waren die hellenistisch gebildeten und wohlhabenden Sadduzäer, die als priesterliche Erben der Leviten den Jerusalemer Tempel leiteten. Der dortige zentrale, von allen Juden zu befolgende Opferkult war ihre Existenzgrundlage und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für ganz Palästina.[76] Jesus trat in einem von starken religiös-politischen Spannungen bestimmten Land auf. Aus Galiläa, dem früheren Nordreich Israel, kamen seit Generationen jüdische Befreiungskämpfer gegen Fremdmächte.
Dass Jesus politisch wirkte, ist angesichts seiner Kreuzigung beim höchsten jüdischen Fest gesichert. Fraglich ist jedoch, ob er einen politischen Messiasanspruch erhob.[85] Deutsche Neutestamentler betonten früher meist den unpolitischen Charakter seines Auftretens. Seine Hinrichtung als König der Juden (Messiasanwärter) galt als Justizirrtum und „Missverständnis seines Wirkens als eines politischen“.[86] Dagegen zeigten neuere Untersuchungen partielle Übereinstimmungen Jesu mit der jüdischen Widerstandsbewegung auf und erklärten sein gewaltsames Ende als zu erwartende Folge seines eigenen Handelns.[87]
Im damaligen Judentum war die Messiashoffnung mit der Sammlung aller exilierten Juden, gerechten Rechtsprechung im Innern und Befriedung der Völkergemeinschaft verbunden und nicht streng von der jenseitigen Reich-Gottes-Erwartung unterschieden.
Auch Jesus hatte offenbar messianische Hoffnungen der Landbevölkerung geweckt, etwa indem er den Armen den Landbesitz zusagte (Mt 5,3), seine Heiltaten als anfängliche Realisierung dieser Zusagen erklärte (Lk 11,20) und sich auf dem Weg in die Tempelstadt von Armen als Sohn Davids anreden ließ (Mk 10,46.49). Daher bedeutete Jesu Jerusalembesuch zum Pessach eine Konfrontation mit den dortigen Machteliten der Sadduzäer und Römer, bei der ihm das Todesrisiko bewusst gewesen sein muss.[90] Das gewaltlose Messiasbild entspricht für echt gehaltenen Aussagen Jesu wie Mk 10,42ff EU: Er sei gekommen, als Menschensohn allen wie ein Sklave zu dienen, um der Unterdrückung durch Gewaltherrscher seine herrschaftsfreie Vertrauensgemeinschaft entgegenzustellen.[91
Demnach wollte er nicht den Tempelgottesdienst beenden, sondern auch Nichtjuden freien Zugang dazu eröffnen, den künftig alle Völker haben sollten. Diese eschatologische „Tempelreinigung“ griff das prophetische Motiv der künftigen „Völkerwallfahrt zum Zion“ auf, an das auch andere Jesusworte (Mt 8,11f./Lk 13,28f.) erinnern, und kann als Aufruf zu einer entsprechenden Kultreform gedeutet werden.[97]
Viele NT-Historiker halten für plausibel, dass der damals von Römern eingesetzte Hohepriester Jesus nach dem öffentlichen Tempelkonflikt festnehmen ließ, da dieser die Machtposition des Sanhedrin als zentrale Institution des Judentums direkt bedrohte.[104] Die vorherigen religiösen Konflikte mit Jesus reichten wohl nicht aus, seine Hinrichtung zu betreiben. Doch der Sanhedrin war damals verpflichtet, potentielle Unruhestifter festzusetzen und auszuliefern, um einer Eskalation vorzubeugen. Sonst hätten die Römer ihm die noch verbliebene Selbständigkeit nehmen können, wie es bei der Zerstörung des Tempels später auch geschah.[105] Er konnte nur im Rahmen römischen Besatzungsrechtes agieren und wollte Jesus nicht von vornherein töten, sondern das jüdische Volk und den Tempelkult schützen und die für ihn gültigen Toragebote befolgen.[106] Daher gilt das in Joh 11,47-53 und Joh 18,14 EU überlieferte realpolitische Kalkül des Sanhedrin als plausibel:[107]Es ist besser, dass ein einziger Mensch für das Volk [statt des Volkes] stirbt.
