Vortragsreihe:

 

             Heute von Gott reden

 

                 Rudolf  Lughofer

 

 

 

 

 

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Heute von Gott reden  

 

Wie kam es zu der Säkularisierung

1500 - 2010

 

Wie redet die Bibel von und mit Gott

 

Wie können wir heute von Gott reden

 

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Wie hat sich das Menschen- und Weltbild seit 1500 verändert? Der Weg in eine säkulare Zeit

Wie können wir heute von Gott reden? Rudolf Lughofer, Dr. Manfred Gröber – Kulturforum Waldeck

1.      Wie hat sich das Menschen- und Weltbild seit 1500 verändert? – Der Weg in eine säkulare Zeit – Dienstag, 22.2.2011,19.30 h

2.      Wie redet die Bibel von Gott? – Dienstag, 1. März 2011, 19.30 Uhr –

3.      Was bedeutet es, heute in unserer säkularisierten Welt von Gott zu reden? – Dienstag, 15. März 2011, 19.30 Uhr

4.      Humanitäre Ethik mit oder ohne Religion? (Dr. Gröber)Dienstag, 5. April 2011, 19.30 Uhr

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A.       Einleitung  2

1.    Hinführung  2

B.       Das neue Welt- und Menschenbild nach 1500  2

1.    Naturwissenschaft und Technik  3

2.    Das neue Selbst und Weltverständnis: 4

a.      Nicht mehr Kosmos, sondern ein wohlgeordnetes Universum   4

b.      Zeit der Reformation  4

C.        Zeit der Aufklärung bis zum 1. Weltkrieg  5

1.    Neues Denken im 17. - 19. Jahrhundert 5

2.    Deismus als Zwischenschritt zum exklusiven Humanismus  6

a.      Die Vorstellung einer göttlichen Vorsehung  6

b.      Das neue Verständnis der Welt 7

3.    Humanismus ohne Gott 8

a.      Die neue Vision von einer moralischen Ordnung  8

b.      Die Entstehung des exklusiven Humanismus  8

c.      Das Erdbeben von Lissabon  8

Pause   9

D.       Zeit der Industriellen Revolution …    9

1.    Auswirkungen der Veränderungen in der Wirtschaft, Technik und der Organisation der Arbeit 9

a.      Die industrielle Revolution  9

b.      Die klassische Volkswirtschaftslehre von Adam Smith  9

c.      Soziales Engagement angesichts der Not der Arbeiter 9

d.      Rückbesinnung auf das Gefühl in der Romantik  10

e.      Vermittlung zwischen Rationalismus und Supranaturalismus  10

f.      Umschlag zum Atheismus  10

g.      Ludwig Feuerbach (1804-1872) 11

h.      Karl Marx (1818-1883) 11

2.    Neue christliche Bewegungen  11

3.    Rein immanentes Verständnis  12

E.        Das 20./21. Jahrhundert 12

1.    Naturwissenschaft und Technik  12

a.      Die Natur hat eine Geschichte, ist ein offener Prozess, sie ist ein Ganzes. Wir geraten an Grenzen unserer Vorstellung  13

b.      Glaube an die Wissenschaft 13

2.    Veränderungen im Selbst- und Weltverständnis  13

a.      Die nationalsozialistischen Ideologie und ihre Umsetzung  14

b.      Existentialismus  14

c.      Die Auswirkungen des Dritten Reichs  14

d.      Wirtschaftswunder, wachsender Wohlstand, Konsumwelt 14

e.      Die geistesgeschichtliche und religiöse Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg, 15

f.      Beiträge aus der modernen Philosophie und Theologie  15

F.        Resümee  16

G.        Diskussion  18

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A.      Einleitung

 

1.         Hinführung    

 

Heute von Gott reden – was bedeutet das, wie kann ich das? Diese Frage begleitet mich bei jeder Predigt und in vielen Gesprächen Christen und Nichtchristen. Mit Gott geht es um die Frage, worauf wir vertrauen, wie wir uns selbst und unsere Welt sehen – es geht also um uns alle.

Zunächst aber noch eine Vorbemerkung: Ella, war eine meiner engagierten Kinderkirchmitarbeiterinnen. Sie ist in einer behüteten, christlichen Familie aufgewachsen. Dort hat sie einen selbstverständlichen Glauben an Gott entwickelt. In ihm war sie geborgen. In ihm war für sie und die anderen Menschen Raum. In der Schule wurde ihr Glaube von anderen in Frage gestellt. Es hat sie belastet, dass man sich im Religionsunterricht der 12. Klasse sehr offen mit dem Atheismus auseinandergesetzt hat.

Franz, dessen Vater kritisch gegenüber der Kirche und dem christlichen Glauben eingestellt war, hat als Siebenjähriger gesagt: „Den Gott, den gibt es doch gar nicht.“ – In vielen Kindern ist heute der Glaube an Gott nicht mehr selbstverständlich verankert. Allerdings, auch dieser Zweifel ist nicht so absolut. Franz hat nach seiner Konfirmation auch in unserem Kinderkirchteam mitgearbeitet. Aber für ihn blieb der Ausgangspunkt ein mit Zweifeln durchsetzter Glaube.

Kann Franz mit diesen Zweifeln einen eigenen Glauben an Gott finden? Und Ella – ihr Glaube war echt. Das darf ich nicht zerstören! Aber um ihren ehrlichen Glauben zu behalten – muss sie sich nicht mit unserer Zeit auseinandersetzen? Ich denke, wir müssen die christliche Botschaft so weitergeben, dass sie die Menschen heute nicht einfach als unglaubwürdig abtun, sondern sie als befreiend erleben. Dabei sind letztlich nicht die Vorstellungen von Gott entscheidend, sondern ob das Christentum das Leben bestimmt und deshalb glaubwürdig ist. Wir sind damit unmittelbar bei unserem Thema.

Wo stehen wir heute? Oder besser: Wohin bewegen wir uns heute? Unser Welt- und Selbstverständnis hat sich seit dem Umbruch um 1500 sehr verändert und ist weiter im Fluss. Deshalb möchte ich heute in einem ersten Teil einige Entwicklungslinien nachzeichnen.

Dieser Weg durch unsere Geschichte kann nur der erste Schritt sein. Am 1. März möchte ich dann mit Ihnen zurückfragen: »Wie begegnet Gott eigentlich in der Bibel?« Am 3. Abend, dem 15. März, kommen wir dan1. der eigentlichen Frage: »Was bedeutet es heute von Gott zu reden?« Am 5. April als Abschluss wird Herr Dr. Gröber unter dem Titel »Humanitäre Ethik mit oder ohne Religion?« zwei engagierte Vertreter miteinander vergleichen.

 

B.      Das neue Welt- und Menschenbild nach 1500[1] 

 

Bis zum ausgehenden Mittelalter um 1500, schien es klar zu sein: Gott stand über allem Leben. Gott bestimmt das Geschick des einzelnen und der Welt. Wer anderes dachte, war ein Ketzer. Allerdings hat sich schon im Spätmittelalter Entscheidendes verändert. Gott war ferner gerückt. Man hatte Gott hoch über die Erde in den Himmel entrückt. Das gab den Menschen nun die Freiheit: Wir können die Erde unabhängig von Gott betrachten – und auch unabhängig vom Menschen. Der Mensch wurde nicht mehr als Teil der Natur verstanden. So konnte man also die Welt isoliert von außen betrachteten und sich daran machen, sie objektiv zu beschreiben und zu erklären. Die bisher selbstverständliche Beziehung zwischen Gott, Mensch und Natur löste sich auf. Damit war der Weg frei für die moderne Naturwissenschaft, die eben auf übernatürliche Erklärungen verzichtet.

In der Auseinandersetzung mit der Antike entwickelte sich eine Wissenschaft, die allein auf Vernunft und Erfahrung aufbaut. Das hat das Denken und Empfinden verändert. Früher waren die Erklärung der Welt und ihre Deutung noch eins; beides war durch Gott bestimmt. Eine sachliche Erklärung der Zusammenhänge und die Deutung, also die Einstellung zur Welt – sas fiel jetzt auseinander. Damit war das mittelalterliche Band zwischen Glauben und Wissen zerschnitten. Der Mensch trat als einzelner der Welt gegenüber. Seit 1500 beherrscht das europäische Denken der Individualismus. So kam es nun auch, dass man im Denken und im Leben nicht mehr auf Gott bezogen war, sondern auf die Welt.

Es war die Naturwissenschaft, aber auch der Aufstieg der städtischen Gesellschaft, die Ausweitung des Handels und es war dann der 30jährige Krieg mit den irrsinnigen konfessionellen Streitigkeiten und der Aufstieg der absoluten Fürsten – all das hat das bisherige Welt- und Menschenbild umgekrempelt. Das möchte ich nun genauer anschauen:

 

1.         Naturwissenschaft und Technik

 

Das mittelalterliche Weltbild ging davon aus, dass Gott über den Sternen im Himmel wohnt, während sich in der Mitte der Erde die Hölle befindet. Diese Vorstellung hat Nikolaus Kopernikus (1473-1543), ein Zeitgenosse von Martin Luther, ausgehöhlt. In seinem Todesjahr 1543 hat er seine Erkenntnis veröffentlicht, dass die Erde und die anderen Planeten um die Sonne kreisen und diese auch nur einer von unzähligen Fixsternen ist. Nun war nicht mehr die Erde das Zentrum. Wer war dann der Mensch? Der Mensch rückte nun in den Mittelpunkt.

100 Jahre später in der Zeit des 30jährigen Kriegs hat Johannes Kepler (1571-1630) die Planetenbahnen berechnet. Er gab den mathematischen Beweis für die Theorie von Kopernikus. Und das war nicht nur die Bestätigung für die neue Sicht. Es war der Durchbruch der Mathematik, Mathematik als die Sprache, mit der man meinte, allein die Wirklichkeit objektiv erfassen zu können.

Die neuen Erkenntnisse und der Wille, sie einzusetzen führten zu der rasanten Entwicklung der Technik, die unser Leben nachhaltig verändert hat und weiter verändert. Schließlich glaubte die Naturwissenschaft mit ihren Methoden das letzte Wesen der Dinge erkennen zu können. Damit war sie selbst zu einer Weltanschauung geworden.

