Der ethische Ansatz 

                   von

 

           Albert Schweitzer

 

                         

             

 

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   Albert Schweitzer

 

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Claus Günzler, Albert Schweitzer, Einführung in sein Denken,Beck’sche Reihe 1149, München 1996 (Albert Schweitzer 1875-1965)

-     Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben erst mit 40 Jahren entwickelt

-     Problemgeschichtliches Denken (von Aristoteles her)

-     Lebendige Wahrheit ist nur die, die im Denken entsteht, sie läßt sich nicht als fertiges Produkt weitervermitteln. Er will das suchende Denken der Allgemeinheit erreichen, kritisiert, wenn Philosophen die zentrale Frage nach der individuellen Lebensgestaltung an den Rand drücken. (Frage nach dem Glücklichsein, dem Rechttun ® Philosophie schreiben, die im Zusammenhang mit dem gesunden Menschenverstand und natürlichen Empfinden bleibt, sie vertieft. Man muss freilich tiefer graben - aber die Menschen werden die Ergebnisse des Denkens anerkennen, in denen wirklich Wahrheit ist und die auf das alltägliche Leben anzuwenden sind.

-     Wildnisethik. Er hat  schon nach seinem ersten Afrikaaufenthalt (1913-17) 1920 seine dort gewonnenen Eindrücke in Zwischen Wasser und Urwald niedergeschrieben. - Distanz zum herkömmlichen Betrieb. Keine feste Linie zwischen dem religiösen und philosophischen Denken. „Wie das wahre Denken religiös, so ist die wahre Religion denkend.“ (KPh III, 2. Teil, 60)

-     Überwindung der Geozentrik: Weltanschauung darf nicht verengt werden auf die Anschauung der Bestimmtheit der Menschheit auf der Erde, man muss sie erweitern zur Anschauung von dem Verhältnis des Menschen zum unendlichen Sein.

-     Allgemeines Unbehagen, das Schweitzer auch seit 1900 beherrschte an der Kultur, 1. Weltkrieg. Aber er wollte einen Gegenentwurf zu Spenglers fatalistischer Geschichtsdeutung (Der Untergang des Abendlandes 1918) schreiben.

-     Nach dem 1. Weltkrieg neigten viele Kulturkritiker dazu, Leitorientierungen wie Vernunft, Fortschritt und Humanität als trügerisch zu verabschieden, damit das Erbe der Aufklärung - Schweitzer war einer der wenigen, die an den Zielen der Aufklärung festhalten wollte.

-     Weil er die geistige Krise vor Augen hat, baut er zuversichtlich auf das Denken der Einzelnen als Quelle für eine Regeneration von Kultur und Gesellschaft.

-     Das zentrale Problem für ihn ist: „Der Mensch des beginnenden 20. Jahrhunderts hat auf die elementare Frage, was er mit seinem Leben in der Welt beginnen solle, keine Antwort mehr; er taumelt desorientiert in der Weltanschaungslosigkeit herum (31). „Die Affinität zum Nebenmenschen geht uns verloren. Damit sind wir auf dem Weg zur Inhumanität. Wo das Bewußtsein schwindet, dass jeder Mensch uns als Mensch etwas angeht, kommen Kultur und Ethik ins Wanken. Da Fortschreiten zur entwickelten Inhumanität ist dann nur noch eine Frage der Zeit.“ (GW 2, 38)

-     Klare Absage an den Nationalsozialismus. 1944 beschreibt Schweitzer den Neoprimitiven als einen neuen Menschentyp, der mit seiner »Entschlossenheitsmaske«als leibhaftige Manifestation der allgemeinen Kulturkrise erscheint. „Bezeichnend für den Neo-Primitiven ist, dass er seine Naturhaftigkeit in der Haltung und im Blick bekunden will. Seinen Gesichtszüge bilden sich zu einer Maske aus, die kalte Entschlossenheit ausdrücken soll.“ (KPh III, 4. Teil, 138)

-     Nietzsche hat ihn als Student fasziniert und abgestoßen. Er stimmt ein mit der Kritik, „dass nur diejenige Ethik Geltung haben darf, die aus selbständigem Nachdenken über den Sinn des Lebens kommt uns sich in aufrichtiger Weise mit der Wirklichkeit auseinandersetzt.“ (GW 2, 303) Aber Lebensbejahung muss zur Weltbejahung werden. ER verlangt „Hingabe an die Welt“, eben damit aber auch Aufnahme von Lebensverneinung in die Lebensbejahung, um fremden Ansprüchen gerecht werden zu können. (GW 2, 305)

-     Auf der anderen Seite wendet er sich gegen Schopenhauers einseitige Lebensverneinung und sucht die rätselhafte Verbindung der Lebensbejahung und -verneinung.