Mit Jesu Hinrichtung zwischen Zeloten wollte Pilatus wahrscheinlich ein Exempel gegen alle rebellischen Juden statuieren und ihre Messiashoffnung verhöhnen. Dazu passt der in Joh 19,21 überlieferte Protest der Sadduzäer: Jesus habe bloß behauptet, der Messias zu sein. Für die Urchristen bestätigte der Kreuzestitel deren Unrechtsurteil, da Jesus keinen bewaffneten Aufstand geplant habe (Lk 22,38), und Jesu verborgene wahre Identität als des Kyrios Christus, des Herrschers aller Herren (Offb 19,16)
Die wiederholten Anspielungen auf Psalmen (Mt 27,35.43), auf das Lied des Gottesknechts in Jes 53,1–12 (Mk 15,5; 15,28) und auf Ps 35,19 (Joh 15,25) stellen Jesus in die Reihe der zu Unrecht verfolgten, von der Gewalt aller Feinde umringten und an Gottes Gerechtigkeit appellierenden Leidenden.
[xxix] Nach Lk 7,36; 11,37 luden Pharisäer Jesus zum Essen in ihre Häuser ein und interessierten sich dabei für seine Lehre. Nach Mk 12,32ff stimmte ein Jerusalemer Pharisäer Jesus zu, die Tora im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe zusammenzufassen. Solche Summarien entsprachen jüdischer Tradition. Auch in der Erwartung des Reiches Gottes und einer Auferstehung aller Toten stimmten die Pharisäer mit Jesus überein. Nach Lk 13,31 warnten und retteten sie ihn vor Nachstellungen des Herodes. Ein Pharisäer sorgte für Jesu Bestattung.
Viele Forscher nehmen heute an, dass Jesus den Pharisäern unter damaligen Juden am nächsten stand. Dass sie dennoch zu seinen Gegnern stilisiert wurden, wird aus der Situation nach der Tempelzerstörung im Jahr 70 erklärt: Danach übernahmen Pharisäer die Führungsrolle im Judentum. Juden und Christen grenzten sich verstärkt voneinander ab und legitimierten dies wechselseitig in ihren damals entstandenen Schriften.
Jesu Hauptgegner in Jerusalem waren die hellenistisch gebildeten und wohlhabenden Sadduzäer, die als priesterliche Erben der Leviten den Jerusalemer Tempel leiteten. Der dortige zentrale, von allen Juden zu befolgende Opferkult war ihre Existenzgrundlage und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für ganz Palästina.[76] Jesus trat in einem von starken religiös-politischen Spannungen bestimmten Land auf. Aus Galiläa, dem früheren Nordreich Israel, kamen seit Generationen jüdische Befreiungskämpfer gegen Fremdmächte. Wikepedia, Jesus von Nazareth
[xxx] Jesu Predigt- und Argumentationsstil ist rabbinisch. Aus starken Ähnlichkeiten der Toraauslegung Jesu mit damaligen Rabbinerrichtungen folgert Pinchas Lapide, er müsse eine Toraschule besucht haben. Wikepedia, Jesus von Nazareth
[xxxii] Lk 19,8; Mk 10,17–27 Jesu Armenfürsorge, Heiltaten und die Tateinheit von Beten und Almosengeben ähnelt dem späteren Auftreten von Chanina ben Dosa (um 40–75), einem Vertreter des galiläischen Chassidismus.
[xxxiv] Wie der Rabbiner Hillel (ca. 30 v. Chr. bis 9 n. Chr) gab Jesus der Nächstenliebeden gleichen Rang wie der Gottesfurcht und ordnete sie damit den übrigen Torageboten über (Mk 12,28–34). Er sah sich zu denen gesandt, die wegen Übertretungen verachtet wurden (Mk 2,17 EU). Gerade auch Israels Verfolger seien als Nächste zu segnen, nicht zu hassen. Jesu Hörer und Nachfolger sollten übermächtiger Gewalt durch unerwarteten Gewaltverzicht begegnen, Feinde mit Fürsorge und freiwilligem Entgegenkommen überraschen und so „entfeinden“ (Mt 5,38–48).[57] Damit erinnerte Jesus an Israels Aufgabe, alle Völker zu segnen, um auch sie von Gewaltherrschaft zu befreien (Gen 12,3).