Isaac Newton[2] (1642-1727) war es, der die Grundsteine der klassischen Mechanik gelegt hat. Er hat uns die Welt als ein Uhrwerk sehen gelehrt hat. Die klassische Mechanik wurde zur Basis des naturwissenschaftlichen Weltbildes vieler Generationen – bis auch das im 19. Jahrhundert wieder in Frage gestellt wurde. Naturwissenschaft und Technik haben nun eine Eigendynamik entwickelt. Diese hat nicht nur Gott, sondern schließlich auch den Menschen an den Rand gerückt. Nicht der Mensch, sondern die Technik ist zum Subjekt der Geschichte geworden.[3]

 

2.         Das neue Selbst und Weltverständnis:

 

a.         Nicht mehr Kosmos, sondern ein wohlgeordnetes Universum

Um 1000 n. Chr. ist es zu einer Veränderung in der Verehrung von Jesus Christus gekommen. Bis dahin gab es eine triumphale Theologie: Christus als der Sieger. An deren Stelle trat nun eine Theologie des Leidens; die Passion Christi rückte in den Mittelpunkt. Dem entsprach eine allgemeine Todesfurcht, das Gefühl der Nichtigkeit des Lebens. Man lebte für das Jenseits. Vor dem Jenseits stand aber das Jüngste Gericht. Das steigerte die Angst vor dem Tod. Im Blick auf das Gericht wurde der Mensch vereinzelt: Jeder würde sich allein verantworten müssen. Zu der Vereinzelung trug allerdings auch die zunehmende Auflösung von festen Gemeinschaften bei. Dagegen konnte die Kirche mit ihren Gnadenmitteln Halt geben. Und auch der Gedanke, dass wir doch Teil eines geordneten Ganzen sind, des Kosmos, gab in aller Angst Geborgenheit. Dabei wurde im Kosmos ein hierarchischer Aufbau wahrgenommen, dem auch die hierarchisch aufgebaute Gesellschaft entsprach.

Die naturwissenschaftliche Revolution trug nun dazu bei, diese Geborgenheit im Kosmos zu zerstören. Man empfand sich nicht mehr als Teil des Ganzen. Nun stand der einzelne Mensch der Welt gegenüber – jeder gleich. Die bisherige Unterscheidung zwischen dem Leben der Laien und dem der Priester, Mönche, Heiligen, deren Leben einer höheren Berufung gerecht werden sollte, leuchtete nicht mehr ein. Sollte das Christentum nicht von jedem einzelnen gleichermaßen gelebt und verantwortet werden?

Daraus entstand eine neue Dynamik: Im 14. Jahrhundert entwickelte sich in Italien unter der Elite ein neues Verständnis vom Menschen, der Humanismus[4]. Der Humanismus hat dann im 15. und 16. Jahrhundert, in der Zeit der Renaissance[5], alle Bereiche des Lebens erfasst. Dieser Humanismus war allerdings noch an Gott gebunden. Er baute darauf auf, dass wir die Freiheit haben, die Welt nach Gottes Willen zu ordnen.

 

b.         Zeit der Reformation

In dieser Zeit kam es zur Reformation, die  Das war der Boden, auf dem die Reformation bis in alle Schichten begeisterte Anhänger finden konnte. Anders allerdings als der Renaissancemensch, der eine neue Freiheit empfindet und den religiösen Boden verlässt, gerät Luther zunächst in eine tiefe Krise. Er erkennt, dass der Mensch vor Gott nicht bestehen kann. In der Beschäftigung mit der Bibel findet er den befreienden Weg aus der Krise. Dieser Weg führt ihn dann auch zu einer anderen Art von Freiheit, zu der Freiheit eines Christenmenschen[6]: Wir sind frei, weil Gott uns seine Gnade schenkt. Wir müssen nicht selber gerecht sein. Das löst uns daraus, dass wir uns um uns selbst drehen. Und das erst macht uns frei, nun den anderen Menschen neben uns wahrzunehmen. Es mag ein uns nicht verständliches Wirken eines dunklen Gottes geben. Aber Luther will sich an Jesus Christus halten. In der von Jesus Christus her verstandenen Bibel begegnet Luther Gott als der gnädige Gott.

Luther greift das neue Denken auf: Hatte bisher die Kirche mit den geweihten Priestern und den Heiligen die Verbindung zu Gott vermittelt, so sprach Luther nun von einem allgemeinen Priestertum. Damit wird der einzelne auf sich selbst gestellt.[7] Mit der reformatorischen Aussage, dass die Erlösung durch den Glauben geschieht, waren Heiligen- und Reliquienverehrung unwirksam, es blieben nur noch Taufe und Abendmahl als Sakramente. Die Unterscheidung zwischen normalen und besonderen Christen war gefallen. Damit hat die Reformation das Christentum in das alltägliche Leben geholt. Der wahre Gottesdienst fand im Beruf und in der Familie statt. Das hat zur Entzauberung der Welt beigetragen.

 

C.      Zeit der Aufklärung bis zum 1. Weltkrieg

 

1.         Neues Denken im 17. - 19. Jahrhundert[8]

Die Aufklärung hat unser Weltbild entscheidend verändert. Sie ist auch heute – jedenfalls in der westlichen Welt – unser selbstverständlicher Hintergrund. Mit dem Weltbild hat sich auch das Gottesverständnis geändert. Ich nenne ein paar Namen, mit denen sich Gedanken verbinden, die sich festgesetzt haben:

Spinoza (1632-1677): Der Mensch ist wie ein Stein, welcher in die Luft geschleudert seine Bahn zurückgelegt und dabei glaubt, er selbst bestimme den Weg, den er nehme, und den Platz, auf dem er niederfällt. Wir haben nur eine vermeintliche Freiheit, eigentlich ist alles festgelegt.

John Locke (1632-1704): Auch die menschliche Gesellschaft wird von Naturgesetzen gelenkt: Die Menschen sind bei Geburt gleich. Was sie vorantreibt und bestimmt, das ist ihr Eigeninteresse. Daraus leitet er ab: Wir sollen in Freiheit leben, in Gleichheit. Wir haben ein Recht auf Eigentum. Das sind Naturgesetze.

Schließlich Jean Baptiste Lamarck (1744-1829) und Charles Darwin (1809-1882): Ihre Evolutionstheorie hat die Vorstellung, dass das Weltgeschehen wie in einer Maschine ablaufe, wieder aufgebrochen. Die Natur hat eine innere Dynamik: Die Welt bringt immer komplexere Wesen hervor. Der Gedanke der natürlichen Auslese (survival of the fittest) und, dass die Entwicklung zu immer höheren Ebenen fortschreitet, ist damals für viele Menschen zu einer neuen Religion geworden.

 

2.         Deismus als Zwischenschritt zum exklusiven Humanismus

 

a.         Die Vorstellung einer göttlichen Vorsehung

Vor 1700 ist man davon ausgegangen, dass man Gott etwas schuldet: Wir müssen Gott verehren, Gott lieben. Dann bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts setzt sich die Ansicht durch: Gott hat sein Werk getan; er hat die Welt gut geschaffen. Wir wissen, dass er es gut mit uns meint. Was wir ihm schulden ist nicht, dass wir etwas für Gott tun, sondern dass wir der guten Bestimmung der Welt folgen und uns um das Wohlergehen der Menschen und das wechselseitige Glück kümmern.

Hinter dieser Entwicklung steht eine Ernüchterung: Nach dem verheerenden Konfessionskrieg von 1618-1648 hatte man die Sympathie für jeglichen religiösen Eifer verloren. Stattdessen akzeptierte man mehr und mehr die Toleranz, für die Lessing[9] in seiner Ringparabel (1779) geworben hatte.

Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag
Zu legen!

Man ging davon aus, dass im Grunde alles in einer Harmonie verbunden sein sollte und auch sein konnte.

Wir müssen auf unsere Vernunft vertrauen und auf Disziplin. Damit können wir die göttliche Bestimmung umsetzen. Das hieß aber: Wir sind gar nicht mehr auf eine göttliche Gnade angewiesen. Gottes Rolle bestand einfach darin, dass er uns geschaffen hat und uns mit Vernunft und auch Güte ausgestaltet hat. Gewiss, es gab weiter das Versprechen unendlicher Freude im Himmel und die Androhung ewiger Verdammnis. Aber das war nicht mehr das Ziel des Lebens; es wurde vielmehr als Hilfe und pädagogisches Mittel verstanden. Es sollte für uns ein Anstoß sein, dass wir uns nachdrücklich für unsere Aufgabe hier einsetzen.

Geistliche und weltliche Macht fielen nun immer weiter auseinander. Kirche und Staat wurden getrennt. Das schuf die Voraussetzung dafür, dass sich auch im geistigen Bereich das Religiöse und das Weltliche trennten. Die Menschen waren aufgerufen, selber das Zusammenleben zu regeln. Der veränderte Zustand Europas erforderte ein ganz neues Rechts- und Staatsdenken.[10] Das konnte sich nun unabhängig von der Religion entwickeln.

Dabei sah man es als eine Errungenschaft der Moderne an, dass wir uns mit allen Menschen verbunden wissen. Auch wenn wir die Erfahrung machten, dass Menschen zu schrecklicher Zerstörung fähig sind, könnten wir trotzdem daran festhalten, dass es durch Erziehung, Disziplin, durch Zivilisation mögliche sei, aus einem unabhängigen Wohlwollen zu handeln. Wir könnten ein die Welt umspannendes Mitgefühl und die Achtung vor einem moralischen Gesetz entwickeln.

Damit verschwand auch die Sicht, dass der Mensch auf geheimnisvolle Weise von Beginn an in Sünde gefangen sei und dass er auch nicht von sich aus diese Entfremdung zu Gott überwinden könne. Der Gedanke einer Erbsünde und einer deshalb notwendigen Versöhnung mit Gott wurde entschieden abgelehnt. Der Glaube an Gottes Vorsehung und Führung war im Grunde entleert. Wir können ja unsere Aufgabe von uns aus klar erkennen. Da durfte es gar keinen Platz mehr dafür geben, dass Gott persönlich in ein Schicksal eingreift.

Schließlich verschwand auch die Vorstellung von einem ganz neuen, veränderten Sein im Jenseits nach dem Tod. Und damit verschwand auch die Hoffnung auf eine jenseitige Welt, die ganz von Gottes Liebe bestimmt war. Das hätte ja bedeutet, dass es über das menschliche Wohlergehen hinaus etwas Höheres gäbe. Man sah nun das Leben nach dem Tod als Friede, Ruhe und, dass man mit den geliebten Menschen wieder vereinigt würde. Diese Entwicklung gab dem Menschen hier ein starkes Gefühl von der eigenen menschlichen Würde und Macht. Das war verbunden mit einem tiefen Vertrauen auf das umfassende gegenseitige Wohlwollen.

 

b.         Das neue Verständnis der Welt

Gott wird – das war zunächst noch ganz klar – als Schöpfer dieser gut geordneten Welt verstanden. Die Natur ist dann aber losgelöst; sie entwickelt sich nach eigenen Gesetzen. Das hat zu einem neuen Interesse an der Natur geführt. Es ist nicht mehr die Ewigkeit jenseits der Zeit, die einen festen Rahmen in allem Wandel gibt. Den festen Rahmen finden wir vielmehr durch die Gesetze der modernen Naturwissenschaft und in mathematischen Formeln. Die Gesetze sind das Feste, nach ihnen verändert sich alles in unserer Welt. .