-     Die Verantwortung für die Welt und damit alle Hingabe an fremde Ansprüche soll ihre tiefsten Wurzeln in der individualethischen Leitidee der Selbstvervollkommnung haben. Das will er in seiner Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben ausführen.

-     Kultur und Ethik 1923 erschienen, daran hat er in der Substanz nichts mehr verändert.

-     Sein normativer Kulturbegriff, in den deutschen Wirren der zwanziger Jahre der verläßliche Kompass für die eigene Standortbestimmung, führt ihn als sendungsbewußten Pragmatiker in Afrika in schier ausweglose Widersprüche, macht ihn kulturell gewissermaßen zum kolonialkritischen Kolonialisten, zum Statthalter europäischer Ideale in einer nicht-europäischen Welt. (58)

-     Verzweigter Argumentationsgang hinter seinem Begriff der „Ehrfurcht vor dem Leben.“ Problemgeschichtliche Genese: „Schweitzers ursprüngliche Faszination durch Kant und den deutschen Idealismus wird also durch den Realisten Goethe relativiert und mit naturphilosophischen Impulsen konfrontiert. Kein Frage, dass Schweitzers Zuneigung der unscheinbar-elementaren Naturphilosophie gilt, und die führt ihn denn auch Goethe zu Schopenhauer. Dieser wird dann ethisch zwar heftig kritisiert, dient aber naturphilosophisch als Fundgrube für Schweitzers Leitbegriffe.“

-     Schweitzer möchte in der Nachfolge Kants seine Richtlinie der Ehrfurcht vor dem Leben als notwendiges und allgemeingültiges Grundgesetz des Sittlichen darlegen, andererseits aber den Kantischen Preis von völliger Unabhängigkeit des Sittengesetzes von empirischen Bezügen  nicht entrichten. „Die Weltanschauung kommt aus der Lebensanschauung, nicht die Lebensanschauung aus der Weltanschauung.“ (GW 2,107)

-     Ein Sinn der Welt ist nicht zu erkennen, sie bleibt vielmehr eine rätselhafte Erscheinung. „Nimmt man die Welt, wie sie ist, so ist es unmöglich, ihr einen Sinn beizulegen, in dem die Zwecke und Ziele des Wirkens des Menschen und der Menschheit sinnvoll sind. Weder die Welt- noch die Lebensbejahung noch die Ethik ist aus dem, was unsere Erkenntnis über die Welt aussagen kann, zu begründen.“ (GW 2, 104f) ® nicht rettungsloser Fall in einen Skeptizismus, sondern Schweitzer sieht darin eine Wahrhaftigkeitsleistung, die wir wagen müssen, um von da aus zu der wertvollen Weltanschauung zu gelangen. Eine Weltanschauung soll, das ist Schopenhauersches Erbe, aus dem Denken über den Willen zum Leben kommen. Die Ethik hat materialistische Instinkte. Sie will sich in dem empirischen Geschehen betätigen und die Verhältnisse der empirischen Welt umgestalten. Welt und Natur werden gelassen wie sie sind. (von Goethe inspiriert gegen Kant)

-     Er diagnostiziert eine grundsätzliche Unvereinbarkeit von Welt- und Lebensanschauung, man darf diesen Dualismus nicht aus der Welt schaffen wollen, sondern muss sich entschließen die Lebensanschauung über die Weltanschauung zu stellen. „Das in unserem Willen zum Leben gegebene Wollen geht über unser Erkennen der Welt hinaus.“ (GW 2,107) „Wir müssen die Natur verstehen lernen aus unserem eignen Selbst , nicht uns eignes Selbst aus der Natur.“ (Schopenhauer 1984,142) ®  Für Schweitzer bedeutet das, dass wir mit allem Lebendigen verbunden sind, freilich gilt auch: Der Wille zum Leben in der Natur ist selbst entzweit, man findet in ihr überall Streit.