[xxxvii]Deutsche Neutestamentler betonten früher meist den unpolitischen Charakter seines Auftretens. Seine Hinrichtung als König der Juden (Messiasanwärter) galt als Justizirrtum und „Missverständnis seines Wirkens als eines politischen“. Dagegen zeigten neuere Untersuchungen partielle Übereinstimmungen Jesu mit der jüdischen Widerstandsbewegung auf und erklärten sein gewaltsames Ende als zu erwartende Folge seines eigenen Handelns. Jesus hatte offenbar messianische Hoffnungen der Landbevölkerung geweckt, etwa indem er den Armen den Landbesitz zusagte (Mt 5,3), seine Heiltaten als anfängliche Realisierung dieser Zusagen erklärte (Lk 11,20) und sich auf dem Weg in die Tempelstadt von Armen als Sohn Davids anreden ließ (Mk 10,46.49). Daher bedeutete Jesu Jerusalembesuch zum Pessach eine Konfrontation mit den dortigen Machteliten der Sadduzäer und Römer, bei der ihm das Todesrisiko bewusst gewesen sein muss.[90] Das gewaltlose Messiasbild entspricht für echt gehaltenen Aussagen Jesu wie Mk 10,42ff EU: Er sei gekommen, als Menschensohn allen wie ein Sklave zu dienen, um der Unterdrückung durch Gewaltherrscher seine herrschaftsfreie Vertrauensgemeinschaft entgegenzustellen. Wikepedia, Jesus von Nazareth
[xxxviii] Die Auferstehungsgeschichte der Jünger zu Emmaus findet sich in dem zwei Generationen nach Jesus verfasstem Lukasevangelium. Sie ist, wie auch sonst das Lukasevangelium, bewusst so theologisch durchdacht aufgeschrieben. Man war sich danach bewusst, dass der gewaltsame Tod Jesu unter seinen Anhängern eine Krise ausgelöst hat; sie konnten dieses brutale Ende nicht verstehen; ihre bei Jesus entfachte Hoffnung war zusammengebrochen. Die Botschaft von der Auferstehung bedeutete, dass die Jünger einen inneren Prozess durchmachen mussten. Wie die Kreuzigungserzählungen zeigen, konnten sie auf dem Hintergrund alttestamentlicher Texte den Tod deuten. Deuterojesaja, der Prophet in der schwierigen Zeit, als die Oberschicht im babylonischen Exil war und die Menschen in Jerusalem und Juda elend dahinvegetierten spricht von dem Knechtgottes, über den sich die Menschen entsetzen, den sie verachten. Er, so sagt der Prophet, hat unsere Krankheit getragen, unsere Schmerzen auf sich geladen. Er trägt die Strafe für unsere Sünden. Und im Psalm 31 fanden sie angesichts von tiefem Elend Worte des Vertrauens: „In deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöst …ich freue mich, dass du mein Elend ansiehst …und übergibst mich nicht in die Hände meines Feindes; du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ In der sonntäglichen Feier des Herrenmahls in den urchristlichen Gemeinden spürten die Christen, wie Jesus wieder bei ihnen war. So erkennen die Jünger von Emmaus den auferstanden Jesus als den Gesalbten, den Christus Gottes.
Die wiederholten Anspielungen auf Psalmen (Mt 27,35.43), auf das Lied des Gottesknechts in Jes 53,1–12 (Mk 15,5; 15,28) und auf Ps 35,19 (Joh 15,25) stellen Jesus in die Reihe der zu Unrecht verfolgten, von der Gewalt aller Feinde umringten und an Gottes Gerechtigkeit appellierenden Leidenden. Wikepedia, Jesus von Nazareth
[xxxix] So in der Quelle Q. Vermutlich ist auch Mohammed 600 Jahre später außerhalb des oströmischen Reiches noch solchen Judenchristen begegnet.