Gott wurde nicht mehr als persönlicher Gott verstanden, der mit den Menschen in Verbindung tritt, gnädig ist, liebt, den Menschen über seine Zeit hinaus denken lässt. Damit darf Gott auch gar nicht in eine nach festen Gesetzen ablaufende Geschichte von außen eingreifen. Man nahm an, dass Gott hatte entweder keine konkrete Bedeutung hat oder dass es ihn gar nicht gibt.

Und die Christen – für die einen war Gott unpersönlich geworden, andere lehnten das alleinige Vertrauen auf die Vernunft entschieden ab. Aber auch die, die an einem persönlichen Gott festhielten, wandten sich nun ganz bewusst der Welt und den Menschen zu. Sie wollen ihnen das Evangelium der Liebe bringen, das zu einem praktischen Glauben und zur tätigen Nächstenliebe führen musste.

Machen wir uns noch einmal klar: Dieser eben beschriebene Deismus hat als Grundlage eine sehr optimistische Sicht des Menschen. Der Mensch kann aus sich in einer gut geordneten Welt das Richtige tun. Religionen mit all ihren Kriegen können wegfallen. Auf diesem Hintergrund konnte sich dann ein exklusiver Humanismus entwickeln, der bewusst einen Bezug auf Gott ablehnte.

 

3.         Humanismus ohne Gott

 

a.         Die neue Vision von einer moralischen Ordnung

Bereits im 17. Jahrhundert war eine neue Vision von einer moralischen Ordnung entstanden. Die hat für die Entwicklung der modernen westlichen Gesellschaft eine entscheidende Rolle gespielt. Im Zentrum standen die neuen Theorien von einem Naturrecht. Sie waren hauptsächlich eine Reaktion auf die heimische und internationale Unordnung, die durch die Religionskriege entstanden war. Für Hugo Grotius[11] war die Natur der Menschen der Ausgangpunkt um seine Rolle in der Gesellschaft zu bestimmen. Er sah die Menschen als rationale und soziale Wesen. Ihre Bestimmung ist es, in Frieden und zum gegenseitigen Wohlergehen zusammen zu leben. Dem entsprach auch seine Vorstellung von einer Gesellschaft: Sie ist aus einzelnen Individuen zusammengesetzt. Diese sind auf Grund des Naturrechts dazu verpflichtet, sich für das gegenseitige Wohl einzusetzen. John Locke[12] ging einen Schritt weiter: Das Naturrecht setzt auch der Macht der Regierungen Grenzen. Mehr und mehr wurde die persönliche Gleichheit der Menschen hervorgehoben.

 

b.         Die Entstehung des exklusiven Humanismus

Der erste Schritt war, dass Gottes Plan mit den Menschen darauf reduziert wurde: Gott hat die Welt im Blick auf das Glück und Wohlergehen der Menschen geordnet. Er hat dem Menschen die Fähigkeit gegeben, diese Ordnung wahrzunehmen. Daraus ergibt sich für die Menschen jetzt und hier die Aufgabe, nun auch zum gegenseitigen Wohl zu leben. Diese aktive Einstellung ist neu: Es ist unsere Aufgabe, in die Natur und in die menschliche Gesellschaft gestaltend einzugreifen. Dabei hat dieser Humanismus von der christlichen Nächstenliebe den universellen Ansatz übernommen.

Noch einmal: Der Humanismus dieser Zeit geht von der optimistischen Annahme aus: Wir haben als Menschen die innere Motivation, uns für das Wohlergehen unserer Mitmenschen einzusetzen; das wollen wir. Es gibt eine universale Sympathie. Das Wohlwollen, die Barmherzigkeit, der Einsatz für den anderen Menschen – das hatte man bisher als Eigenschaften Gottes gesehen. Nun werden diese rein innerweltlich als Eigenschaften der Menschen verstanden. Das hat die Menschen stolz gemacht: Wir können aus uns das Gute schaffen.

 

c.         Das Erdbeben von Lissabon[13]

Als 1755 ein Erdbeben mit darauf folgendem Tsunami und einer Feuerbrunst 95% der Stadt Lissabon zerstörte, etwa 100.000 Menschen starben und die Auswirkungen des Bebens bis Nordafrika zu spüren waren, hat das tiefe Auswirkungen auf die Philosophie und das Selbstverständnis der Menschen gehabt. Die optimistische Annahme, in der besten aller Welten zu leben, ließ sich nicht mehr halten und auch nicht die Vorstellung von Gott als dem gütigen und gerechten Weltenlenker. Die aufgeklärten Gesellschaften begannen sich in einer Welt einzurichten, in der von Katastrophen und Risiko und nicht mehr von Sünde und Schuld die Rede sein musste. Man wollte nicht mehr in der Not zu Gottflüchten, sondern versuchte nun Katastrophen naturwissenschaftlich zu erforschen (Seismographie) und sich damit gegen sie zu rüsten.

 

Pause

 

D.      Zeit der Industriellen Revolution …

 

1.         Auswirkungen der Veränderungen in der Wirtschaft, Technik und der Organisation der Arbeit

 

a.         Die industrielle Revolution

Durch die Mechanisierung der Handarbeit, die Dampfmaschine, die massenhafte Verwendung von Kohle und Eisen kam es Ende des 18. Jahrhunderts und dann im 19. Jahrhundert zur Industriellen Revolution[14]. Begleitet wurde sie von einer starken Bevölkerungszunahme, mit einer neuartigen Zuspitzung der sozialen Missstände.

 

b.         Die klassische Volkswirtschaftslehre von Adam Smith

Der schottische Moralphilosoph Adam Smith[15] (1723- 1790) gilt als der Begründer der klassischen Volkswirtschaftslehre. 1776 forderte er, dass der freie Wettbewerb nicht durch Eingriffe des Staates behindert werden dürfe, denn dieser Wettbewerb sei die Grundlage einer richtigen Arbeitsteilung und der Wettbewerb schaffe den Ausgleich von Preisen und Gewinnen. Er sah in dem freien Wettbewerb die beste Förderung des Gemeinwohls. Das allgemeine, gesellschaftliche Glück wird dann maximiert, wenn jeder einzelne im Rahmen seiner ethischen Gefühle versucht, sein persönliches Glück zu erhöhen. Dabei werde das ganze System dann durch eine unsichtbare Hand gesteuert.

 

c.         Soziales Engagement angesichts der Not der Arbeiter

In der sich nun entwickelnden Verelendung der Arbeiterschicht haben sich Christen und Nichtchristen sozial engagiert: Johann Hinrich Wichern gab verwilderten Jugendlichen im Rauhen Haus einen Familienersatz. Der katholische Priester Adolph Kolping gründete den Kölner Gesellenverein und Gesellenhospize. Friedrich von Bodelschwingh, der ältere (1831-1910), kümmerte sich zunächst um gestrandete Deutsche in Paris und gründete dann 1867 die Evangelischen Heil- und Pflegeanstalt für Epileptische bei Bielefeld. Die Kirche aber war weiter vom Mittelstand geprägt. Die Arbeiter hatten keinen wirklichen Kontakt zu ihr gefunden. 

 

d.         Rückbesinnung auf das Gefühl in der Romantik[16]

Hat die aufgeklärte Weltbeherrschung den Menschen geholfen, ihre innere Persönlichkeit zu entwickeln: In der Zeit der Romantik (Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert) kam es zu einer Gegenbewegung. Die Menschen spürten: Das an der Wirtschaft orientierte Denken verkürzt das Leben. Und deshalb lehnte man nun eine Gesellschaft, die allein vom Gewinnstreben und vom bloßen Nützlichkeitsdenken des beginnenden industriellen Zeitalters geprägt war, ab. Den aufblühenden Naturwissenschaften warfen die Romantiker vor, sie würden alles mit dem Verstand erklären, alles auf seine Nützlichkeit, Verwertbarkeit untersuchen und keine Geheimnisse mehr lassen. Die Romantik glaubte an die Macht des Ahnens, des Schauens, der Intuition, pries das Reich der Phantasie und des Traums, bis hin zu den dunklen Bereichen der Seele. Dahinter stand die tiefe Sehnsucht nach einer Heilung der Welt. Die Gegensätze sollten zu einem harmonischen Ganzen zusammengeführt werden. Das war ein Sehnen, das über die reale Welt hinaus führte.

 

e.         Vermittlung zwischen Rationalismus und Supranaturalismus 

Die Aufklärung hatte über das 18. Jahrhundert die christliche Religion in Bedrängnis gebracht. Die bisher so grundlegenden Begriffe »Gott« und »Offenbarung« waren in der Zeit der Aufklärung scharfer Kritik unterzogen worden. Man wollte die Lehren des Christentums nicht mehr dadurch begründen, dass man auf die Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift verweist. Die Offenbarung, wusste man nun, hatte selbst eine Geschichte. Das machte sie anrüchig. Es kam noch hinzu: Die Amtskirche war eng mit dem Staat verbunden; sie schien von ihm abhängig zu sein.

Aber mit dem Ende des 18. Jahrhunderts schien auch der Rationalismus seinen Zenit überschritten zu haben. Die christliche Gegenbewegung ging bewusst von einem Supranaturalismus aus, also von Aussagen, die über das, was wir in der Welt wissen können, hinausgingen. Der Pietismus entfaltete erneut seine Wirkung.

 

f.          Umschlag zum Atheismus

Gegen 1830 schließlich kam es wieder zu einer tief greifenden Veränderung. Die bis dahin geltende Gottesidee – sie wich einer atheistischen Grundhaltung. Es drängte sich eine neue Sichtweise auf, wie man die Wirklichkeit verstand. Die Wirklichkeit ist durch die Geschichte bestimmt, sie verändert sich in der Geschichte. Feuerbach und Marx setzten bei dem Menschen und den Zuständen an, in denen er lebt. Der Ausgangspunkt ist nicht mehr Gott oder das Absolute, sondern die Realität des Mitmenschen. Friedrich Nietzsche[17] kommt in seiner schonungslosen Zeitanalyse zu der Aussage: „Gott ist tot.“

 

g.         Ludwig Feuerbach (1804-1872)

Ludwig Feuerbach wandte sich gegen ein alleiniges Vertrauen auf die Vernunft. Wahrheit werde nicht durch Denken erkannt, sondern durch sinnliche Erfahrung, durch Anschauung, durch Liebe. „Wo keine Liebe ist, ist auch keine Wahrheit.“ Aber er wandte sich ebenfalls gegen die Religion: Der in sich zerrissene Mensch betet im Grunde sich selbst an, indem er Gott nach seinen Wünschen bildet: Weil die Liebe und, dass man für andere Menschen leidet, den einzelnen übersteigt, hat man von dem liebenden und von dem leidenden Gott gesprochen. Man hat Gott mit den Schätzen seines eigenen Inneren ausstattet. Feuerbach will die Religion nicht einfach beiseite wischen, sondern sie von der Beziehung zu Gott lösen. Anstelle der Gottheit muss die menschliche Gattung treten, anstelle des Kultus die Bildung, und anstelle des Jenseits die Zukunft der Menschheit. So kann die Zerrissenheit des Menschen heilen.