-     Eine dominierende Rolle spielt der Begriff der ‘ethischen Persönlichkeit’. „Die Ethik der ethischen Persönlichkeit ist persönlich, unregelmentierbar und absolut. Die von der Gesellschaft für ihr gedeihliches Bestehen aufgestellte ist überpersönlich, reglementiert und relativ. Darum kann die ethische Persönlichkeit sich nicht in sie ergeben, sondern bleibt in fortgesetzter Auseinandersetzung mit ihr. ..Letzen Endes rührt der Antagonismus zwischen beiden von der verschiedenen Bewertung der Humanität her. Humanität besteht darin, dass nie ein Mensch einem Zweck geopfert wird. (GW 2, 357f) Schweitzer lehnt pure Selbstvervollkommnungsethiken ebenso ab wie pure Hingabeethiken; er baut auf die Fähigkeit der ethischen Persönlichkeit, aus sich selbst heraus eine gemeinwohlorientierte Tatethik entstehen zu lassen, die indvidualethische Aspekte nie vernachlässigen kann.

-     Der Lebenswille kann noch keine Verpflichtung zum Sittlichen darstellen. Das geschieht erst im Denken des Menschen. Der ‘ethische’ Mensch entwickelt denkend normative Prinzipien, die ihn gegen die Gesetze des Naturgeschehens handeln lassen, und bliebt doch als Lebewesen Teil der Natur. Wer in seinem Leben der Ehrfurcht vor dem Leben gerecht wird, hebt den Gegensatz von dem, was ist und dem was sein soll, auf.

-     Schweitzer wendet sich gegen eine Mystik die eine von der Welt abgehobene Vereinigung mit dem Absoluten sucht. Das zu Ende gedachte und dann in Mystik übergehende Denken mündet bei ihm nicht in eine Vereinigung mit Gott, sonder bliebt auf diesseitsimmanente Gegebenheit bezogen. „Weil dass Leben letzter Gegenstand unseres Wissen ist, wird das letzte Wissen notwendigerweise denkendes Erleben des Lebens.“ (GW 2, 83) Überwindung des Fremdseins, Verbundenheit, eine den ganzen Menschen erfassende Beziehung - dies macht für Schweitzer das mystische Denkerlebnis aus, und des kann nur im Hinblick auf „das in Einzelwesen in Erscheinung tretende Sein“ gelingen (GW 2, 372f).

-     „Wahre Philosophie muss von der unmittelbarsten und umfassendsten Tatsache des Bewußtseins ausgehen. Die lautet: ,Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.’ Dies ist nicht ein ausgeklügelter Satz. Tag für Tag, Stunde für Sunde wandle ich in ihm In jedem Augenblick der Besinnung steht er neue vor mir. Wie aus nie verdorrender Wurzel schlägt fort und fort lebendige, auf alle Tatsachen des Seins eingehende Welt- und Lebensanschauung aus ihm aus. Mystik, ethischen Einswerdens mit dem Sein wächst aus ihm hervor.“ (GW 2, 377)

-     „Das zu Leben werdende Erkennen läßt mich der Welt gegenüber nicht als rein erkennendes Subjekt verharren, sondern drängt mir ein innerliches Verhalten zu ihr auf. Es erfüllt mich mit Ehrfurcht vor dem geheimnisvollen Willen zum Leben, der in allem ist. Indem es mich denkend und staunend macht, führt es mich immer höher hinan auf die Höhen der Ehrfurcht vor dem Leben. Hier läßt es meine Hand los. Weiter kann es mich nicht geleiten. Nun muss mein Wille zum Leben seinen Weg in der Welt allein suchen.“ (GW 2, 377)

-     Einsicht Goethes, dass das „Edel-Werden“, das „wahre Er-Selbst -Werden“ müsse mit dem „Gut-Werden“ zusammenfallen, entspricht der Überzeugung der Zusammengehörigkeit von Selbstvervollkommnungsethik und Hingebungsethik.

-     Der Mensch muss entscheiden, wie er sich zum Willen zum Leben verhalten wolle - zwei Alternativen: Lebensverneinung und Lebensbejahung.

-     Verzeihung gegenüber dem anderen, nicht weil ich mir damit gut vorkomme, sondern weil Nichverzeihen unwahrhaftig gegen mich selbst wäre. Radikale Nivellierung der Schuldquote.