[xl] Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (http://www.bibelwissenschaft.de/nc/wibilex/das-bibellexikon/details/quelle/WIBI/zeichen/s/referenz/53994/), Sühne (NT):
Explizite Belege für das die Sühne bezeichnende griechische Vokabular (ἱλάσκεσθαι κτλ) finden sich im Neuen Testament allein in Mt 16,22; Lk 18,13; Röm 3,25; Hebr 2,17; Hebr 8,12; Hebr 9,5; 1Joh 2,2; 1Joh 4,10. Daneben gibt es weitere Wörter und Wendungen, die auf ein Sühnegeschehen anspielen. Sie lassen sich freilich nur durch einen genauen Blick auf die alttestamentlichen und frühjüdischen Zusammenhänge ermitteln.
Im hebräischen Alten Testament (→ Masoretischer Text) ist der Vorgang der Sühne kein Akt der Strafe, sondern ein Heilshandeln Gottes, das den schuldig gewordenen Menschen dem verdienten Tod entreißt. Während die Sühnevorstellung ursprünglich im außerkultischen Belegbereich rechtlich-soziale Bedeutung hatte, erlangte sie in kultischem Kontext theologische Aussagekraft: vor allem in der Feier des Sühnetages (יוֹםהַכִּפֻּרִים) kam das schuldig gewordene Israel wieder neu in die Gemeinschaft mit dem heiligen Gott (s. Janowski, 2000, 347-349.361).
Wo die Septuaginta das hebräische Äquivalent (כפר) mit „(ent)sühnen etc.“ ([ἐξ] ἱλάσκεσθαι κτλ) übersetzt, ergeben sich keine signifikanten Bedeutungsverschiebungen. Dagegen zeigt sich vor allem in den Spättexten der Septuaginta eine Umdeutung: hier begegnen die Vorstellung einer Beschwichtigung Gottes, das Motiv einer Abwehr des göttlichen Zorns, der Gedanke der Wiedergutmachung, die Aussage der Sündenvergebung, der Vorgang der Interzession und die Bewertung des Märtyrerschicksals.
[xli] Erste Ansätze finden sich bei Tertullian und Irenäus (um ca. 200). Die wirkungsgeschichtlich bedeutendste Formulierung entwickelte Anselm von Canterbury (1033–1109 n. Chr.) in seinem Werk Cur deus homo. Eine übersichtliche und allgemein verständliche Darlegung findet sich in dem Aufsatz von Martin Foster(Theologe, geboren 1962, ist Dozent für Neues Testament am Theologischen Seminar Bienenberg): http://www.jesus.ch/information/feiertage/ostern/hintergrund/103915-die_crux_mit_dem_kreuz.html
[xlv] Wikepedia, Eschatologie: Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass durch die Aussagen der Evangelien, der Offenbarung des Johannes sowie der Briefe des Paulus deutlich wird, dass die christliche Eschatologie mit Christus schon begonnen hat (präsentische Eschatologie), aber auch einige Ereignisse für die Zukunft (futurische Eschatologie) vorgesehen sind. Solche zukünftigen Ereignisse sind: Wiederkunft Christi, Auferstehung, Gericht, Vernichtung alles Bösen, Beendigung alles Traurigen, ewiges Feuer, ewiges Leben in einem unzerstörbaren Geistleib, umfassende Verwirklichung von Gottes Willen und Sein.