 

h.         Karl Marx (1818-1883)

Auch Marx hinterfragt das Vertrauen auf die Vernunft: Die Vorstellung, dass wir mit unserem Bewusstsein das Leben auf der Welt bestimmen, ist falsch. Es ist gerade umgekehrt die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmen unser Bewusstsein. Religion, Recht und Moral – das sind Produkte der jeweiligen materiellen Verhältnisse. Wenn diese Verhältnisse sich wandeln, wandelt sich auch das Recht, die Moral, die Religion. Dass uns die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmen, ist freilich nur die eine Seite. Auf der anderen Seite sind es schon Menschen, die auf diesem Hintergrund bewusst ihre eigene Geschichte gestalten. Dazwischen gibt es eine dialektische Wechselbeziehung.

Marx kritisiert alle Formen einer idealistischen Philosophie und insbesondere der Religion. Die Religion dient nach Marx nur dazu, die Existenz des Menschen durch Träumereien und Trost im Jenseits erträglich zu machen. Damit verlängert und legitimiert sie das faktische Elend. In diesem Sinn ist sie „Opium des Volkes“. Die Überwindung dieses Hirngespinstes bedarf jedoch nicht nur der theoretischen Kritik, sondern der materiellen Veränderung jenes Lebens. Die Lage der Menschen muss so verändert werden, dass die Religion als „Stoßseufzer der bedrängten Kreatur“ nicht mehr nötig ist.

 

2.         Neue christliche Bewegungen

Im Protest gegen die erstarrte lutherische Orthodoxie und gegen die deistische Gottesvorstellung entstanden ab dem 17. Jahrhundert Erweckungsbewegungen. Im deutschsprachigen Raum entwickelte sich nach dem Trauma des Dreißigjährigen Krieges der Pietismus. Ihm ging es um eine persönliche, gefühlsbetonte Frömmigkeit. Lebendiges Christentum muss damit beginnen, dass der Mensch auf den Ruf des Evangeliums zu Umkehr antwortet. Es braucht eine geistige Erneuerung. Die christlichen, insbesondere die konfessionellen Dogmen treten zurück. An ihre Stelle tritt ein ursprüngliches Verständnis des Evangeliums, das die Bibel direkt und wörtlich bezeugt. Es wird – wie bei Luther – das Priestertum aller Gläubigen betont. Dabei entwickelte der Pietismus einen starken missionarischen und sozialen Grundzug.

Die Erweckungsbewegungen des 18. Jahrhunderts haben dann zu einem starken Anwachsen der engagierten Christen in der Bevölkerung geführt. Sie haben durch Hauskreise die Gemeinschaft gefördert und sich für die diakonische Arbeit für die Menschen konkret eingesetzt. Dazu gehören die Armenapotheken der Methodisten. Im 19. Jahrhundert wurden in Deutschland Gesellenvereine und Diakonissenhäuser gegründet. Außerdem engagierten sie sich in einer weltweiten Missionsarbeit.[18] Im 20. Jahrhundert haben die Pfingstgemeinden in Brasilien sich sozial engagiert.

 

3.         Rein immanentes Verständnis        

Die Vorstellung einer statischen, von bestimmten Grenzen eingeschlossenen Welt hat den Menschen Geborgenheit geben. Das war seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr möglich. Man nahm sich nun in einem leeren und unendlichen Weltall wahr. Die Menschen sahen ihr Leben inmitten einer sich über Äonen abspielenden Entwicklung. Da war kein Raum mehr für das selbstverständliche Vertrauen, dass die Welt nach einem Plan sinnvoll geordnet ist. Es ging auch das Gefühl verloren, dass die Welt in sich etwas Geheimnisvolles barg. So kam es nach einer Welle der Frömmigkeit um 1850 zu einer starken Abkehr vom Glauben. Es taten sich ja auch immer mehr Alternativen zur Religion auf. Kennzeichnend ist, dass das Denken immer mehr um den Menschen kreiste. Die Humanisten hatten den Altruismus, die Hinwendung zum anderen Menschen, proklamiert. Sie fühlten sich darin den Christen überlegen, die die Nächstenliebe mit Lohn und Strafe im Jenseits verbanden und Häretiker ausschlossen.

Im Gefolge von Nietzsche und Schopenhauer wandte man sich auch wider gegen die Werte der Aufklärung. Man entdeckte die positive Bedeutung der irrealen, amoralischen und sogar gewalttätigen Kräfte in uns. Unsere Existenz, Vitalität und Kreativität sind davon abhängig. Man wies das zu harmonische Bild vom Leben zurück, in dem Leiden, Böses und Gewalt ausgeblendet wurden. Das bedeutete aber keine Rückkehr zur Religion oder dem Transzendenten. Man verstand die Welt als rein immanent, ohne einen Bezug darüber hinaus.

 

E.        Das 20./21. Jahrhundert

Wie hat sich im 20. Jahrhundert unsere Einstellung geändert, was hat die Menschen geprägt?

 

1.         Naturwissenschaft und Technik

 

a.         Die Natur hat eine Geschichte, ist ein offener Prozess, sie ist ein Ganzes. Wir geraten an Grenzen unserer Vorstellung

Mit der modernen Physik kommen wir an eine Grenze dessen, was wir uns vorstellen können. Die drei Dimensionen des Raums und die Dimension der Zeit – sie lassen sich austauschen. Die Wirklichkeit kann gar nicht mehr unabhängig vom Beobachter beschrieben und gemessen werden. Sie ist nur komplementär, das heißt in sich widersprechenden und doch zusammengehörenden Aussagen fassbar. Die "Materie" muss als Energietanz im leeren Raum verstanden werden. Es sieht so aus, als wäre alles mit allem in einem Raum und Zeit überschreitendem Ganzen verbunden. Alle diese Erkenntnisse gelten als ma­thematisch und experimentell gesichert.[19]

Die Chaosforschung[20] hat gezeigt: Kleinste Ereignisse können ein totales Umkippen verursachen (Schmet­­terlingseffekt). Das bedeutet: Die Welt kann nicht als eine große Maschine (Newton), sondern muss als ein offenes System verstanden werden. Die weitere Entwicklung ist noch unbestimmt.

Das verlangt nach einer holistischen, d.h. ganzheitlichen Betrachtungsweise. Man muss also davon ausgehen, dass alle Dinge in einem inneren Zusammenhang stehen und letzt­lich nur in diesem Zusammenhang richtig verstanden werden können. Es ist dabei prinzipiell nicht möglich vorherzusagen, welche Folgen Eingriffe an einer Stelle nach sich ziehen werden. Wie können wir das erfassen? Es ist die Haltung der Ehrfurcht, in der der Mensch die Gesamtheit wahrnimmt und sich selber als einen Teil des Ganzen versteht.[21] Das muss ihn auch in seinem Handeln leiten.

Dabei ist es der übergroße Erfolg, nicht der Misserfolg von Naturwissenschaft und Technik, mit dem wir heute ringen. Die Entwicklung hat sich losgelöst vom Menschen und dem Wohlergehen des Menschen, das doch seit dem Deismus des 17. und 18. Jahrhunderts im Mittelpunkt stand.

 

b.         Glaube an die Wissenschaft

Die Naturwissenschaft kann versuchen die Welt zu erklären; sie kann sie aber nicht deuten. Angesichts dessen müssen wir uns fragen, aus welchem Blickwinkel und mit welcher Einstellung wir unserer Welt begegnen wollen und welche Grenzen uns gesetzt sind. Wir brauchen eine von der Naturwissenschaft unabhängige Deutung. Wir brauchen einen Zugang zum Ganzen, der sich grundlegend von dem naturwissenschaftlichen unterscheidet. Diesen Zugang kann man in Staunen, Liebe, Verantwortung finden – darin sind sich Christen und nicht religiöse Humanisten einig. Wichtig ist: So wie Religion keine naturwissenschaftlichen Aussagen machen kann, so darf auch die Naturwissenschaft nicht in Anspruch nehmen, die ganze Wirklichkeit zu erkennen.

 

2.         Veränderungen im Selbst- und Weltverständnis

Durch den Ersten Weltkrieg ist nicht nur die äußere Ordnung zerbrochen. Alles, was im 19. Jahrhundert als gut, wahr und schön, was als vernünftig, bürgerlich und liberal, was als edel und human gegolten hat, das war untergegangen. So neigten nach dem ersten Weltkrieg viele Kulturkritiker dazu, Leitorientierungen wie Vernunft, Fortschritt und Humanität als trügerisch zu verabschieden und damit das Erbe der Aufklärung. Rationales, sachliches Denken war eher verpönt.[22]

 

a.         Die nationalsozialistischen Ideologie und ihre Umsetzung

Nach dem Zusammenbruch 1918, der Demütigung, der Not und der Unsicherheit erlebten viele das Dritte Reich als einen neuen Aufbruch. Da konnte man als Atheist mitmachen, sich aber auch wie die »Deutschen Christen« auf ein von „jüdisch-dekadentem Denken“ befreites Christentum mit einem heldischen Christus berufen. Gegen diese nationalsozialistische Ideologie und den Führerkult, haben sich die »Bekennenden Kirche« und der Pfarrernotbund zusammengeschlossen.

 

b.         Existentialismus[23]

In Frankreich und darüber hinaus prägten gerade auf dem Hintergrund der Résistance Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Albert Camus mit ihrem Existentialismus die Philosophie und das Lebensgefühl. Ich möchte das hier überspringen, weil Herr Gröber an unserem vierten Abend noch eingehend darauf zurück­kom­men wird.

 

c.         Die Auswirkungen des Dritten Reichs

Der Ökumenische Rat der Kirchen hat der Kirche in Deutschland wieder die Hand gereicht. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis im Oktober 1945 machte den Weg frei, dass die Evangelische Kirche wieder in die ökumenische Gemeinschaft aufgenommen werden konnte.[24] Kirchen anderer Ländern haben zu Hilfsaktionen für die Not leidenden Deutschen aufgerufen. Viele haben dieses Schuldeingeständnis damals allerdings abgelehnt. Manche haben dann auch aus der Perspektive der Opfer gefragt: Wie kann man nach Auschwitz noch an Gott glauben?