-     „Ethik besteht also darin, dass ich die Nötigung erlebe, allem Willen zum leben die gleiche Ehrfurcht vor dem leben entgegenzubringen wie dem eigenen. Damit ist da denknotwendige Grundprinzip des Sittlichengegeben. Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern; böse ist Leben vernichten und Leben hemmen.“ (GW 2, 378)

-     „Wo ich irgendwelches Leben schädige, muss ich mir darüber klar sein, ob es notwendig ist. Über das Unvermeidliche darf ich in nichts hinausgehen, auch nicht in scheinbar Unbedeutendem. Der Landmann, der auf seiner Wiese tausend Blumen zur Nahrung für seine Kühe hingemäht hat, soll sich hüten, auf dem Heimweg in geistlosem Zeitvertreib eine Blume am Straßenrand zu köpfen, denn damit vergeht er sich an Leben, ohne unter der Gewalt der Notwendigkeit zu stehen.“ (GW 2, 388)

-     „Nur das Grundprinzip des Ethischen ist einfach und allgemeingültig. Ihm einfache und allgemeingültige Ausführungsbestimmungen beizugeben, ist unmöglich.“ (KPh III, 2. Teil, 19)

Er kommt zu normativen Aussagen:

®  gegen Roheit bei Tiertransporten, Tierversuche nur auf das streng Notwendige begrenzen

®  Vorrang der persönlichen vor der überpersönlichen Verantwortung (kraft einer institutionellen Position

®   wirtschaftliche Gerechtigkeit, Menschenwert und Menschenwürde eines jeden Menschen respektieren.

®   Kein Recht „Erprobung von Waffen vorzunehmen, die sämtliche Länder der Welt in schwerster Weise zu schädigen vermögen“ (GW 5, 586)

®   Das Hungerproblem ist nur über das ethische Denken von Individuen lösbar

-     Grenzenlosigkeit der Ethik. „Die Ethik gebietet ohne Rücksicht auf völlige Durchführbarkeit.“ (KPh III, 4. Teil, 107) Dabei wird die ethische Verpflichtung konkret auf die Menschen bezogen, mit denen wir es zu tun haben.

-     „Schweitzer konzipiert seine Ethik also von vornherein als Konfliktethik, die, soweit möglich, auftretende Konflikte verantwortlich und kontrolliert lösen soll, zudem aber auch die Möglichkeit vorsieht, mit Konflikten konfrontiert zu werden, die sich jeder ethischen Lösbarkeit entziehen.“ (140) Unterschied zu Kant, der den Kategorischen Imperativ als Prüfkriterium für universell anwendbar gehalten hat.

-     Die Chance der Ethik sind eng bemessen: Eingebettet in das „Weltgeschehen“, das sich „in der Nacht des Nicht-Ethischen“ abspielt (KPh III, 2. Teil, 102), hat der Mensch kraft seiner Vernunft seine ethischen Möglichkeiten bis zur Grenze auszuloten, doch das Weltgeschehen zu verändern vermag er nicht.

-     „Die Fundamentaltatsache der Ethik ist, dass wir nicht imstande sind, unser Leben völlig für uns zu leben. Irgendwie und in irgendwelchem Maße fühlen wir uns mit andrem Leben solidarisch. Wir erleben es mit dem unseren und in dem unseren. Durch das Interesse und die Sympathie, die uns mit ihm verbindet, werde wir dahin gebracht, uns für seine Erhaltung und Förderung einzusetzen wir für die unsere eigenen Lebens.“ (KPh III, 2. Teil, 89)

-     Für Schweitzer bleibt Jesus ein historisch Fremder, ein Kinder spätjüdischen Religiosität seiner Zeit und entzieht sich damit der Aktualisierung. Doch auf die historische Annäherung kommt es auch gar nicht an, vielmehr auf das „Verstehen von Wille zu Wille (GW 3, 883)

-     Nicht das Leben Jesu, sondern seine geistig-sittliche Autorität bildet also das Fundament der denkenden Religiosität, und es kommt für Schweitzer alles darauf an, dass sie im Vorstellungsmaterial der jeweiligen Zeit als das befeuernde Element wirkt.

-     „Die Ethik von der Ehrfurcht vor dem Leben ist die ins Universelle erweiterte Ethik der Liebe.. Sie ist die als denknotwendig erkannte Ethik Jesu.“ (GW 1, 241)