Für Matthäus ist die Bergpredigt ein wichtiger Bestandteil christlicher Eschatologie. Letztlich lässt sich die Bergpredigt mit ihrer Zukunftsvision in eschatologischer Hinsicht wieder auf das „schon und noch nicht“ des Sauerteigsgleichnisses reduzieren. Hier gilt der Gnaden-Indikativ des Paulus. Die unbedingte Annahme des fehlbaren, bedürftigen Menschen durch Gott auch nach der Bergpredigt[17] befähige den Menschen, die ideale Gesellschaft mitzugestalten. Obgleich die Arbeit an ihr „schon“ (präsentische Eschatologie) begonnen wurde, ist sie doch „noch nicht“ (futurische Eschatologie) vollendet. Der ebenfalls in der Bergpredigt zu findende christliche „Imperativ“ ist die zentrale Aufforderung Gottes an den Menschen. Er besagt, dass der Mensch versuchen solle, Jesu Botschaft zu gehorchen und diesem in seiner Lebensweise nachzufolgen (am deutlichsten in der imitatio Christi). Jesus habe diesen Imperativ in der Goldenen Regel zusammengefasst.[19] Das Ziel bzw. der finalistische Endpunkt der Eschatologie, die ideale reine Gesellschaft in Gottes Herrschaft, kann nach christlicher Theologie letztlich nicht von den Menschen selbst hergestellt (Unterschied zur Utopie), sondern nur durch Gottes Gnade empfangen werden. Dieser christliche „Indikativ“ besagt also, dass die Menschen in ihrem Versuch, sich dem Reiche Gottes anzunähern, also selbst eine ideale Gesellschaft zu errichten, letztlich doch auf Gottes Handeln angewiesen seien.
[xlvi] Vielleicht schon im Todesjahr Jesu schlossen sich noch in Jerusalem griechisch sprechende Juden aus der Diaspora dem Christentum an, aus deren Kreisen bald die meisten Missionare stammten. Schon nach wenigen Jahren wurden auch »Heiden« getauft, und einige Generationen später stellten sie schon die Mehrheit der Christen; ab der Mitte des 2. Jahrhunderts spielten Judenchristen in den Gemeinden als ethnische Gruppe kaum noch eine Rolle. Judenchristliche Theologie wurde nur noch literarisch, durch die Bibel, vermittelt.
Die Gestaltformen des Hellenismus sind vielfältig, und das gilt auch für seine religiösen Prägungen. Griechische und römische Gottheiten, zu Hause weiterhin im Sinne ihrer lokalen Traditionen verehrt, fanden Verehrung im ganzen Mittelmeerraum, lösten sich von ihrer heimatlichen Bindung, wurden zueinander oder zu anderen lokalen Gottheiten in Beziehung gesetzt oder miteinander identifiziert. Diese Nivellierung der Individualität der Götter verstärkte den Trend zu einer kosmischen Religiosität. Auch Mysterienkulte griechischer, asiatischer oder ägyptischer Provenienz kamen der Erlösungssehnsucht vieler Menschen entgegen und verbreiteten sich im ganzen Reich. Daneben gab es gnostische Strömungen, und auch die Philosophie gewann Züge religiöser Sinnstiftung. Allen gemeinsam ist, dass der Mensch sich als (wichtiges) Teil im Räderwerk des Kosmos sieht und dieser selbst in seinen letzten, geistigen Seinsgründen als göttlich betrachtet wird. Die Geschichte, deren Abläufe sich immer neu wiederholen (zyklische Auffassung) oder auch nur die szenische Darstellung metageschichtlicher Kausalitäten (statische Auffassung) sind, spielt für die religiöse Orientierung keine Rolle. In diesem kosmozentrischen Verstehen wurde die Bindung oder Verhaftung an das Materielle und an die Geschichte, somit Kontingenz und Endlichkeit, als negativ wahrgenommen; die äußersten Hoffnungen richteten sich darauf, diese Fesseln abzulegen und in den Bereich des Unendlichen, Geistigen, Göttlichen zu gelangen.