 

d.         Wirtschaftswunder, wachsender Wohlstand, Konsumwelt

In Westdeutschland, Österreich, Japan kam es bereits seit 1950 zu einem Wirtschaftwunder. In der Sozialen Marktwirtschaft konnte sich ein breiter Wohlstand entwickeln. Der Anspruch auf Urlaub und das für viele freie Wochenende machten es möglich, darin auch einen wesentlichen Inhalt des Lebens zu finden. Für viele war die Kirche vor allem an Wendepunkten des Lebens weiter wichtig. Neben dieser Dienstleistungsfunktion hat aber die Kirche auch mit Denkschriften Anstöße gegeben. Es gibt ein Gemeindeleben, das Orientierung, Geborgenheit bietet, in dem man sich engagieren kann. Anders als in den USA vermied man es eher, vom Glauben zu reden.

Ab Mitte der 60er Jahre kam es mit der Hippie-Bewegung auch bei uns zu einer Kritik an der Konsumwelt, in der man die Menschen als von der Werbung manipuliert wahrnahm. Der Psychologe Erich Fromm[25] fand viel Beachtung mit seiner Frage, ob wir nicht anstelle der Existenzweise des Habens, die Existenzweise des Seins setzen müssten.[26] In der 68er Bewegung kam es zu einer Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Welt. Die selbstverständlichen Autoritäten wurden in Frage gestellt, auch eine autoritär strukturierte Kirche.

 

e.         Die geistesgeschichtliche und religiöse Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg,

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt nicht nur für die Eliten, sondern für alle Menschen in der Gesellschaft, dass das Leben authentisch sein soll. Man möchte sein eigenes Leben verwirklichen. Jeder soll sein Leben leben, seine eigene Meinung haben. Das galt auch im Blick auf den Glauben: „Akzeptiere nur das, was für dich im Innern wahr zu sein scheint.“[27] Dabei gibt es heute viele, die nach unmittelbarer Erfahrung von etwas Heiligem suchen, nach mehr Spontaneität und spiritueller Tiefe. Auf der anderen Seite verspricht aber auch die Werbung die Menschen Lebenserfüllung: Lebenserfüllung durch Konsum. Es gibt einen meist unbewusst bleibenden Druck, sich dem allgemeinen Trend anzupassen, sich an dem Lebensstil der anderen zu orientieren.

Die Eigendynamik von Naturwissenschaft, der Technik und vor allem der Wirtschaft hat nicht nur Gott, sondern auch den Menschen an den Rand gerückt. Nicht der Mensch, sondern die Technik und die Wirtschaft sind zum Subjekt der Geschichte geworden.[28] Man kann nicht mehr selbstverständlich miteinander davon ausgehen, dass es eine unser Leben überschreitenden Ebene, eine Transzendenz gibt. Viele spüren, dass damit, etwas verloren gegangen war: „Was wir tun und erreichen, unsere Ziele usw. haben an Gewicht und Bedeutung verloren, da ist kein innerer Widerhall mehr in uns.“ Manche haben das Gefühl, dass alles tot und leer ist. Aber viele andere gestalten auch ihr Leben bewusst, engagieren sich, sind sich dankbar bewusst, dass es ihnen gut geht. Angesichts der großen Herausforderung in unserer Zeit schauen viele aber auch weg oder werden zynisch. Auf diesem Hintergrund ist wohl zu verstehen, dass es eine neue Hinwendung zu dem Religiösen gibt, zu Meditation, Liturgie, zu etwas Heiligem – nicht unbedingt zu der Kirche.

Ein wichtiger Unterschied zu der Situation um 1500 ist, dass jeder heute bezüglich der Religion eine verschiedene Sichtweise haben und die Dinge anders sehen kann und uns das auch bewusst ist. Das ist nicht mehr an die Kirche gebunden, sondern oft vielfältig vermischt. Die Kirche hat, wenn es um Gott und Glauben geht, ihre Deutungshoheit verloren. Man ist nicht mehr oder weit weniger durch eine Gruppenidentität an einen bestimmten Glauben gebunden. Dabei kann man sich durchaus in verschiedenen geistlichen Praktiken engagieren, Meditation, soziales Engagement, Pilgerreisen oder bestimmte Arten von Gebeten. Man sucht Augenblicke der Gemeinschaft, sei es bei Kirchentagen, in Taizé oder bei Rockkonzerten und Medienereignissen, wie die Rettung der Bergleute in Chile 2010. Dabei hat etwa das Engagement für eine internationale Verständigung und Versöhnung christliche Wurzeln und kann sich mit Bibelstudium oder christlicher Liturgie verbinden. Man sucht aber eher Spiritualität als eine kirchlich organisierte Religion.

 

f.          Beiträge aus der modernen Philosophie und Theologie

Dem Problem einer totalen Säkularisierung haben sich Philosophen und viele Theologen gestellt. Es gibt keine einheitliche Deutung mehr. Die postmoderne Denkhaltung plädiert für Vielfalt. Diese Vielfalt findet sich auch in dem durchaus noch oder wieder vorhandenen Interesse an Religion. Dabei werden Traditionen, Weltbilder, Meditationsformen aus verschiedenen Religionen vermischt und durch eine Art religiöser Popkultur weitergegeben, Vermischung verschiedener Religionen.

 

F.      Resümee

Wir haben davon gesprochen, dass sich der Mensch auch in den letzten 50 Jahren noch einmal verstärkt als Individuum empfindet. Und als Individuum will er auch im Bereich der Religion und der Weltanschauung zu einer eigenen Anschauung kommen. Gleichzeitig gibt es einen Traditionsabbruch. Dabei wird natürlich die eigene Einstellung weiter durch die in der Familie, in der Gesellschaft vorhandenen Werte bewusst oder unbewusst geprägt. In unserer Gesellschaft treffen unterschiedliche Kulturen und Religionen aufeinander. Sie ist von der modernen Arbeitssituation und Freizeit- und Konsumerwartungen geprägt. Damit stehen wir vor der Aufgabe, das uns gemeinsam tragende Fundament immer wieder neu zu erarbeiten. Dabei müssen wir auch bleibende Differenzen aushalten. Toleranz heute muss heißen, dass wir aktiv um die eigene Identität ringen und versuchen andere zu verstehen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.

 

Die Vorstellungen von Gott haben sich gewandelt. Ich denke, wir müssen von dem Bild Abschied nehmen, dass Gott als ein Superhirn und eine Supermacht von einer anderen Wirklichkeit aus die Dinge auf der Welt regelt. Dann können wir wieder entdecken, wie die Menschen bei Jesus Gott neu erlebt haben. Sie sind ihm begegnet, wie er in Gleichnissen von dem Reich Gottes geredet hat, wie er Menschen wieder in die Gemeinschaft hinein genommen hat, wie er in großer Freiheit Grenzen durchbrochen hat. Und sie sind Gott am Kreuz und in der Botschaft von der Auferstehung begegnet – in der Ohnmacht und dem Leiden und in der Erfahrung: Die Liebe ist dort nicht am Ende. Sie gibt uns Raum zum Leben und öffnet den Blick nach vorne. Gott begegnet als Liebe. Das bleibt nicht eine vergangene Geschichte; es kann zu unserer Erfahrung werden: Gott begegnet uns heute – in seiner Barmherzigkeit, Liebe, Vergebung. Er nimmt uns da mit hinein. Und er nimmt uns mit zu den Menschen – in ihrer Kraft und Liebe und auch in ihrer Ohnmacht, in ihr Leiden. Gott will uns heute damit ansprechen, unserem Leben einen Sinn und eine Aufgabe geben.

Ich habe in einigen Punkten den Weg in eine säkularisierte Welt nachgezeichnet. Ist das nun eine negative oder eine positive Entwicklung? Die Bibel sagt: Die Welt, unsere Art des Zusammenlebens dürfen nicht vergöttlicht werden. Das heißt doch: Die Welt darf weltlich, säkular sein. Wir können die Säkularisierung positiv sehen; sie ist nicht gegen das Christentum gerichtet, sondern entspricht ihr.[29] Die Bibel sagt aber auch, dass uns diese Welt und dass uns die anderen Menschen anvertraut sind. Eine humane Welt und ein humanes Zusammenleben zu gestalten und zu erhalten, das ist unsere Aufgabe.

Die säkulare Welt – sie hat in sich keinen Sinn. Aber es gehört zu unserem Menschsein, dass wir einen Sinn im Leben suchen und brauchen. Wie finden wir diesen Sinn, unsere Mitte? Da muss sich letztlich jeder selber entscheiden. Wir haben jedenfalls auch heute die Freiheit, uns von der christlichen Offenbarung ansprechen zu lassen: Die Natur, unsere Leben, den anderen Menschen mit Ehrfurcht, Achtung als etwas/jemand zu begegnen, dem Würde gegeben ist. Wir können uns als eine Gemeinschaft verstehen, in der wir miteinander verbunden sind, jeder seinen Raum haben soll. Wir können dazu stehen, dass wir versagen, schuldig werden und doch damit leben und auch andere damit leben lassen. So kann Gott in unserer säkularen Welt unser Gegenüber sein. Er weist uns – wie Luther das in seiner zweiten These gesagt hat – an die Welt und an den Menschen. Das bedeutet dann nicht mehr, dass da eine ganz andere Welt Gottes über uns ist, eine zweite Wirklichkeit, sondern Gott ist in unserer Welt. Mit ihm finden wir gerade einen Zugang zu unserer Wirklichkeit. Aber letztlich sind nicht unsere Vorstellungen und Bilder von der Wirklichkeit das Entscheidende, sondern was es im Leben bedeutet, ob wir uns von der Barmherzigkeit Gottes anrühren lassen und sie weitergeben oder nicht.

Wichtig ist der Inhalt der Botschaft von Gott. Wir können diesen nur in Sprache, Zeichen, Formen, Bilder und Vorstellungen weitersagen. Diese sind aber nicht das Eigentliche; sie erhalten nur Bedeutung, wenn sie für Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche lebendig und echt bleiben. Mir ist bei der Arbeit an dem Thema deutlich geworden, wie diese Formen, aber theologische und philosophische Denksysteme jeweils ihre Zeit haben. Sie haben nur Kraft, wenn sie jeweils auf die konkrete Situation bezogen sind und damit eingebunden in die Geschichte. Dass wir von Gott und Jesus Christus ausgehen, bleibt möglich und mir wichtig. Wir müssen aber fragen, wie wir die zentrale Botschaft heute aussagen können. Für mich ist das eine Herausforderung bei jeder Predigt, in den Gesprächen mit Leuten, die selbstverständlich von Gott reden und denen, die damit Schwierigkeiten haben.

Unser Weltverständnis ist nicht das Ende der Entwicklung. Wichtig scheint mir zu sein:

1.         Wir müssen eigene Werten und Einstellungen finden. Die Erziehung hat dazu zu führen.

2.    In unserer gesamten Gesellschaft muss das Gespräch darüber, was unter uns gilt und in welchem Geist wir unsere Welt gestalten wollen, bewusst gefördert werden. Säkularisierung darf und muss nicht heißen, das auszuklammern.