Prof. Karl-Heinz Ohlig, Hellenisierung des Christentums, Prof. Karl-Heinz Ohlig, Hellenisierung des Christentums http://www.roland-sinsel.de/00000095fb12c3713/c472119a191102407/index.html
[xlvii]Ebd.: „Schon … in den ersten Jahrhunderten der Alten Kirche hat das intellektuelle Missverständnis der Offenbarung und des Glaubens eingesetzt. Die Ursache dafür war das Eindringen des griechisch-philosophischen Denkens in der die Kirche. Unter seinem Einfluss hat die christliche Theologie den allgemeinen, rationalen Wahrheitsbegriff auf die Offenbarung übertragen und sie damit in die Zange des Subjekt-Objekt-Gegensatzes genommen.“ Das Verhängnis war, „dass man sie überhaupt in diese ihr völlig fremde Denkkategorie zwängte. Während die Bibel die Geschichte der Offenbarung Gottes in lauter Verben der Bewegung beschreibt, spekuliert die Theologie jetzt über die Trinität und über die Person Christi in lauter Seins- und Naturkategorien. … So wird aus dem Glauben »ein zu Glaubendes«.[xlvii] Emil Brunner (1889-1966) zeigt mit seinem Begriff »Wahrheit als Begegnung« die Überwindung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes im Denken an.“[xlvii] „Die Tatsache, dass Gott sich dem Menschen offenbart hat, schließt bereit ein, was er ich offenbart hat: dass er den Menschen liebt und mit ihm Gemeinschaft haben will. Die Wahrheit Gottes ist darum in der Bibel immer identisch mit der Liebe Gottes. Glaube erweist sich nicht als ein Gegenstand des Wissens, sondern als ein Akt des Vertrauens – dass der Mensch bereit ist, sein Leben aus Gottes Hand zu empfangen und, indem er Verantwortung übernimmt, auf Gottes Wort zu antworten. Die Wahrheit Gottes ist nicht ein Gegenstand, der vor mit liegt und den ich ergreife, so dass ich ihn dann habe, sondern sie ist eine Bewegung, die zu mir kommt und von der ich ergriffen werde, do dass ich dann in ihr bin.[xlvii]
Vergleiche auch: Charles Taylor S 275-286 – Christentum im Neoplatonismus: Die wichtigsten Spannungspunkte sind:
1. Für den Platonisten erreichen wir den höchsten Status, wenn wir unseren Körper hinter uns gelassen haben.
2. Damit, dass Christen von der Inkarnation Gottes sprechen, bekommt die Geschichte eine besondere Bedeutung.
3. Gerade auch im Blick auf die Ewigkeit bleibt für Christen das Individuum wichtig.
4. Die einzelnen Augenblicke auf dem Weg, in der Geschichte des Menschen sind wichtig
[xlviii] Ebd.:Darüber hinaus wurden so gut wie alle christlichen Motive auf eine hellenistische Weise neu interpretiert oder wenigstens mit neuen Assoziationen verbunden: Die »Auferstehung des Fleisches«, jüdisches und judenchristliches Symbol der Hoffnung auf Gültigkeit von Geschichte, wird als Wiederbelebung des Leibes þ Geist ist nach griechischer Vorstellung ohnehin unsterblich þ verstanden; der Mensch, in der Bibel immer als ganzer vorgestellt, wird jetzt in zwei (Leib und Seele) oder drei naturale Bestandteile (Leib, Psyche, Geistseele) aufgegliedert. Die Hoffnung auf ein künftiges, baldiges erlösendes Handeln Gottes wird transponiert zu einem überweltlichen, metaphysischen Heil (Ent-eschatologisierung). Die bisher auf das vergangene Heilshandeln Gottes bezogenen Gottesdienste, die vor allem Gedächtnisfeiern Jesu waren, werden jetzt zu heiligen Mysterien, in denen die sakrale Gegenwart des Göttlichen erfahren wird; aus der Geschichtserinnerung wird die präsentische Erfahrung Gottes. Überhaupt setzt bald ein umfassender Sakralisierungsprozess ein, bei dem auch ursprünglich »profane« christliche Gegebenheiten jetzt sakral interpretiert wurden: Aus dem »Ältesten«, Presbyter, und »Aufseher«, Episkopos, wurde ein sakraler »Priester«, aus dem »Gedächtnis Jesu« ein »furchtbares Mysterium«, das vom Bereich des Profanen auszugrenzen ist, aus der Todeshingabe Jesu þ einem »Opfer« in übertragenem Sinn þ ein rituelles »Opfer« am Kreuz. Die Forderungen der Nachfolge Jesu wurden zunehmend auf eine griechische Weise konkretisiert: als Nicht-Bindung an Besitz, Sexualität, eigenen Willen und somit als ein geistliches, nicht der Materie verhaftetes Leben.
[xlix] Martin Luther, Vorrede auf das Neue Testament 1522