3.    Wir müssen aber auch danach fragen, was uns die Kraft geben kann, über uns hinaus zu denken und auch Verschiedenheiten und die Erfahrung der Ohnmacht auszuhalten. Da sind Humanisten, Christen, Juden, Muslime und wer auch immer gefragt sich einzubringen.

Ich lasse das heute am Schluss so stehen. Wir werden darüber noch nachdenken müssen, wenn wir das nächste Mal, am 1. März, nach Gott in der Bibel zu fragen: Wie wird dort von Gott geredet? Was bedeutet dort Gott für die Menschen – ein Gott, der sich in der Geschichte offenbart. Was heißt eigentlich Offenbarung? Wir begegnen in der Bibel einem Denken, das sich von der der antiken griechischen Philosophie unterscheidet. Aus beidem, aus der biblischen Tradition und aus der griechischen Tradition hat unsere Geistesgeschichte immer wieder Anstöße bekommen. Vertrauen auf die Offenbarung Gottes – Vertrauen auf die Vernunft, wie gehören die beiden zusammen? In den dann noch folgenden beiden Einheiten am 15. März und 5. April wollen Herr Gröber und ich das aufgreifen und mit Ihnen besprechen.

 

G.     Diskussion



[1]           Nach 1500 ist man noch lange selbstverständlich von Gott, Himmel und Hölle und dem Jüngsten Gericht ausgegangen, zugleich fanden tief greifende Veränderungen statt. Auch heute, 500 Jahre später, glauben Menschen an Gott. Allerdings: Es ist nicht mehr einfach selbstverständlich. Die Naturwissenschaft versucht die Welt in ihrem Rahmen zu verstehen und durch die Technik in den Griff zu bekommen. Dabei klammert sie bewusst jede überirdische Erklärung aus. Die Gesellschaft hat sich in den letzten 500 Jahren sehr verändert und dabei schwere Krisen durchgemacht. Die Freiheit des Individuums hat sich herausgebildet, die Demokratie. Aber man hat auch den Abgrund erlebt. In der Reformation, in der Aufklärung, Romantik, dem nationalen Denken und auch in unserer Lebenszeit hat sich die Einstellung zu dem Menschen und zu der Welt radikal verändert.

Aber bis etwa 1500 galt: Wenn man die Natur betrachtet hat, hat man darin das großartige und erschreckende Handeln Gottes erkannt. Noch Johannes Kepler[1] hat 1619 den letzten Band seiner »Kosmischen Harmonie« mit den Worten abgeschlossen: „Dir sage ich Dank, Herrgott, unser Schöpfer, dass Du mich die Schönheit schauen lässt in Deinem Schöpfungswerk, und mit den Werken Deiner Hände frohlocke ich. Siehe, hier habe ich das Werk vollendet, zu dem ich mich berufen fühlte; ich habe mit dem Talent gewuchert, das Du mir gegeben hast; ich habe die Herrlichkeit Deiner Werke den Menschen verkündet, welche diese Beweisgänge lesen werden, soviel ich in der Beschränktheit meines Geistes davon fassen konnte.“[1]

Den Fanfarenstoß, der die moderne abendländische Naturwissenschaft einleitet hat, hat der englische Franziskaner-Mönch und Philosoph Roger Bacon[1] gegeben, als er bereits 1268 – seiner Zeit weit voraus – gefordert hat: Wir brauchen eine Wissenschaft und eine Philosophie, die sich allein auf unmittelbare Erfahrung und Beobachtung der Natur gründet und alle anderen Autoritäten zurückweist. Wie die Astronomie zeigt, können alle Dinge nur durch quantitative Größen, d.h. in der Sprache der Mathematik, genau erfasst werden. Zugleich war Bacons Denken noch alchemistisch und mystisch geprägt.

[2]              Isaak Newton: 1672 baute er ein Spiegelteleskop. Er kam durch Experimente mit Lichtspalt und Prisma zu dem Ergebnis, dass weißes Licht zusammengesetzt ist und durch das Glas in seine Farben zerlegt wird. Auf diese Weise konnte er zwanglos die Entstehung des Regenbogens erklären. Seine Feststellung, dass einzelne Lichtstrahlen unveränderliche Eigenschaften haben, führte ihn zu der Überzeugung, Licht bestehe aus (unveränderlichen und atomähnlichen) Lichtteilchen. Lichtpartikel bewegen sich durch ein materielles Medium (Äther). Er hat auch die Grundsteine der klassischen Mechanik, die drei Grundgesetze der Bewegung und die Konzepte von absoluter Zeit, absolutem Raum und der Fernwirkung (und so auch indirekt das Konzept des Determinismus) gelegt. Newton lehrte eine dualistische Naturphilosophie – beruhend auf der Wechselwirkung von aktiven immateriellen „Naturkräften“ mit der absolut passiven Materie -, welche zur Basis des naturwissenschaftlichen Weltbildes vieler Generationen wurde. Erst die Relativitätstheorie Albert Einsteins machte deutlich, dass Newtons Mechanik einen Spezialfall behandelt.

Um 1673 begann er, die Texte der Heiligen Schrift und der Kirchenväter intensiv zu studieren – eine Tätigkeit, die ihn bis zu seinem Tod in Anspruch nehmen sollte. Seine Studien führten ihn zu der Überzeugung, dass die Dreifaltigkeitslehre eine Häresie sei, die den Christen im 4. Jahrhundert eingeredet wurde.

[3]              Günther Anders hat 1980 zwei Bände unter der Überschrift »Die Antiquiertheit des Menschen« herausgegeben. Darin hat er die Meinung vertreten, dass die „Endzeit“, die Zeit der Selbstauslöschung des Menschen und die Zerstörung der Humanität unwiderruflich begonnen habe. War bisher der Mensch das Subjekt der Geschichte, so ist es jetzt die Technik. Ihr gegenüber erscheint der Mensch als „antiquiert: Durch die Technik lebt er in einer Welt, der er gegenüber völlig veraltet ist. Mit der Entwicklung der Technik kann er nicht nur nicht Schritt halten, er verkümmert in ihr. Humanität, einstmals der oberste Wert menschlichen Strebens, wird einem Fortschritt geopfert, der in Wahrheit keiner ist. Seine, für eine andere Welt geschaffene Seele stirbt in der industriellen Revolution.

[4]              Humanismus: Francesco Petrarca (1304-1374) italienischer Dichter und Geschichtsschreiber gilt als (Mit-)Begründer des Humanismus und einer der größten Dichter Italiens. Er wollte die Antike als Ganzes wiederbeleben. Plato und Aristoteles wurden von den Humanisten im Originaltext gelesen. Die genaue Kenntnis der aristotelischen Schriften machte es nun schwer, an der Vereinbarkeit von Christentum und aristotelischer Philosophie festzuhalten. Ein Widerspruch tauchte vor allem in der Frage der persönlichen Unsterblichkeit auf. Mit dem 15 Jahrhundert war damit die durch Aristoteles geprägte Scholastik am Ende.

[5]              Der Begriff Renaissance wurde im 19. Jh. geprägt, um das kulturelle Aufleben der griechischen und römischen Antike im Europa des 14. bis 17. Jahrhunderts zu kennzeichnen. Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft zeigen seitdem eine Entwicklung des Menschen zu individueller Freiheit im Gegensatz zum Ständewesen des Mittelalters. (Wikepedia)

Während der Humanismus eine Sache der Gelehrten blieb, ergriff die Renaissance im 15. und 16. Jahrhundert alle Lebensgebiete. Im Mittelpunkt des Denkens steht der Mensch – befreit von vielerlei Bindungen und im Bewusstsein ungeahnter Raume und Möglichkeiten. Man fragt sich: Was ist der Mensch, was ist das Leben?

[6]              Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520, Traktat als Beilage zu einem Sendbrief an Papst Leo X.

[7]              Hans Joachim Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Frankfurt, Juni 1991, S 287

[8]              Der Mensch des Vetruv, 1490 Leonardo da Vinci

[9]              Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781)

[10]             Vgl. Hans Joachim Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Frankfurt, Juni 1991, S 290f

[11]             Hugo Grotius (1583-1645), politischer Philosoph: Wikepedia: Über lange Zeit hinweg galt Grotius als Säkularisierer des Naturrechts. Wenngleich er in De jure belli ac pacis eine alte, bereits aus der mittelalterlichen Scholastik stammende Denkformel verwendete, wonach gewisse Prinzipien der natürlichen Gerechtigkeit auch dann gelten würden, wenn Gott nicht existieren würde (etiamsi daremus ... non esse Deum), macht er in dem gleichen Werk auch deutlich, dass es eine naturrechtlich umrahmte natürliche Religion gebe: alle Menschen seien also beispielsweise verpflichtet, an einen einzigen, personifizierten Gott zu glauben. Weitere Glaubenspflichten ergeben sich nach Grotius darüber hinaus für diejenigen Menschen, denen die göttliche Offenbarung insbesonderem im Evangelium bekannt gegeben werde. Grotius wird als „Vater des Völkerrechts“ angesehen.

[12]             Wikepedia: John Locke (1632-1704) war ein einflussreicher englischer Philosoph, Hauptvertreter des britischen Empirismus und gilt allgemein als Vater des Liberalismus. Er bildet zusammen mit George Berkeley (1684–1753) und David Hume (1711–1776) das Dreigestirn der britischen Aufklärung und des aufkommenden Empirismus. Des Weiteren ist er neben Thomas Hobbes (1588–1679) und Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) einer der bedeutendsten Vertragstheoretiker. Seine politische Philosophie beeinflusste die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, die Verfassung der Vereinigten Staaten, die Verfassung des revolutionären Frankreichs und über diesen Weg die meisten Verfassungen liberaler Staaten maßgeblich. In seinem Werk Two Treatises of Government argumentiert Locke, dass eine Regierung nur legitim ist, wenn sie die Zustimmung der Regierten besitzt und die Naturrechte Leben, Freiheit und Eigentum beschützt. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, haben die Untertanen ein Recht auf Widerstand gegen die Regierenden.

[13]          (http://de.wikipedia.org/wiki/Erdbeben_von_Lissabon_1755) Das Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755 führte in Verbindung mit einem Großbrand und einem Tsunami zur nahezu vollständigen Zerstörung der portugiesischen Hauptstadt Lissabon. Das Erdbeben, dessen Epizentrum im Atlantik etwa 200 km südwestlich des Cabo de São Vicente vermutet wird, erreichte auf der Richterskala eine geschätzte Magnitude (Stärke) von etwa 8,5 bis 9. Mit 30.000 bis 100.000 Todesopfern gehört es zu den verheerendsten Naturkatastrophen der europäischen Geschichte.

Das Erdbeben hatte erhebliche wissenschaftliche, politische und kulturelle Auswirkungen: Es war der Anlass zur Entwicklung der modernen Seismologie, verschärfte die innenpolitischen Spannungen in Portugal und hatte einen Bruch in den kolonialen Bestrebungen des Landes zur Folge. Zudem löste es aufgrund des Ausmaßes der Zerstörung vielfältige Diskurse unter den Philosophen der Aufklärung aus. Insbesondere warf es das Theodizeeproblem neu auf, wie ein gütiger Gott das Übel in der Welt zulassen könne.

Lissabon war nicht allein von der Katastrophe betroffen. Besonders an der Algarve im Süden des Landes wurden alle Städte weitgehend zerstört. Das Beben war in ganz Europa spürbar, sogar in Finnland oder in Luxemburg, wo eine Kaserne einstürzte und mehrere Soldaten starben, aber auch in Afrika, auf den Azoren und auf den Kapverden. In Schottland und der Schweiz kam es zu Seiches in Binnenseen, es stiegen die Wasserstände plötzlich an und kehrten wieder zum Normalstand zurück. Flutwellen von 20 Metern Höhe überrollten auch die Küste Nordafrikas und überquerten den Atlantik, wo sie Martinique und Barbados verwüsteten. Die englische Südküste wurde von einer 3 Meter hohen Flutwelle getroffen. In den Niederlanden und in Schweden wurden Schiffe aus ihren Verankerungen gerissen. Der damals in den "Piombi" gefangene Giacomo Casanova sah wie das bleierne Dach über dem Dogenpalast in Venedig stark in Bewegung kam[1].

Das Erdbeben warf für Philosophen und Theologen ein altes Problem neu auf: Wie kann ein allmächtiger und gütiger Gott ein so gewaltiges Unglück wie das Erdbeben von Lissabon zulassen? Warum hatte das Beben die Hauptstadt eines streng katholischen Landes getroffen, das sich auch für die Verbreitung des Christentums in der ganzen Welt eingesetzt hatte? Und warum überdies am Festtag Allerheiligen? Und warum waren zahlreiche Kirchen dem Beben zum Opfer gefallen, aber ausgerechnet das Rotlichtviertel Lissabons, die Alfama, verschont geblieben? An diesem Diskurs beteiligten sich Gelehrte wie Voltaire, Kant und Lessing.

Viele Denker der Aufklärung wurden durch das Erdbeben stark beeinflusst. Zahlreiche zeitgenössische Philosophen erwähnen das Erdbeben in ihren Schriften oder spielen zumindest darauf an. Voltaire etwa schrieb ein Poème sur le désastre de Lisbonne (Gedicht über die Katastrophe von Lissabon). Vor allem aber inspirierte ihn das Beben in seinem Roman Candide zu einer bissigen Satire auf die Philosophie Leibniz' und Wolffs, wonach die existierende Welt die beste aller möglichen Welten sei. Zwischen Voltaire und Rousseau entwickelte sich eine Kontroverse über den Optimismus und die Frage des Schlechten in der Welt.

(http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/ic/aktuelles/cfp/katastrophendiskurs.pdf) Die Erschütterung war auch eine mediale. Voltaires „Poème sur le désastre de Lisbonne“ hat aus der Zerstörung Lissabons ein gesamteuropäisches Ereignis gemacht. Es hat nicht nur die philosophische Theodizee Leibniz’ und Wolffs der Kritik unterzogen, sondern die optimistische Selbstdeutung des Jahrhunderts als Ganzes in Frage gestellt. An den drei schweren Erdstößen vom Allerheiligen-Tag 1755 wurde festgeschrieben, was sich schon länger in den Verschiebungen der Diskursformationen des 18. Jahrhunderts abzeichnete: Dass die aufgeklärten Gesellschaften begannen, sich in einer Welt einzurichten, in der von Katastrophe und Risiko die Rede sein muss, nicht mehr von Sünde und Schuld, von Geologie und nicht mehr von Sintflut. Die Preisaufgabe der Berliner Akademie über den Lehrsatz Alexander Popes „Alles ist gut“ war nicht nur zufällig kurz vor dem Erdbeben von Lissabon ausgeschrieben worden. Das meint mehr als Säkularisierung ehemaliger theologischer Deutungen von Katastrophen. Die Etablierung neuer wissenschaftlicher Beschreibungssysteme wie der Geologie, die Entwicklung apparativ-empirischer Naturbeobachtungen etwa der Seismographik, die millenaristischen Logiken der Sintflut wie die Umdeutungen der Schöpfungsgeschichte in den naturkundlichen Beschreibungen eines Buffons oder etwa Rousseaus Kritik an der urbanen Lebensweise und ihren Folgen gehören einer sehr viel längerfristigen Umstellung in der Semantik der Katastrophe an …

[14]             Man hat diese tief greifende und dauerhafte Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände als Industrielle Revolution bezeichnet. Sie hat vom späten 18. Jahrhundert an und verstärkt im 19. Jahrhundert zunächst in England, dann in ganz Europa und in den USA, seit dem späten 19. Jahrhundert auch in Japan und weiteren Teilen Asiens zum Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft geführt hat. Als wichtigste an dieser Umwälzung beteiligte Gesellschaftsklassen standen sich kapitalistische Unternehmer und lohnabhängige Proletarier gegenüber. (Wikepedia)

Als wichtigste Maschine der Industriellen Revolution wird gemeinhin die Dampfmaschine angesehen. Sie ersetzte weitgehend die wesentlich unbeständigeren bzw. leistungsärmeren herkömmlichen Antriebskräfte, die auf dem Einsatz von Menschen und Tieren sowie auf der Nutzung von Wind und Wasser beruhten. Ebenfalls von großer Bedeutung war die Dampflokomotive, denn sie beschleunigte u. a. den Transport von Waren. Die Einführung und Verbreitung der Dampfmaschine führte zu einer Intensivierung der Industrieproduktion. So wurde z. B. die Textilindustrie zunehmend von den vorher heimischen Kleinproduktionsstätten in große Fabriken umgelagert, wo dampfgetriebene Spinnmaschinen und Webstühle schnell und produktiv die auf dem europäischen Kontinent begehrten Stoffe herstellten.

Als Folge mechanisierter Produktion stieg die Nachfrage nach Brennstoffen, wodurch Kohleabbau lukrativ und durch weitere Erfindungen immer produktiver wurde. Eine weitere wichtige technische Grundlage war die Erfindung des Kokshochofens zur Eisenverhüttung durch Abraham Darby. Mit Rädern versehen und auf Schienen gestellt, wurde die Dampfmaschine als Eisenbahn (Robert Stephensons' „Rocket“) erfunden, die eine enorme Effizienzsteigerung im Transportwesen ermöglichte. Durch fortschreitende Spezialisierung trieb die Industrialisierung im Zusammenhang mit der kapitalistischen Kommerzialisierung in einem bis heute anhaltenden Prozess immer neue Gewerbe hervor.

[16]             Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte. Romantik entstand als Reaktion auf das Monopol der vernunftgerichteten Philosophie der Aufklärung und auf die Strenge des durch die Antike inspirierten Klassizismus. Im Vordergrund stehen Empfindungen wie Sehnsucht, Mysterium und Geheimnis. Der Romantiker verortet einen Bruch, der die Welt gespalten habe in die Welt der Vernunft, der „Zahlen und Figuren“ (Novalis), und die Welt des Gefühls und des Wunderbaren.

Caspar David Friedrich (1774-1840) war einer der bedeutendsten Maler und Zeichner der deutschen Früh-Romantik, die er zusammen mit Philipp Otto Runge wie kaum ein anderer Künstler beeinflusste. Seine Werke haben häufig Natur- und Landschaftsdarstellungen zum Gegenstand, die Natur besitzt darin oft einen metaphysisch-transzendenten Charakter.

[17]             Siehe Anmerkung unten

[18]             Aus dem Pietismus entwickelten sich im 18. Jahrhundert unter anderem die Herrnhuter Brüdergemeine und die Franckesche Stiftungen in Halle. Es entstanden die Methodisten, die Baptisten u.a. neue christliche Kirchen. Im 19. Jahrhundert bildeten sich Heilungsbewegungen, der Neupietismus, die Heilsarmee.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts kam es in den Vereinigten Staaten zu einer überkonfessionellen Strömung konservativer Christen, die insbesondere ihre Sicht der biblischen Lehre betonten. Diese Bewegung teilte sich in den 1930er Jahren in die Fundamentalisten und die Evangelikalen, die um die Mitte des Jahrhunderts durch Prediger wie Billy Graham starken Zuwachs fanden.

In den Erweckungen der Pfingstbewegung wurde der Heilige Geist, die Erfüllung eines Gläubigen mit dem Heiligen Geist und die Gaben des Heiligen Geistes wiederentdeckt. Während sie in Europa eher eine Randerscheinung ist, umfasst sie in der Dritten Welt einen großen Teil des christlichen Zuwachses der letzten fünfzig Jahre.

Neben den zahlreichen selbständigen oder lose verbundenen Pfingstkirchen hat die Pfingstbewegung auch ihre Parallele innerhalb der Großkirchen, die Charismatische Erneuerung, die, im Gegensatz zu den meisten früheren Erweckungsbewegungen, auch in der katholischen Kirche Zulauf hat.

Angesichts dieser lebendigen Gegenbewegung drängen sich Fragen auf:

             Wieso haben die Erweckungsbewegungen solchen Zulauf haben können? War es die persönliche Hingabe, das praktisches Christentum, dass die Welt wieder in die Welt Gottes eingebettet war, der versichernde Rückgriff auf die Bibel als sie Offenbarung Gottes?

             Inwiefern hatte sich aber auch in den Erweckungsbewegungen das Selbst- und Weltverständnis verändert?

-              In einer Zeit, in der es nicht mehr selbstverständlich war, zu glauben, musste es um eine bewusste Entscheidung gehen.

-              In einer Zeit, in der man Distanz zu der Welt und den Menschen hatte und nicht mehr aus dem unmittelbaren Gefühl handelte, musste es ein praktisches Christentum geben, das sich der Not der Menschen entgegenstellte.

-              In einer Zeit, in der man sich um den Handel und das Wohlergehen drehte, musste es etwas geben, was darüber hinaus für die Menschen wichtig war.

             Wie könnte die Spannung zu der aufgeklärten Welt bewältigt werden?

Noch eine Anmerkung: Ich bin kein Pietist und habe kritische Fragen an den Pietismus. Gerade auch im dem Gespräch mit Muslimen ist mir das aufgeklärte Denken und eine historisch-kritischer Zugang zur Bibel wichtig. Aber dass wir mit dem Herzen dabei sind und ein praktisches Christentum leben – das können wir uns von Pietisten anstoßen lassen. Wir sind miteinander Christen und müssen angesichts der großen Herausforderungen heute miteinander fragen, was uns verbindet, was uns Gott bedeutet und wie wir unseren Glauben im Leben umsetzen können. Das gilt aber auch im Blick auf Humanisten, die nicht von Gott reden möchten und auf Anhänger anderer Religionen.

[19]             Die Einstein-Rosen-Podolsky-Korrelation besagt, dass 2 Elektronen auf die Entfernung von Lichtjahren merkwürdig verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. Das ist experimentell nachgewiesen. Es bleiben aber immer neue Fragen offen, die weiter erforscht werden müs­sen. Dabei gibt es konkurrierende Denkansätze: Raum-Zeit-Dualismus oder Raumzeit-Monis­mus. Problem: Wie ist die Rede von einem ein­zelnen Teilchen möglich, wenn doch alle zusammen­hängen? Es gilt die Wechselwirkungen zwi­schen den Teilchen zu ver­stehen und dabei die 4 grundlegenden Kräfte miteinander in Beziehung zu setzen.

[20]             Hans-Peter Dürr: Das Netz des Physikers

[21]             Diese Einsicht darf aber nicht zu einem totalen Verzicht auf Handeln führen. Darum ist es Aufgabe des Naturwissenschaftlers - soweit das möglich ist - abzuklären, bei welchen Eingriffen keine negativen Folgen befürchtet werden müssen. Dazu muss er sich dann doch reduktiver Methoden be­dienen.

[22]             1918 erschien Oswald Spenglers Buch „Der Untergang des Abendlandes“. In ihm drückte sich die pessimistische Sicht aus. Es war eine fatalistischen Geschichtsdeutung: Wir leben in einer sterbenden Kultur. Aber es werden eben andere aufblühen. - Darf man sich so einfach verabschieden? Und werden andere Kulturen unsere ersetzen? Kann man sich in eine resignative Selbstgefälligkeit zurückziehen? Dagegen wollte Schweitzer ankämpfen. 1923 erschienen seine zwei Bände Kulturphilosophie als einen Gegenentwurf dazu. Albert Schweitzer wollte damit die Grundlagen für eine neue gemeinsame Ethik schaffen. Es sollte auch ein Gegenentwurf zu der sich damals breit machenden „natürlichen Ethik“ sein. Man hat Darwins Gedanken von der natürlichen Auslese und dem Überleben der Stärksten auf das Zusammenleben der Menschen übertragen. Gleichzeitig führte die Industrialisierung zu einer Entwurzlung und einem anderen Umgang mit dem Menschen. Albert Schweitzer klagt: „Auch hat unsere Gesellschaft aufgehört, allen Menschen als solchen Menschenwert und Menschenwürde zuzuerkennen. Teile der Menschheit sind für uns Menschenmaterial und Menschendinge geworden.“

[23]             Existentialismus bei Sartre und Camus: Ausgangspunkt die Absurdität, dass nicht von außen Wesensbestimmung gegeben wird. Aber die Revolte oder der Einsatz für eine Veränderung der Zustände ist doch auch die Entscheidung in einer bestimmten Richtung. Christentum verlangt nicht die heroische Tat, die dem Leben einen Sinn gibt, sondern nimmt in den Bereich der Gnade, die Liebe hinein und öffnet dafür, selber einen Bezug zu der Welt und zu sich und der anderen Menschen zu bekommen. Gottes Liebe verändert nicht die Welt – die bleibt in sich ohne Sinn – aber es ist der Anstoß zu einer neuen Beziehung.

Jean-Paul Sartre (1905-1980) war in den Nachkriegsjahren der tonangebende französische Intellektuelle: Sein L’Être et le néant (Das Sein und das Nichts) und der Essay L’Existentialisme est un humanisme (Der Existentialismus ist ein Humanismus) von 1946 galten als Hauptwerke der neuen, hauptsächlich von ihm geschaffenen Philosophie des Existenzialismus, dessen Kernaussage ist, dass der Mensch durch den Zufall seiner Geburt in die Existenz „geworfen“ ist und aktiv selbst versuchen muss, dem Leben einen Sinn zu geben.

Eine der bekanntesten existentialistischen Äußerungen ist die Aussage Sartres „Die Existenz geht der Essenz (dem Wesen) voraus“. Der Existentialismus knüpft an die Wesensbestimmung des Menschen in der Philosophie an. Durch die Bestimmung des Menschen als biologisches Wesen, als Vernunftwesen, als göttliches Wesen etc. erhält der Mensch vor seiner Existenz zunächst schon eine Bedeutung, eben biologisch, vernünftig, gottähnlich. Beim Existentialismus kritisiert man diese der Existenz vorgängige Sinnbestimmung und setzt ihr die Existenz entgegen: Der Mensch ist als Mensch nicht zu erfassen, wenn nicht je von seiner eigenen individuellen Existenz ausgegangen wird. Jede Wesenbestimmung enthält, so die Kritik durch den Existentialismus, immer schon einen Theorieaspekt, der sich nicht aus einer unmittelbaren Erfahrung der Existenz speist, sondern der Existenz „nachrangig“ gebildet wird.

Hieraus erklärt sich auch die Fokussierung des Existentialismus auf die Themen Angst, Tod, Freiheit, Verantwortung und Handeln als elementar menschliche Erfahrungen. Der Mensch versteht sich selber nur im Erleben seiner selbst. Demnach bezieht sich der Existentialismus nicht mehr auf eine göttliche oder kosmologische, sondern entwickelt seine Theorie vom Einzelnen aus. Dadurch wird eine religiöse Grundhaltung nicht abgelehnt (auch wenn dies häufig durch die Schriften Sartres intendiert wird), sondern der Glaube wird vielmehr selbst zum existentiellen Erleben.

In Begriffen wie Geworfenheit, Selbstentwurf, Freiheit und Selbstbestimmung zeigt sich die Zentrierung des Existentialismus auf das Problem der Befreiung des Menschen zu seinen eigenen Möglichkeiten hin. Die Notwendigkeit dieser Möglichkeit zu sein, zeigt sich in den Erfahrungen von Absurdität, Ekel, Angst, Sorge, Tod und Langeweile und zeigt eindrucksvoll auf, dass gerade dieses subjektive Empfinden das Leben des Menschen bestimmt, Objektivitätsansprüche vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen verblassen.

„Der atheistische Existentialismus, für den ich stehe, ist zusammenhängender. Er erklärt, dass, wenn Gott nicht existiert, es mindestens ein Wesen gibt, bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht, ein Wesen, das existiert, bevor es durch irgendeinen Begriff definiert werden kann, und dass dieses Wesen der Mensch oder, wie Heidegger sagt, die menschliche Wirklichkeit ist. Was bedeutet hier, dass die Existenz der Essenz vorausgeht? Es bedeutet, dass der Mensch zuerst existiert, sich begegnet, in der Welt auftaucht und sich danach definiert.

Albert Camus (1913-1960), Mythos des Sisyphos 1939, Die Pest 1942 begonnen 1947 veröffentlicht

[24]             Mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis (auch: Schulderklärung der evangelischen Christenheit Deutschlands) bekannte die nach dem Zweiten Weltkrieg neugebildete Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erstmals eine Mitschuld evangelischer Christen an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Veröffentlichung des Textes löste heftige Kontroversen in der EKD und der deutschen Bevölkerung aus, bildete langfristig aber den Ausgangspunkt einer Neubesinnung des deutschen Protestantismus. Anlass war der Besuch hochrangiger Vertreter des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), die sich bereit zeigten, sich mit den Deutschen zu versöhnen und die EKD aufzunehmen. Dazu erwarteten sie von deren Vertretern ein glaubwürdiges Schuldbekenntnis. Mit der Erklärung kamen die Autoren dieser Erwartung nach und öffneten der EKD den Weg zu ökumenischer Gemeinschaft und verstärkter Hilfe für die notleidenden Deutschen.

[25]             Erich Fromm (1900-1980) deutsch-amerikanischer Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe.

[26]             Haben oder Sein ein populäres gesellschaftskritisches Werk des Sozialpsychologen Erich Fromm von 1976. Die Arbeit ist eine empirische psychologische und soziologische Analyse der Existenzweisen (sowohl individuell als auch gesellschaftlich, siehe Gesellschaftscharakter) des Habens und des Seins und führt Ansätze seiner früheren Arbeiten fort. Es ist im humanistischen Geist Fromms geschrieben und stellenweise – verfasst ein Jahrzehnt vor Glasnost und Perestroika – vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und insbesondere der Gefahr eines Atomkrieges (Kubakrise etc.) zu verstehen. Ersetzt man die von Fromm verwendeten und für die damalige Zeit aktuellen maschinenfixierten Beispiele durch computerfixierte, so ist das Werk zum größten Teil noch immer hochaktuell.

[27]             Sprecher bei einem New Age Festival, A Secular Age S 389

[28]             Günther Anders hat 1980 zwei Bände unter der Überschrift »Die Antiquiertheit des Menschen« herausgegeben. Darin hat er die Meinung vertreten, dass die „Endzeit“, die Zeit der Selbstauslöschung des Menschen und die Zerstörung der Humanität unwiderruflich begonnen habe. War bisher der Mensch das Subjekt der Geschichte, so ist es jetzt die Technik. Ihr gegenüber erscheint der Mensch als „antiquiert: Durch die Technik lebt er in einer Welt, der er gegenüber völlig veraltet ist. Mit der Entwicklung der Technik kann er nicht nur nicht Schritt halten, er verkümmert in ihr. Humanität, einstmals der oberste Wert menschlichen Strebens, wird einem Fortschritt geopfert, der in Wahrheit keiner ist. Seine, für eine andere Welt geschaffene Seele stirbt in der industriellen Revolution.

[29]             Seit dem Ende der 1990er Jahre beschäftigt sich Habermas wieder mit religiösen Themen, v.a. mit dem Einfluss der jüdisch-christlichen Tradition auf das westliche Denken. Der „egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben, von autonomer Lebensführung und Emanzipation, von individueller Gewissensmoral, Menschenrechten und Demokratie entsprungen sind“, ist für Habermas „unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeits- und der christlichen Liebesethik“.

Habermas räumt ein, dass sich im „nachmetaphysischen Denken“ moderner, säkularer Gesellschaften, „jeder generell verbindliche Begriff vom guten und exemplarischen Leben entzieht“. In den „heiligen Schriften und religiösen Überlieferungen“ fänden sich dagegen über Jahrtausende wach gehaltene „Intuitionen von Verfehlung und Erlösung“. Sie stellten „hinreichend differenzierte Ausdrucksmöglichkeiten und Sensibilitäten für verfehltes Leben, für gesellschaftliche Pathologien, für das Misslingen individueller Lebensentwürfe und die Deformation entstellter Lebenszusammenhänge“ zur Verfügung. Es müsse die Aufgabe einer „nachmetaphysischen“ Philosophie sein, die kognitiven Gehalte der religiösen Überlieferung „im Schmelztiegel begründender Diskurse aus ihrer ursprünglich dogmatischen Verkapselung freizusetzen“, um so „eine inspirierende Kraft für die ganze Gesellschaft entfalten zu können“.